Ach ja, Karla. Was du jetzt wohl machst? Warum habe ich dich eigentlich nicht zum Essen eingeladen? Jetzt hänge ich wieder allein hier rum und starre der Freundin meines Freundes hinterher, lasse meiner Fantasie freien Lauf und weiß doch, dass zwischen uns nie etwas laufen wird, weder von meiner noch von ihrer Seite aus. Aber hinschauen muss ich schon, diese roten Haare…
"Na Bruno, hat's geschmeckt? Ich hab dir schon mal einen neuen Wein mitgebracht, hab ich doch richtig verstanden, oder? "
"Jaja, alles bestens. Das Essen war übrigens Spitze, dein Sohn wird immer besser. Hast du nachher mal ein paar Minuten für mich? Ich bin so einsam."
"Ach je, kleinen Moment noch, Bruno, ich muss mich erst mal um Herrn Schneider kümmern, der hat es nötiger als du. Der nimmt höchstens noch ein Bier, dann geht er sowieso. Die anderen Gäste beschäftigen sich ja mit sich selbst. Aber warte, ich werde dich schon mal von dem alten Geschirr befreien."
Geschickt stapelt sie die zwei kleinen Schüsseln auf den Teller und legt das Besteck dazu. Dann schenkt sie Bruno noch ein kleines Lächeln und balanciert alles zu einer Durchreiche zur Küche. Brunos Blicke folgen jeder ihrer Bewegungen, Harry ist ja nicht dabei und Sylvia hat hinten keine Augen. Sonst würde Bruno selbstverständlich auch nicht so ungeniert starren, wirklich nicht. Ein Schlückchen Wein bringt ihn auf andere Gedanken.
Eines ist irgendwie eigenartig, alle Frauen, die so auf meiner Festplatte gespeichert sind, haben eines gemeinsam, sie stehen allesamt im Zusammenhang mit meinen kriminalistischen Verwicklungen in der Vergangenheit, bis auf Sylvia und natürlich Anna, meine Anna hinter den Bergen. Aber die beiden haben auch etwas gemeinsam, sie sind vergeben, quasi out of Zugriff. Da wird auch nicht dran gerüttelt Bruno! Lieber noch einen wönzigen Schlock… Aber noch einmal, das könnte doch der Grund sein, also, wie soll ich sagen, dass ich noch solo bin, oder? Detektive können sich keine feste Bindung erlauben. Mensch, wenn mir mal was passiert, die arme Witwe…, nicht auszudenken.
Bruno beobachtet, wie Herr Schneider bezahlt und sich dann von Sylvia mit einem Handkuss verabschiedet.
Handkuss? Hier in der Mühle? Man, der hat's ja drauf, hat er bestimmt mal in einem Film mit Hubert von Meyerinck gesehen. Muss ich auch mal üben, vielleicht stehen Frauen auf sowas…
"So, mein Lieber, jetzt habe ich ein wenig Zeit. Aber ich muss mich da auf die Bank setzen, damit ich alles im Blick habe. Lässt du mich mal?"
Bruno erhebt sich, um Sylvia vorbeizulassen, aber Achtung, Schlitzohr, er lässt ihr gerade so viel Platz, dass sie ganz schön dicht an ihm vorbei muss. Sie tut es ohne zu zögern. Es kommt ihm einen Augenblick sogar so vor, als ob sie ihm ganz kurz ziemlich tief in die Augen blickt, vielleicht auch für den Bruchteil einer Sekunde stehen bleibt, aber das reicht schon, um Bruno eine schlaflose Nacht zu bereiten, er weiß es nur noch nicht.
"Möchtest du nichts trinken? Ich lade dich ein."
"Danke, Bruno, das ist lieb von dir, aber stell dir vor, ich würde jede Einladung zu einem Getränk annehmen…, und Cola oder Limo mag ich nicht, auch kein Kaffee am Abend."
Schade, sonst müsstest du nochmal an mir vorbei. Muss ich wohl selber noch einen bestellen.
"Wie geht es dir eigentlich? Was macht denn deine Karla, oder seid ihr nicht mehr zusammen? Ist wirklich 'ne tolle Frau, passt auch gut zu dir. Also ich mag sie."
"Was heißt zusammen? Wir sind schon öfter zusammen, meistens am Wochenende aber…"
"Das ist doch kein Zusammensein, Bruno, mach mal halblang. Worauf wartest du denn, dass du Pflegestufe Eins bekommst? Mensch, unsere Zeit läuft bald ab, das geht schneller als du denkst. Jetzt ist jetzt und hier und heute. Morgen kann schon sonst was geschehen sein. Harry und ich haben auch viel zu lange gewartet, das bereuen wir jetzt beide. Deshalb haben wir uns auch verlobt, schau hier."
Sylvia hält ihm die linke Hand entgegen. Der weißgoldene Ring ist sehr schlicht und kommt gerade deshalb besonders zur Wirkung, auch weil es der einzige Ring an ihren Fingern ist.
"Ach, dann war das gar kein Handkuss von Herrn Schneider, sondern er hat deinen Ring taxiert und leider sieht er nicht mehr so gut."
"Du bist ein Quatschkopf, Bruno. Das war sehr wohl ein Handkuss. Herr Schneider ist eben noch von der alten Schule."
"Aber Verlobung? Auch alte Schule, oder? Wer macht das denn heute noch, und warum hat Harry mir das nicht erzählt? Schöner Freund. Braucht ihr keinen Trauzeugen?"
"Nee, von Heirat ist ja nicht die Rede. Die Ringe sollen nur symbolisieren, dass wir zusammengehören. Ansonsten ändert sich nichts, das wollen wir beide so. Wir haben ja jeder ein erwachsenes Kind und wollen nicht durch eine Hochzeit die erbrechtlichen Angelegenheiten noch verkomplizieren. Du weißt ja, das mit der Tina ist sowieso schon schwierig genug. Willst du noch einen?"
Sie hat sich schon erhoben, wohl auch wegen dem Gast in der hinteren Ecke des Lokals, der sich schon ein paarmal nach der Bedienung umgesehen hat. Bruno steht auf und lässt ihr diesmal wesentlich mehr Platz, zollt der Verlobten seines Freundes den angemessenen Respekt.
Verlobung. Wäre das eine Lösung für mich? Kann man sich eigentlich auch mit mehreren Frauen verloben oder ist das auch schon Bigamie? Mal Karla fragen, was sie davon hält. Aber wie sieht ein Ring an meinen Wurstfingern aus? Und gibt es so große Ringe überhaupt? Und wenn ich dann mit einem Verlobungsring durch die Welt ziehe, keine Frau wird mehr mit mir reden, höchstens nach dem Weg fragen oder wann der Bus kommt…
Sylvia erscheint mit einem weiteren Rotwein und hat sich selber ein kleines Glas mitgebracht. Bruno erhebt sich wieder, um sie vorbeizulassen. Die Gasse ist wieder mehr auf Körperkontakt eingestellt. Verlobung ist keine ernstzunehmende Abgrenzung für ihn, das hat ja nun seine Analyse eben gerade klipp und klar ergeben. Sylvia schaut Bruno fest in die Augen und hebt ihr Glas, sozusagen Benimmregel, beim Anstoßen schaut man sich an. Bruno macht zwar Kling aber das mit dem fest in die Augen sehen, also da ist noch Luft nach oben. Wobei man nach vier Glas Rotwein natürlich immer den Nachteil hat, konzentriert zu sehen, ganz egal wohin.
"Na, hast du dir doch ein Gläschen eingeschenkt? Musst dir meinetwegen Mut antrinken, nicht wahr? Keine Sorge, ich bin ganz beherrscht, obwohl es nicht ganz einfach ist. Du bist schon eine, wo einem das Wegschauen nicht ganz leicht fällt, also ich meine…, du siehst schon verdammt gut aus."
"Mann, Bruno, stell dich doch nicht so an. Du sollst doch nicht wegschauen. Ich weiß doch, dass ich dir gefalle, aber man kann ja nun nicht jeden Menschen, der einem gefällt, gleich heiraten."
"Aber Verlobung!"
Sylvia muss lachen. Dadurch sieht sie in Brunos Augen noch schöner aus und durch den fünften Rotwein nochmal schöner. Ihm wird klar, er muss die Sache jetzt schnellstens abbrechen.
"Sag mal, wo ist übrigen Lucie? Hat Harry sie etwa mitgenommen?"
"Nein, wo denkst du hin? Lucie ist hinten in der Wohnung. Mit der muss ich nachher noch raus, Gassi gehen. Wolltest du sie ein paar Tage übernehmen?"
"Eigentlich sehr gerne, aber ich bin über Ostern gar nicht da. Ich will dann auch langsam mal los, muss morgen früh fit sein. Es geht an die Ostsee."
"Ostsee? Was machst du da denn? Ist das nicht noch viel zu kalt?"
"Ach was, ich besuche meinen Cousin, wie jedes Jahr zu Ostern. Sonnabend gehen wir zum Osterfeuer, direkt am Strand. Das ist richtig gut und vor allen Dingen warm. Für Notfälle wird auch Glühwein angeboten. Also wenn es nicht gerade regnet…"
"Dann mal viel Spaß, Bruno, ich hole mal deine Rechnung."
Noch einmal muss sie an ihm vorbei und noch einmal genießt er es. Jetzt aber, er weiß nicht warum, fällt ihm Karla ein.
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