Heidi Hartmann - Der Irrtum der Wunschfee

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"Du kannst ja in Drachenland über deine Zeit hier bei uns erzählen. Ich könnte mir vorstellen, dass dich einige darum beneiden. Und ich werde unsere Erlebnisse auch aufschreiben, und dann lese ich dir, deinen Freunden, Eltern und, wenn die Ältesten mögen, auch ihnen daraus vor, wenn wir dich besuchen kommen. Was hältst du davon?"
"Oh ja, das wäre schön! Du könntest ja auch ein Buch für die Menschen machen."
"Hm. Ich glaube nicht, dass andere Menschen von euch wissen sollten. Zu gefährlich! Und mit der Ruhe wäre es auch vorbei."

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Wie es begann …

Ein ganz normaler Montag im Juni.

Und er begann, wie der Sonntag davor endete – langweilig! Mit mir und meinen Gefühlen im Allgemeinen war einfach nichts mehr los. Ich hatte zu nichts Lust und auf einen Mann schon gleich gar nicht … Aber eine Schulter zum Anlehnen wäre nett. Ja, ein Freund, der einfach nur zuhört, keine Fragen stellt, mich kleines Mädchen sein lässt – denn tief in mir drin bin ich zurzeit nichts anderes. Ich suche Trost, jemanden, der mir das Taschentuch gefühlvoll reicht und mich in den Arm nimmt. Nur in den Arm und ohne jeden anderen Gedanken wohlgemerkt! Ja – das wünschte ich mir. Ich wollte einen Freund, der mich versteht …

Während ich so versunken in meine Kaffeetasse sehe, nehme ich eine Bewegung links von mir wahr. Vorsichtig schiele ich hinüber und kann es nicht wirklich glauben. Da sitzt ein, ein – ja was eigentlich? Es ist nicht sehr groß, lässt seinen Kopf hängen und schaut auf seine Füße, zumindest, was sein Schwanz, der über ihnen liegt, davon übrig lässt. Jetzt seufzt es und dabei entweicht ihm ein kleines Rauchwölkchen. Wenn ich jetzt noch Flügel sehe, würde ich vermuten, dass sich ein kleiner Drachen zu mir verirrt hat. Ein Drache? Während meine Gedanken gerade diese Unwahrscheinlichkeit einzuordnen versuchen, hebt er seinen Kopf und sieht mir direkt in die Augen. Eigentlich brauche ich den Flügelbeweis gar nicht mehr, aber er zeigt sie mir in dem Moment, als mir ein „Oh“ entweicht und er sich erschreckt.

Was ich nun empfand, ist kurz beschrieben: Ups – oh wie süß – ach der arme Kerl – und von null auf hundert war er da, mein Beschützerinstinkt! Menschen, die mich näher kennen, und Freunde im Speziellen wissen, welcher Film da genau bei mir ablief. Ich bin nicht mehr normal, kann es nicht sein, bin aber entschuldigt, weil einfach so gepolt. Mehr Worte braucht es nicht, und ich erwarte längst nicht mehr, dass es ein anderer versteht.

Kurz wandern meine Gedanken zu meinem Wunsch nach einer Schulter zum Anlehnen zurück. Hatte mir die Wunschfee zugehört, ich genuschelt und sie sich geirrt? Weil so, wie es aussieht, eher der kleine Kerl eine Schulter zum Anlehnen braucht, hier in der Fremde, und jemanden, nämlich mich, die ihn beschützt!

Ich spreche dem Drachen, der nicht viel größer als eine Katze ist, nett zu und frage mich zugleich, was er wohl so zum Leben brauchen würde.

Ganz vorsichtig, bloß keine hastigen Bewegungen, wende ich mich dem kleinen Wesen zu. Begeisterung sieht sicher auch bei einem Drachen anders aus. Unverändert wachsam beobachtet er mich und reagiert auf alles, was ich tue, mit einer Mischung aus Scheu und Verteidigungsmodus. Ist ihm etwas nicht geheuer, verändert sich sein Blick, er spannt seinen Körper an und seine Schwanzspitze zuckt. Seinen Nüstern entweichen kleine Rauchstöße, und mir ist sehr wohl bewusst, wie wichtig es ist, Freundschaft mit ihm zu schließen. Wo Rauch ist, kann Feuer nicht weit sein … Alles in mir ist, sich sicher, dass es ein Junge ist! Plötzlich habe ich tausend Fragen in meinem Kopf …

Reagiert er wie ein Hund, wenn man ihm direkt in die Augen sieht?

Sieht er in mir vielleicht eine Bedrohung?

Ich hoffe, dass meine Stimme so sanft zu ihm dringt, wie ich es beabsichtige, und sage ihm, dass es mir leidtäte, wenn er sich nicht wohlfühlt bei mir, und vielleicht lässt sich das ja irgendwie ändern. Ich gestehe ihm, das ich keinerlei Erfahrungen mit Drachen habe und es sich ja vielleicht um einen Irrtum handelt – denn ich wünschte mir ja einen Freund und keinen Drachen …

Der Drachen seufzt, entspannt sich und sieht sich ein wenig um. Schließlich bleibt sein Blick an meinem großen Kerzenteller hängen … „Das sind Kerzen“, erkläre ich ihm, „und wenn es dir irgendwie hilft, dich besser zu fühlen, kannst du sie ja anzünden.“

Das, was von den Kerzen übrig geblieben war, brennt.

Nun verstehe ich gleich zwei Dinge! Wir können miteinander „reden“ und er scheint, wie vermutet, nicht glücklich zu sein.

Als „Kuschel-Angebot“ schiebe ich ihm ein Kissen zu. Es ist gewiss bequemer, als in dieser Ecke zu sitzen. Natürlich hätte ich ihm meine Absichten hierfür erklären sollen – vorher!

Und so nehme ich das nächste, er seufzt und hält es wahrscheinlich für ein völlig dämliches Spiel. Dann spitzt er seine Lippen wie schon zuvor, doch bevor er loslegt, sage ich: „Stopp! Du sollst es nicht rösten, du kannst dich darauf legen, das ist gewiss gemütlicher als in dieser Ecke. Ein Nest sozusagen.“

Er sieht mich an. Dann beschnüffelt er es, sein Schwanz entspannt sich und er schiebt langsam einen Fuß nach vorne und tippt das Kissen an. Es wehrt sich nicht, es war schon tot.

Ich stehe langsam auf und sammle viele Kissen zusammen. Daraus machte ich einen Kreis und polstere seine Mitte mit Decken aus. Ich betrachte mein Werk und bin zufrieden.

Er hat mit Interesse beobachtet, was ich tat, und ich sage ihm, dass er, wenn er mag, hier schlafen könne. Denn so viel wusste ich, Drachen müssen auch schlafen.

Ich setze mich wieder auf meinen alten Platz und warte einfach ab. Ich gebe mich ganz entspannt und mache ihm damit hoffentlich Mut.

Es funktioniert. Er macht sich auf den Weg und ich sehe ihn das erste Mal in voller Größe. Kein Zweifel, ein kleiner Drache, danke, Wunschfee! Mit ihm ist mein Leben gewiss nicht mehr langweilig. Ausgiebig inspiziert und probiert er mein Angebot, während sich bei mir eine Frage nach der anderen meldet, auf die Google vermutlich auch keine Antworten haben würde. Was fressen Drachen? Die Großen von ihnen raubten früher Prinzessinnen, aber was haben sie eigentlich mit ihnen gemacht, wenn der Prinz nicht kam, um sie zu retten? Mein Innerstes ist sich sicher, das sie Fleisch fressen … Ich bin Vegetarierin, aber dafür kann er ja nichts. Ja, ich werde in den sauren Apfel beißen und über meinen Schatten springen müssen. Gleich morgen früh kaufe ich Fleisch ein, totes Fleisch!

Brauchen Drachen Auslauf? Wollen sie gekrault werden, brauchen sie Schuppenpflege, müssen ihr Krallen geschnitten werden? Wie viel Grad Raumtemperatur um sich wohlzufühlen? Was ist mit Beschäftigung? Kann er allein bleiben oder langweilt er sich, und was tun Drachen, wenn sie sich langweilen?

Während ich beschließe, mir eine Liste anzufertigen, hat sich der kleine Drachen in sein Nest gelegt und sieht zu mir herüber. Das erfüllte mich mit Stolz.

„Du bist müde, nicht wahr?“

„Seufz.“

„Ja, ich auch.“

Ich hole mein Bettzeug auf die Couch und sehe einer unbequemen Nacht entgegen. Es ist ein Zweisitzer. Aber ich will in seiner Nähe sein …

Wie eine Mutter würde ich über sein Wohl wachen. Ihn umsorgen, pflegen, hegen – lieben.

Es ist eine kurze Nacht, ich kann meine Augen einfach nicht von ihm lassen.

Ihm geht es nicht anders, aber irgendwann bleiben seine Augen zu. Ist er tot?

Vorsichtig setze ich mich auf und will zu ihm gehen, da bewegt sich seine Schwanzspitze.

Okay, nicht tot. Schließlich dämmere ich mit diesem wundervollen Gefühl von Glück, in das sich aber sogleich die Sorge um sein Wohlergehen mischt, ein. Immer wieder schiele ich auf den Wecker. Endlich, Rewe macht in einer Stunde auf!

Leise stehe ich auf.

Er öffnet schläfrig seine Augen.

„Guten Morgen, bleib ruhig liegen, ich besorge dir Frühstück.“

Da fällt mir die nächste Frage ein … Gehen Drachen Gassi?

Mit langsamen Bewegungen ziehe ich mich an, um ihn ja nicht zu erschrecken, und verlasse die Wohnung.

Schon habe ich Sehnsucht. Ob es ihm gut geht, ob er Angst hat so alleine und ob er mich vermisst?

Liebend gern wäre ich wieder umgekehrt, aber davon bekommt er kein Fresschen.

Eine Minute vor 7 Uhr, Rewe öffnet und ich spurte an die Fleischtheke.

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