Rudolf muss wohl unter großer Langeweile leiden. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, klammheimlich und mehrmals am Tag etwas in den Kasten zu werfen, der sofort zu plärren anfängt und mir den allerletzten Nerv raubt!“
Wenn Rudolf abgelenkt sein würde, seinem Tag wieder Struktur zu geben vermochte und somit unsinnig oder nicht, Beschäftigung fände, würde alle Unbill, die vor allem auf ihre Kappe ging, vergehen, so hoffte Herta jedenfalls.
Sie und er waren schon immer von starken Gegensätzen geprägt. Deshalb war der Bestand dieser Ehe Eingeweihten ein Rätsel. In ihrem Umkreis gab es Scheidungen wie Sand am Meer bei Leuten, die an sich ganz manierlich miteinander umgegangen waren.
„Gegensätze ziehen sich an,“ wie der Volksmund sagt, in ihrer beider Fall schien das zu stimmen. Allerdings bestätigt die Ausnahme die Regel, wobei sie wohl die Ausnahme waren.
Viele Ehen waren aus vielschichtigen Gründen gescheitert. Kaum aufzuzählen. Die Witwenschaft hatten nur wenige Frauen erreicht, deren Männer zu Staub zerfallen waren, der Rest hatte sich aus dem Staub gemacht.
Man wunderte sich deshalb, dass gerade diese beiden Menschenkinder, die so extrem unterschiedlich in allem möglichen waren, überhaupt miteinander konnten. Sie konnten offensichtlich, wie die langjährige Ehe bewies.
„In drei Jahren könnten wir, wenn nicht der Teufel einen von uns beiden schon vorher holen wird, die Goldene feiern,“ gab Herta mit einem Seufzer, aber nicht ohne Stolz von sich, wobei sie stets mit der Bewunderung ihrer Freundinnen rechnen konnte.
Rudolf war ziemlich kompliziert, wie sie fanden. Keine von ihnen wäre mit ihm auf Dauer ausgekommen, waren sie sich einig. Das banden sie aber der Herta nicht auf die Nase.
Erst neununddreißigjährig war Herta Großmutter geworden und ihr Mann mit seinen vierundvierzig Jährchen ein noch jugendlicher Opa, was zu ihrer Zeit fast einer kleinen Sensation gleich kam.
Genauso sensationell und dazu auch noch ehrenrührig war es zu ihrer Zeit gewesen, mit gerade mal achtzehn Jährchen, Mutter zu werden. Hertas eigene Mutter hatte sich nach der „Offenbarung“ und dem gemeinsamen sonntäglichen Mittagessen, das ihre unselige Tochter wieder „ausgespuckt“ hatte, aufs Sofa geschleppt. „Das überlebe ich nicht,“ hauchte sie und wartete liegend auf ihren Tod. Diese Schmach!
„Was werden die Leute dazu sagen,“ war ihre bange Frage und ihr einziger Kommentar, nachdem ihr bewusst wurde, überlebt zu haben.
Natürlich wurde hoppla hopp geheiratet, was soviel hieß wie: Mit Rückenwind! Schließlich war Rudolf ein Mann, ein Ehrenmann. Gerade diejenige, die den Schock überlebt hatte, ließ diesem ersten Enkel später alles durchgehen, was ihm überhaupt nicht gut bekam. Als der kleine Knirps um die zwei Jahre alt war, meinte seine Großmutter unvermittelt eines Tages in ihrem rheinischen Dialekt:
„Ich mach nit mehr lang!“ was auch immer sie darunter verstand. Dieser Enkel hat die Fünfzig bereits überschritten und seine Oma erfreut sich bis auf wenige Zipperlein immer noch bester Gesundheit. Lang ist ein relativer Begriff. Aber das Getue mit dem erstgeborenen Enkel war keineswegs relativ. Herta dachte gar nicht gern an die vielen Eskapaden zurück. Eine in den Enkel vernarrte Großmutter ist schlimmer als ein Erdbeben der Stärke Sieben der nach der oben offenen Richter Skala, stellte sie immer wieder fest.
Rudolf war ein Eigenbrötler geblieben. Erst recht nach seinem beruflichen Ausscheiden. Er tüftelte weiter an revolutionären Neuerungen an ihrem gemeinsamen kleinen Reihenhaus.
Seine beiden Katzen beschäftigten ihn mindestens so, wie seine technischen Dinge. Neben Freude machten sie ihm viel Arbeit und bereiteten ihm auch so manchen Kummer. Auf jeder Etage standen für die hohen Herrschaften Schüsseln aufdrapiert, wie bei reichen Leuten chinesische Mingh-Vasen. Seine Lieblinge konnten nach Herzenslust ihre Exkremente dort hineinpurzeln lassen, ganz nach Belieben. Sie hatten die freie Auswahl! Gefiel es ihnen im Parterre nicht, hatten sie noch weitere Möglichkeiten auf der ersten Etage und wenn es genehm war, auch noch unter dem Dach ihre Duftwolken verströmen zu lassen.
Neuerdings begann sich ihre Verdauung mit ziemlicher Regelmäßigkeit um fünf Uhr morgens zu regen. Mit anhaltendem scharren wurde diese Prozedur eröffnet. Herta nahm sie im Halbschlaf wahr. Den Langschläfer Rudolf trieb der bestialische Geruch aus den Federn. Er sprang auf, was für einen Morgenmuffel ein hartes Geschäft ist. Flugs beseitigte er das, was ihm Übelkeit verursachte. Herta duselte wieder ein und wusste, gleich wird sich der Geruch verflüchtigen. Jeden Morgen dasselbe Spielchen. Sie wunderte sich über Rudolfs Geduld, aber was blieb ihm anders übrig? Er war nicht unbedingt auf frühes Aufstehen erpicht, aber danach fragen diese eigenwilligen Kreaturen nicht. Sie suchen sich ihre Leutchen nach Belieben aus und biegen sie sich zurecht. Rudolf hatte sie allesamt in sein verkümmertes Herz geschlossen. Mit ihnen ließ sich reden, ohne dass er auf Widerworte oder Missverständnisse gestoßen wäre. Katzen waren für ihn einfach die besseren Menschen.
Das empfand Herta ganz und gar nicht. Diese kleinen Biester hatten die Angewohnheit, sie als erste zu wecken, was ihnen regelmäßig gelang. Das über beide Betten von Rudolf angebrachte Regal, auf dem vor allem Hertas Abendlektüre ihren Platz fand, diente den Katzen als Liegeplatz, sobald sie aufgewacht waren. Von dort bombardierten sie speziell die Herta mit den Büchern, die sie im Liegen mit ihren Tatzen ein wenig schoben, bis sie herunterfielen, geradewegs auf Herta, die sich unter dem Oberbett in Sicherheit brachte. Stand dann immer noch niemand auf, sprang der schwarze Kater auf Hertas Nachtisch, wo er sich an ihrem Schmuck zu schaffen machte. Herta räumte das Zeug so gut wie nie weg, was aber für sie meist der ordentliche Rudolf besorgte. Schon aus dem Grund, weil die Katzen den Verschluss aus kleinen Diamanten an der Perlenkette (ein Erbstück) mir nichts, dir nichts, immer wieder anknabberten. Ihr ehemaliger Glanz war erloschen, was Herta aber nicht störte. Die Kette war deshalb ja nicht unbrauchbar und ließ sich gut schließen.
Das erste, dieser für ihn beinahe anbetungswürdigen Tiere, ein halbverhungerter kleiner Tiger war Rudolf kurz vor Mitternacht vor seinem fünfzigsten Geburtstag entgegengelaufen. Eigentlich eher der Herta. Vorher hatte es einen kleinen Umtrunk mit wenigen Freunden gegeben. Man war nach Hause geeilt, um den Geburtstag dort mit den beiden fast erwachsenen Kindern zu feiern. Auf dem Weg am völlig im Dunklen gelegenen Bahndamm schrie Herta auf. Ihr war irgendetwas über ihre offenen Schuhe gelaufen. Sie vermutete, eine Maus und schrie gellend durch die Nacht. Wieder diese Berührung, die sich eine Maus niemals erlauben würde. Beim genauen Hinsehen, entdeckten sie den kleinen Kerl, der nahezu dreizehn Jahre bei ihnen blieb, bis ihn eine Tierärztin von seiner Krebserkrankung erlöste.
Zwei seiner „Lieblingstiger,“ hatte Rudolf mit denen er besser konnte, als mit jedem Menschen, schon beerdigen müssen. Die kleinen Gräber wurden von ihm mit Steinen markiert und auf jedes Grab pflanzte er winterharte Stauden aus Zuneigung und auch zur Markierung.
Herta beschlich der Gedanke, Rudolf müsse doch ein Herz haben und sie freute sich im Grunde genommen über seine Liebe zu diesen Pelztieren, die er sogar öffentlich zeigte. Sie selbst verbot sich, auch nur das kleinste böse Wort fallen zu lassen, wenn es um seine Katzen ging. Kurz vor Rudolfs Pensionierung hatte ihr Schwiegersohn ihnen ein Junges gebracht, das partout nicht aus seinem Motorraum zu entfernen war. Während er an seinem Auto bastelte, saß das Tierchen wie angeklebt dort und beobachtete sein Tun. Wohin nur mit dem maunzenden Beobachter?
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