„Ja, das ist eine gute Idee! Da fällt mir schon was ein. Doch zunächst wird sich Bernhard von Bräsow einstweilen verabschieden. Er wird mit seinen Fuhrwerken und wahrscheinlich viel Getreide in seine Heimat aufbrechen und Josephine hat mindestens vier Wochen Zeit zum Nachdenken. Weißt du jemanden, der ihn verfolgen kann?“, meinte Hinrich begeistert und kratzte seinen beeindruckenden braunen Bart, der sein halbes Gesicht verdeckte.
„Ich hatte an Joswig Stein gedacht. Er fährt in drei Tagen für Kock & Konsorten nach Stormarn. Fast die Richtung, die auch Freiherr von Bräsow einschlägt, um sein Getreide zu den preußischen Rebellen zu fahren.
„Nicht schlecht die Idee! Der Stein war es doch, der säumige Händler bis Tönning verfolgte, die Schulden eintrieb, und mit Taschen voller Geld zurückkam. Joswig ist mit allen Wassern gewaschen, und uns bisher immer treu ergeben gewesen. Und er kann die preußischen Schnösel nicht leiden, die in unserer Stadt herumstolzieren und überall ihre gepuderten Nasen reinstecken. Was für den mecklenburgischen Freiherrn Bernhard von Bräsow ebenso gilt, der aus Habgier und sonstigem Eigennutz die deutsche Sache verrät, wie Friedrich selbst.“ Auch in dem Punkt waren Hinrich und ich gleicher Meinung. Deutsche schießen nicht auf Deutsche, nur weil die höher gestellten Persönlichkeiten als Vertreter ihres Germanenstammes sich nicht einigen können!
Nach vier Wochen trafen wir uns aus dem gleichen Anlass im selben Gasthaus wieder. Nur diesmal hatte ich unseren Fuhrmann und Mann für alle Fälle, Joswig Stein mitgebracht. Er war erst letzte Nacht zurückgekommen und Hinrich und ich waren sehr gespannt, was er zu berichten wusste. Joswig, der recht kurz geraten war, konnte man trotzdem ganz leicht von weiten erkennen. Zu seinem grauen Dreispitz passte exakt seine Haarfarbe, die auch die buschigen Brauen einschlossen. Sein Filzhut zierte immer eine aufrecht stehende Gänsefeder, die ihn größer erscheinen ließ, dachte er zumindest. Doch die Mühe lohnte sich kaum, denn seine kleinwüchsige Natur war unverkennbar. Das noch volle Haupthaar des Hinterkopfes hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Des Weiteren bestand Joswig Stein aus braunen Kutscherstiefeln, die fast bis zum Gesäß ragten. An seiner Gestalt war nur eines groß: Die verhornten narbigen Hände mit den erdfarbigen Fingernägeln hatten die Größe von Mistgabeln. Man sah ihm an, dass er die Arbeit nicht scheute und blickte man ihm tief in seine Augen erkannte man einen gütigen Menschen in kleiner Gestalt. Wir schätzten jeden Zentimeter an ihm, denn er stand für Fleiß, Loyalität und Zuverlässigkeit.
„Gut Caspar, dass du Joswig gleich mitbringen konntest. Wie ist es gelaufen?“, raunte Hinrich ganz elektrisiert vor Neugier.
„Wir fuhren seinen Gespannen hinterher. Die Fahrt ging überraschenderweise zum hiesigen Hafen. Ich hatte mich schon gewundert, seine Wagen waren gar nicht voll beladen gewesen. Im Hafen sahen wir, wie er noch zusätzlich Kisten verstaute, die mit vorhandenen Weizensäcken verdeckt wurden. Dann fuhr der feine Herr in Kolonne mit seinen Leuten nach Osten. Jede Zollstation ließ er aus und nahm dafür große Umwege in Kauf. Auch durch tiefe Wälder mit schlechten Straßen schreckten ihn dabei nicht ab. Seine Männer bemerkten uns nicht. Wir konnten genügend Abstand halten, weil die Räder der Fuhrwerke tiefe Spuren in dem morastigen Boden hinterließen. Nachdem wir weiterhin ostwärts Stormarn und anschließend Lauenburger Gebiet durchquert hatten, sahen wir die erste Mecklenburger Zollstation kurz vor Boizenburg an der Elbe. Dort hatte ich das erste Mal die Chance, die Waren des Freiherrn von Bräsow näher zu betrachten. Unter dem Weizen befanden sich Kisten mit Waffen! Zeitgleich erfuhren meine Männer im Wirtshaus der Zollstation, das von Bräsow lediglich den Weizen verzollte. Jetzt verstand ich, warum er nicht direkt sein Zeug elbaufwärts transportierte. Dort wäre er viel öfter kontrolliert worden, als auf dem zurückgelegten Weg. Und in Hamburg fuhr er mit dem Weizen in den Hafen und wieder heraus, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Am nächsten Tag wurde die Ladung im Boizenburger Hafen verschifft und die Reise ging auf der Elbe weiter - Richtung Preußen.“
„So kann man viel Geld verdienen, wenn keine Skrupel vorhanden sind!“, fügte ich staunend und bestätigend hinzu.
„Du hast deine Arbeit gut gemacht, Joswig. Unseren Dank dafür!“, sagte Hinrich anerkennend. Joswig nahm seinen vereinbarten Obolus entgegen und versicherte uns nochmals seine vollste Verschwiegenheit. Wir tranken unser Bier und Joswig verabschiedete sich eilig und verschwand so schnell wie er gekommen war. Hinrich und ich sahen uns an und wussten genau, dass nun der schlimmste Teil des heiklen Vorhabens auf uns zukam. Wir mussten Vater und Josephine davon in Kenntnis setzen. Und zwar sehr behutsam, um die gerade wieder gewonnene Eintracht der Familie nicht aufs Spiel zu setzen. Zuerst sprachen wir mit Josephine, die wir mit aller Geduld überzeugen wollten.
In einem unserer Meinung nach günstigen Moment sprachen wir sie in der Küche an, als Vater noch im Hafen weilte. Doch leider war ein wenig Zorn im Spiel und die Katastrophe nahm ihren Lauf.
„Wir erfuhren von den Geschäften des Freiherrn von Bräsow. Man sagt, er schmuggelt Waffen nach Preußen. Er tarnte seine Wagen mit Weizensäcken. Dies alleine ist schon ein Verrat gegen sämtliche Reichsdeutschen, weil Friedrich II. doch gegen unseren Wiener Kaiser und gegen andere Deutsche marschierte. Doch auch noch Waffen dem Kriegstreiber zu zuschieben ist unverzeihlich! Wir meinen, der Mann ist nicht der richtige Umgang für unsere Schwester. Sag uns, wie du darüber denkst. Vater haben wir noch nichts gesagt und wir hoffen insgeheim, dies auch nicht tun zu müssen“, sagte Hinrich zwar in ruhigem Ton, aber ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen.
„Welchen Umgang ich pflege, müsst ihr mir überlassen. Da ihr zudem keine Beweise habt, sondern nur etwas glaubt gehört zu haben, sollten wir ihn fragen, wenn Bernhard wieder in Hamburg ist. Nicht wahr! Oder kennt ihr jemanden, der den Weizen gesehen hat?“, antwortete Josephine und stocherte nervös im Suppentopf herum. Hinrich schaute mich kurz ratlos an.
„Josephine, es ist so, dass Joswig den Weizen und die Waffen im Boizenburger Hafen gesehen hatte. Und zwar kurz vorm Ausschiffen elbaufwärts. Es gibt leider keinen Zweifel, Bernhard schmuggelt Waffen nach Preußen.“
„Tu nicht so scheinheilig, Caspar! Euch beiden würde es niemals leidtun, wenn es so wäre. Mein Lebensglück ist euch doch ein Dorn im Auge. Ich frage mich, was Joswig in Boizenburg macht, der sollte doch nur nach Stormarn fahren. Könnt ihr mir das erklären, ihr scheinheiligen Heuchler?“
„Gut Schwester, wir legen die Karten auf den Tisch. Wir haben Joswig hinterhergeschickt, weil wir von Bernhard von Bräsows Getreideschmuggeleien gehört hatten. Ist ja jetzt auch egal. Er ist jedenfalls ein Spion und ein Schmuggler der übelsten Sorte, und ich behaupte, dass er dich nur heiraten will, um einen Zugang zur Hamburger Kaufmannschaft zu erhalten“, fügte Hinrich druckvoll hinzu. Josephine fing an, mit Gegenständen nach uns zu schmeißen, die selbstredend in der Küche in ausreichender Zahl zur Verfügung standen.
„Ihr verlogenen Heuchler! Alle beide. Ihr droht mir, Vater alles zu sagen und ihr hintergeht mich, wolltet mich tölpelhaft überrumpeln. Haut ab aus meiner Küche und lasst euch hier nicht mehr blicken!“, brüllte sie und warf weitere Teller und Töpfe auf uns, die von immer größeren Ausmaßen waren und immer dichter auf uns zu flogen. Wir hatten alles vermasselt und fühlten uns bald elendig und schuldig, hatten wir doch langfristig das Unglück von unserer geliebten Schwester fernhalten wollen. Doch es kam noch viel dicker.
Plötzlich ging die Tür zum Dachboden auf und Lisa schaute vorsichtig mit dem Kopf durch die Tür.
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