Caspar und das Meer spricht Englisch Abb. B Baumhaus und Hafen. Sicht von der Malerbrücke über den Hamburger Binnenhafen
1. Prolog / Kapriolen der Nacht
2. Wechselspiel der Generationen
3. Bruch des Bandes
4. Der Beschluss
5. Fishbones Welt
6. … und das Meer spricht Englisch
7. Der Waldläufer aus Hamburg
8. Gegen den Strom
9. Jacobs Spuren
10. Die Stunde der Wahrheit
11. Albtraum
12. Lautlos übers Meer
13. Der steinige Weg zu neuen Ufern
Caspar kehr wieder! – Zweites Buch
14. Die Vision aus der Distanz
15. Der Besuch
16. Wettkampf um die Zukunft
17. Die dritte Fahrt
18. Französischer Konvoi
19. Das Schaf im Wolfspelz
20. Überraschung in Türkisblau
21. Rum gekommen
22. Spuren im Sumpf vergangener Zeit
23. Rebellion am Mississippi
24. Phase der Entwicklung
25. Amerikaner!
26. Naturgewalten
27. Die Geduldsprobe
28. Wiedersehen in Schwarz
29. Bräsows Vermächtnis und andere Katastrophen
30. Die Kraft der Liebe
31. Das verspätete Unglück
32. Eilige Formalität
33. Hilfe für Onkel Clemens
34. Der Besuch in Altona
35. Winter in La Rochelle
36. Fata Morgana?
37. Das Grauen unter uns
38. Visite für einen Augenblick
39. Die neue Zeit
40. Nachwort
41. Personen der Handlung
42. Quellenliteratur
43. Historische Hintergründe
Abb. B Baumhaus und Hafen. Sicht von der Malerbrücke über den Hamburger Binnenhafen
Caspar und das Meer spricht Englisch
Caspar Kock, der jüngste Sohn einer Hamburger Reeder Familie, landet beim Walfang durch den Beschuss der Briten im amerikanischen Kolonialkrieg. Dieses Ereignis (Caspar im Fahrwasser der Geschichte) ist sogleich Wendepunkt einer einstmals glücklichen Familie: Er erzählt seinen Kindern Cornelius und Caroline 22 Jahre später von seinen Amerikareisen und den folgenschweren Begebenheiten und lässt die Zeit bis zur Gegenwart jener Tage aufleben, nachdem er großes Interesse bei ihnen feststellte. Denn nun stand Cornelius` erste Amerikareise an und wieder tobte ein gewaltiger Krieg auf den Meeren. Auch Caroline schuftete, entgegen allen gesellschaftlichen Normen, als Kontoristin bei Kock & Konsorten und hatte als Vertreterin des weiblichen Geschlechts einen erheblichen Anteil am Geschäftserfolg. Mit veränderten Rollen im Familiengefüge und neuen Schwierigkeiten waren sie in der Gegenwart angekommen und der Wind wehte ihnen nicht nur auf den Meeren um die Ohren.
1. Prolog / Kapriolen der Nacht
Sie verfolgten uns auf dem verblockten Fluss, der schon alleine ohne ihre mörderischen Absichten ein riskantes Unterfangen für mich darstellte. Mit geübten Paddelschlägen kamen ihre Kanus immer näher. Jean Baptist, der Kundschafter, den man sonst nie hörte, schrie nun aus seinem Baumrindenboot: „Genau dort gehen wir an Land!“ Er wies uns unmissverständlich den Weg. Plötzlich zerfetzte die bleihaltige Fracht des Feindes die Schulter von Jean-Claude Aimauld, der durch die enorme Wucht des Geschosses kopfüber in das Kanu fiel und sich fortan nicht mehr rührte. Wen würde es als Nächsten erwischen? Für Hilfe und irgendwelche Regungen blieb keine Zeit. Wir mussten seinen Tod einfach hinnehmen. Als ob die Tat uns nicht bekümmerte, als ob Jean-Claudes Ableben uns überhaupt nicht interessierte, paddelten wir das letzte Stück verbissen weiter, ohne nach links oder rechts zu gucken. Mit großer Mühe und letzter Kraft erreichten wir ein kurzes Stück landungstauglichen Ufers, auf das die Boote rutschten. Es ging ums nackte Überleben. Eilig verließen wir das Vorland. Die Verfolger saßen uns im Nacken. Ich ließ notgedrungen den 1. Offizier unseres Walfängers Konstanze im Kanu liegen, ohne zu wissen, ob er nur verletzt oder bereits tot war. Den Matrosen Peter hatten wir bereits unterwegs auf dem Fluss verloren, nachdem ihn eine Kugel getroffen hatte und sein halber Kopf zerbarst und in alle Richtungen verstreut wurde. Hinter mir brüllte Simon, denn sie waren schon da, bis ihn eine große Kugelkeule zum Schweigen brachte. Ich drehte mich um und zog meine Handfeuerwaffe, die ich mir im geladenen Zustand eigentlich bis zu meinem Ende aufbewahren wollte. Der völlig rot bemalte Indianer, der seine Kriegslust durch die kahl geschorenen Seiten des Kopfes unterstrich, hatte seinen vorsintflutlichen Totschläger – die Kugelkeule – zum letzten Mal geschwungen. Glücklicherweise erwischte ich ihn und er sah bis zuletzt zu dem kleinen Springbrunnen auf seiner Brust, den mein Schuss verursacht hatte. Schließlich brach er mit klagendem Geheul zusammen. Mir lief ein kurzer feuriger Schauer bei seinem Anblick über den Rücken. Dabei war es für die Irokesen ein durchaus ehrenvoller Tod, im Kampf zu sterben. Nicht viel anders als der ehrenvolle Tod auf dem Feld für das Mitglied eines europäischen Offizierskorps. Seine Familie wird stolz auf ihn sein. Aber zum Teufel mit ihm – armer Simon, du hast ein solches Ende nicht verdient!
Unser Expeditionsleiter Capitaine Maurice Martier hatte seinen gleichrangigen Freund der französischen Armee, Jean-Claude Aimauld, ebenfalls am Fluss liegen lassen müssen. Die Pfeile der Irokesen rauschten immer dichter an unseren Köpfen vorbei, nachdem sie ihre veralteten Flinten abgeschossen hatten und nun ihre bewährten Waffen bemühten, die nicht mit Pulver und Blei nachgeladen werden mussten. Sie kamen nun mit allerlei Kriegsgeschrei immer näher. Die schwirrenden Geräusche der kunstvoll gefertigten Geschosse lösten noch nie da gewesene Panikattacken in mir aus. Meine Beine wollten nicht mehr und die Atemluft wurde knapp. Die Angst verwandelte sich plötzlich in schäumende Wut, die meinen Antrieb neuerlich beflügelte. Es wäre geradezu sinnlos, hier in der Wildnis einfach so zu sterben! Derweil schwor ich mir inständig, mein Schweiß sollte die einzige Flüssigkeit bleiben, die an diesem Tage an mir hinabrann.
Wir waren mitten in Amerika auf dem Alleghenyfluss in einen Hinterhalt geraten und sahen uns einer gewaltigen Übermacht der britischen Verbündeten, den Irokesen, ausgesetzt. Die Briten selbst zeigten sich heute nicht mit ihren grellen Rotröcken, quakenden Dudelsäcken, großen bunten Bannern und durchdringenden Trommeln. Meine Wegbegleiter verloren sich in der grünen Hölle des allgegenwärtigen Buschwerks. Lediglich unser Waffenmeister Hannes und Strandläufer, der Micmac-Kundschafter, wusste ich neben den Verfolgern in meiner Nähe. Sie griffen im letzten Moment die zusätzlichen Waffen aus unserem Reisegepäck und kamen zuletzt auf der Kuppe des armseligen Hügels an, der nach dem Willen des Kundschafters unsere Trutzburg werden sollte. Enttäuscht schauten die beiden Maurice und mich an, als sie uns von entschlossenen Indianern umstellt sahen. Sofort verschnürten die Irokesen uns, wie es die Spinne im Netz mit ihrer Beute machte. Noch bevor wir begriffen, dass es besser gewesen wäre, im Kampf zu sterben, als ihnen lebend in die Hände zu fallen. Ein muskulöser stämmiger Krieger schrie mich an, als ob ich wie ein frecher Lausbub etwas ausgefressen hätte. Ein Schweißausbruch jagte den nächsten. Ein kleiner dicklicher Krieger machte uns mit bösem Blick unmissverständlich deutlich, dass er eine Unterhaltung zwischen uns nicht duldete. Sein Gewehrkolben streifte prompt meine Wange. Ein anderer mit grell bemaltem kahlen Schädel und einem letzten Haarbüschel, das mit blau gefärbten Vogelfedern verfeinert war, ritzte mit seinem Messer langsam die Kopfhaut von Maurice vor dem Haaransatz der Stirn auf. Der machte darauf keinen Piep. Der Gelbkahlkopf zeigte uns eindrucksvoll, wie die Irokesen mit ihren Feinden umzugehen pflegten und an welchem Gürtel Maurices Skalp bald hängen sollte. Am Fluss fielen jetzt nochmals Schüsse. Zuerst dachte ich, dass Hilfe naht. Doch wahrscheinlicher war, dass unsere verletzten Weggefährten den Gnadenschuss erhielten. Oder konnten sie vielleicht fliehen? Danach blieb es dort ruhig, während wir auf den Abtransport warteten. Wohin wird es jetzt gehen? Unsere Zukunft schien von kurzer Dauer und fragwürdiger Qualität zu sein.
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