„Du hast Recht, Rudolf, in einer Ehe sollte nur einer das Sagen haben!“ säuselte sie.
Ach, wie Rudolf sie in diesem Moment liebte. Er hatte einen guten Griff getan, obwohl ihn seine Mutter, ihren einzigen und einzigartigen Sohn seinerzeit gewarnt hatte mit der Feststellung:
„So eine aufmüpfige Frau heiratet man nicht!“
„Ich möchte dir bitte einen Vorschlag machen,“ vernahm Rudolf, war ganz Ohr und sein Glücksgefühl kannte keine Grenzen.
„Aber gern, meine Liebe!“ Er rückte näher an sie heran. Welches Glück hatte er doch mit dieser kleinen Frau, die man noch so richtig zurechtbiegen konnte.
Er reckte sich, fiel aber gleich wie ein Hefeteig zusammen, als er die nunmehr feste Stimme seiner jungen Frau vernahm, die forderte: „Dann lass mich das Sagen haben!“
In den beinahe fünfzig Ehejahren wurde das Thema nicht ein einziges Mal mehr angeschnitten.
„Meine Güte, wo ist die Zeit geblieben?“
Hertas monatliches Treffen fand wieder einmal statt.
Gern ließ Rudolf sie nicht ziehen. Für seinen Geschmack hatte Herta einen viel zu großen Freundes- und Bekanntenkreis. Er selbst war eher introvertiert und außer mit Herta ausschließlich mit seinem Beruf verheiratet gewesen, bisher jedenfalls. Das genügte ihm vollauf. Deshalb ängstigte ihn der Gedanke an die baldige Pensionierung nicht wenig.
„Du musst dich darauf vorbereiten“ hatte Herta ihm gepredigt. Schon lange, bevor es tatsächlich der Fall war, hatte sie verschlagen und nicht ohne Eigennutz versucht, ihn für irgendein Hobby zu begeistern. Nicht auszudenken, wenn sie diesen Pedanten in Zukunft etwa als Arbeitsvorbereiter in ihrem Haushalt, tagaus und tagein und bis zu ihrem Lebensende um sich haben würde.
„Du könntest einen Fotokurs besuchen im „Hermannhaus“, oder zu malen anfangen.
Er hatte sie wild angesehen, sein energisches Kinn vorgeschoben und gebrüllt:
„Ich will diese Vorschläge niemals mehr hören,“ und sein: „Basta!“ hätte Tote erwecken können. Im Zeichen des Löwen geboren, war das Gebrüll für ihn ein Muss, im Gegensatz zu Herta, der es als Wassermannfrau nicht einfiel, jemanden bevormunden, oder gar ändern zu wollen. Beides hielt sie für genauso unmöglich, wie wenn sie versuchen wollte, Schneeflocken zu rösten.
Sie hatte schon immer viel von Sprichwörtern gehalten.
„Jedem Tierchen sein Pläsierchen“ war ihre Maxime, die sie selbstverständlich auch bei ihren Kindern vertrat.
„Und was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem andren zu!“ war für sie ein ebenso wichtiger Grundsatz, den sie auch Rudolf gern vermittelt hätte.
Wie gut man sich doch kannte im Laufe der vielen Jahre. Zu gut für ihren Geschmack. Schon deshalb war es für Herta unerlässlich, ihren Kreis aufrecht zu halten. Es hätte schon längst kaum mehr einen Gesprächsstoff gegeben. Eindrücke bekam man von außen, von Freunden zum Beispiel und die wuchsen nun mal nicht am Wegesrand. Um alles im Leben musste man sich mühen und bemühen. Rudolf dachte da ganz anders. Das mit der Mühe war er nicht imstande einzusehen. Er brauchte keine Freunde, höchstens seinen Computer, der ihm schon vor der Pensionierung und jetzt erst recht Freude machte. Das technische Wunderwerk tat nur das, was sein technisch versierter Meister ihm befahl, nicht mehr und nicht weniger. Auch waren keine Widerworte zu erwarten. Er brauchte im Grunde genommen vor der Pensionierung keine Angst zu haben. Nicht mit einem solchen Freund im Rücken, dem er
noch nicht einmal zu antworten brauchte, und den er vor allem durch Ausschalten ruhig stellen konnte. Zudem, wie sollte er sich auf seinen letzten Lebensabschnitt vorbereiten?
„Da kann ich mich ja gleich auf den Tod einstellen“ hatte er unwirsch geknurrt.
Herta wusste, wovon sie sprach. Sie war im Kreis ihrer langjährigen Freundinnen die Jüngste. Sie waren ihr alle durch ihre mehr oder weniger leidvollen Erfahrungen mit ihren Männern und deren Ruhestand, ein gutes Stück voraus. Bei ihrer Freundin Lotte hatte das Schicksal sich bewährt und positiv nachgeholfen. Ihr Mann, Chef-Arzt und ein Arbeitstier sondergleichen, so ähnlich wie Rudolf, hatte den berühmten Löffel kurz vor seiner Pensionierung abgegeben, möglicherweise noch bevor es zu Missstimmungen hätte kommen können. Herzinfarkt!
Lotte lief fast täglich zum Grab ihres Mannes, leistete Abbitte und hatte ihren Anton nur in allerbester Erinnerung. Er war sozusagen durch sein Ableben zur rechten Zeit, von jetzt auf gleich zum Engel mutiert, obwohl Lotte an seiner Seite zwar ein Luxusleben, dafür aber das der mehrfach betrogenen Ehefrau geführt hatte, was sie nicht im Geringsten zu stören schien.
„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ war der Leitspruch der molligen Lotte, die stets Optimistin geblieben war. Die anderen Damen hatten sich mokiert, waren nahezu schockiert gewesen, aber sie hielten sich zurück. Ganz sicher waren sie sich nicht. Möglicherweise wäre ihnen auch hier und da heiß unter ihrem Pony geworden, wenn sie von den Eskapaden ihrer Ehemänner gewusst hätten. Bekanntermaßen erfuhren die meisten Ehefrauen von den „Verfehlungen“ ihrer Männer zuletzt, oder zum Glück überhaupt nicht.
Wie dem auch sei, Herta jedenfalls stünde etwas bevor, meinten die Damen einmütig und warfen sich Blicke zu, als bräche jeden Augenblick der dritte Weltkrieg über sie herein. Beim vierwöchentlichen Gedankenaustausch holte Herta sich die Informationen und Ratschläge, die sie brauchte. Sie war ja immerhin eine blutige „Anfängerin“, noch, jedenfalls. Aber alles praktisch Durchzuführende beruhte schließlich auf Theorien, oder? Herta war lernfähig.
Wie an dem Freitag, an dem es in ihrem christlichen Haushalt Fisch gab. Rotbarsch, genauer gesagt. Rudolf stocherte lustlos im weichen weißen Fleisch des Fisches herum. Ihm fehlte augenscheinlich etwas. Hurtig sprang Herta zum Kühlschrank, gleich neben ihrem Essplatz und reichte ihm, wie eine geweihte Hostie, die rote Catchupflasche. Rudolfs Miene erhellte sich. Ohne ein „Dankeschön“, das war während der langen Ehejahre auf der Strecke geblieben, goss er den Inhalt der fast vollen Flasche auf den armen Fisch, begrub ihn regelrecht darunter. Auch die saftig grünen Frühlingszwiebeln verloren ihre schöne Farbe, wurden ebenfalls rot ertränkt. Es war für Herta, die nicht nur gern kochte, sondern auch gern aß, zum Verzweifeln. Wie sehr hatte sie sich bemüht, eine anständige Köchin zu werden. In der ersten Zeit ihrer Ehe hatte Rudolf alles, wirklich alles aufgefuttert, und damals, Respekt!, gab es noch keinen Catchup. Er verzog zwar manchmal den Mund, so dass er seinem kleinen Sohn der Spinat missachtete, auffallend glich, aber er spuckte nichts an die Wand. Auch später dachte er niemals daran, ihre mittlerweile respektablen Kochkünste zu loben. Lob konnte man von einem Mann wie Rudolf sowieso nicht erwarten, aber immerhin und ohne zu murren oder zu tadeln, hatte er seine Teller damals leergeputzt. Mal mit hoher Geschwindigkeit und mal piano, je nach Genießbarkeit. Herta hatte herausgefunden, wenn es ihm besonders gut schmeckte, er sich in wilder Besessenheit Gabel für Gabel in den Mund schob. Er benutzte dazu so gut wie niemals ein Messer. Wenn Herta sah, wie er sich verrenkte, um ohne Messer klarzukommen, ging ihr der Hut hoch. Sie nahm sich zusammen, versuchte ruhig zu bleiben, kam dennoch nicht umhin, ihm vorzuschlagen:
„Ich würde es einmal mit einem Messer versuchen!“ Das war zu viel des Guten! Rudolf geriet außer sich.
„Ich habe gelernt, mit Messer und Gabel umzugehen. Ein Messer benutzt man nur, wenn man Fleisch zu zerschneiden hat. Kein Fleisch, kein Messer!“ schrie er und war kaum zu beruhigen. Wutschnaubend düste er ab.
„O.k.“ dachte Herta. „Wo er Recht hat, hat er Recht!“ Am nächsten Tag gab es Spaghetti, was für Rudolf eher die Ausnahme, als die Regel war. Er schwärmte nahezu in manischer Weise von Kartoffeln. Komischerweise schnitt er puppenlustig die langen Nudelfäden durch. Dazu musste er sich allerdings selbst um ein Schneidewerkzeug kümmern, denn kein Fleisch................................
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