1 ...8 9 10 12 13 14 ...24 „Könnt ihr überhaupt noch zuhören?“, fragte ich erneut.
„Na klar, Vater! So langweilig erzählst du gar nicht - heute! - Uns beide gab es da noch gar nicht und der Mief, von dem du zuletzt sprachst, der liegt nunmehr zwei Jahrzehnte über der Stadt. Scheinbar ist immer noch nichts passiert. Liegt das Rathaus im Windschatten des Gestanks?“, fragte Cornelius entsetzt.
„Du hörst tatsächlich zu, gut! Allerdings rechtfertigt dies nicht, gegenüber deinem Vater frech zu werden, mein Sohn!“
„Entschuldige, es sollte lustig sein. Insgeheim weißt du, wie gerne wir dir zuhören“, gab er an. Ich schaute ihn eine Weile an, er verzog keine Miene. Schließlich fuhr ich fort.
„Nein, vor dem Rathaus riecht es auch nicht besser. Aber ganz so ist es nicht mit dem Duft über der Stadt. Die Fleete, die Abwässer der Stadt aufnehmen, wurden öfters vertieft. Doch die aufgestaute Alster führt unterschiedlich Wasser und somit ist auch der Transport durch die Fleete mal mehr oder weniger wirksam. Heute riecht es deshalb ab und zu. Früher den ganzen Sommer lang. Seit einiger Zeit denkt man, mit Schleusen das Problem zu lösen. Aufgestautes Wasser könnte druckvoll durch die Fleete rauschen, um einen heftigen Spüleffekt zu erzeugen. Die Ratsherren werden bestimmt lange streiten, bis eine Entscheidung getroffen wird. Schließlich können keine Schuten oder Kähne be- und entladen werden, wenn zeitgleich Flutwellen durch die Fleete toben, oder?“
„Ja, ja, die Interessen der Kaufleute. Trotzdem können wir für die Stadt und seine Bewohner hoffen. Am Kehrwieder weht immer eine frische Brise, darum merke ich erst die schlechte Luft, wenn meine Nase die andere Hafenseite erreicht hat. Aber eigentlich wollte ich nochmals zurückkommen auf die Ankunft der Konstanze : Waren Tante Nathalie und Onkel Clemens schon zu diesem Zeitpunkt über Jacobs Verschwinden informiert gewesen?“, meinte Caroline, die als Erste den Faden wiedergefunden hatte.
„Der Umweg über Frankreich wäre für Kapitän Broder zu groß gewesen. Sie hatten versucht, die Nachricht einem Schiff unterwegs auf See nach La Rochelle mitzugeben. Leider blieben die Versuche erfolglos. Es war dementsprechend unsere Aufgabe gewesen. Das nächste Schiff nach Frankreich segelte selbstverständlich mit einer ausführlicheren Nachricht.“
„Hatte der Walfänger die weite Reise und den Beschuss gut überstanden, Vater?“, fragte Cornelius.
„Der Neubau Konstanze war, trotz widriger Umstände, in einem erstaunlich guten Zustand. Allerdings wurden einige kleine Reparaturen im Quebecer Winterquartier vorgenommen, schon allein deswegen, um die lange Liegezeit zu nutzen, in der das Schiff kein Geld verdiente.“
Cornelius vermied es, nochmals zum Gebäck zu greifen und dabei lag es nicht an seinem Appetit. Seine Finger zuckten und seine Schwester lauerte, nachdem sie in einem unbeobachteten Moment die Schale näher zu ihm stupste. Nur zu gerne hätte sie ihn wegen seines Benehmens bloßgestellt, nachdem sie den Moment vorhin verpasst hatte. Er bekam dann immer rote Ohren und fing an zu stottern, wenn sie durchstartete. Für dieses hausgemachte Schauspiel war Caroline um keine List verlegen, und es störte sie nicht im Geringsten, dass ich alles mitbekommen hatte. „Niedlich“, sagte sie in solchen Situationen kichernd, und ging lächelnd zur Tagesordnung über, ohne wirklich böse Absichten gehabt zu haben. Sie liebte ihren Bruder eben auf ihre höchst eigene Weise.
Der folgenschwere Krieg in Europa und Übersee veränderte unser Leben in Hamburg zunächst recht wenig. Die Stadt setzte ihre stete Neutralitätspolitik fort, soweit dies aufgrund der Verpflichtungen möglich war. Friedrich II. lieh sich unentwegt Geld von der Stadt. Ohne das Hamburg vom bedingten Handel und von der Aufrüstung des Königreiches wirklich profitieren konnte. Obwohl Preußen in diesen Zeiten Hamburg auch als Überseehafen nutzte, flossen die Warenströme an den Stadtkassen vorbei.
Die Preußen wickelten ihren Seeverkehr aber weitestgehend über den dafür ausgebauten Ostseehafen Stettin und dem preußischen Hafen in Emden-Ostfriesland an der Nordsee ab. Ostfriesland gehörte seit 1744 zu Preußen. Wurde aber eigenständig durch einen Kanzler dezentral regiert. Getreide verkauften die neutralen Dänen und Mecklenburger an die Preußen, wenn es auch inoffiziell geschah.
So lernte Tante Josephine in jener Zeit preußischer Aktivitäten ihres zukünftigen Gatten kennen. Die Stadt war gespickt mit preußischen Agenten, die einerseits die Unternehmungen in Hamburg beobachteten, anderseits Vorräte aller Art aufkauften, die im Krieg benötigt wurden. Insofern verzeichnete Hamburg einige Gewinne, ohne nennenswerte Bedeutung. Diese Agenten traten als Diplomaten, Edelleute und Gesandte, aber auch als Handwerker und natürlich als Kaufleute auf.
Als eure Tante Josephine von Jacobs Geschichte erfuhr, trauerte sie drei Tage in ihrer Kammer um ihren geliebten Cousin. Ohnehin hatte sie deswegen sehr gelitten. Jacob erwiderte ihre Liebe, wenn auch auf seine Art und Weise. Ihr braucht hier nicht nachfragen. Ich kann dazu nicht mehr sagen. Jacob hatte mich diesbezüglich auf See ins Vertrauen gezogen und deswegen will ich nicht darüber sprechen, auch nach so langer Zeit nicht.
Alsbald verabredete sie sich wieder mit den Freunden, so wie sie es früher in unbeschwerten Zeiten gemacht hatte. Sie war immer eine Frau von höchster Anmut und besonderer Heiterkeit gewesen, die ihre Wirkung auf das männliche Geschlecht nicht verfehlte. Darauf gaben sich ihre Verehrer wieder die Klinke in die Hand, sowie es früher der Fall war. Sie hatte den Anschluss an das Gesellschaftsleben schnell wieder gefunden, bis dieser Mann aus Mecklenburg in ihr Leben trat, von dem nun die Rede sein wird.
Die Liebe schlug wie ein Blitz bei Josephine ein. Er umgarnte sie mit seiner schmierigen Art von morgens bis abends und es war nur eine Frage der Zeit, bis er an Vater herantreten würde, um seine Absichten kundzutun. Hinrich und ich waren uns nach langer Zeit so einig, wie nie zuvor. Wir trafen uns insgeheim in einem entfernten Gasthaus vor den Toren der Stadt und überlegten, wie unsere Schwester vor dem Gauner zu retten war. Auch unsere Frauen sollten erst einmal von unserem Vorhaben ausgeschlossen bleiben, da wir eine kleine Verschwörung der Frauen aus Unwissenheit nicht ausschließen konnten. Wir wussten, dass er für die Preußen im Hamburger Hafen spionierte und zum Teil über seinen Landsitz in Mecklenburg Getreide nach Potsdam aufkaufte. Getreidehändler hatten ihn sogar im Holsteinischen, wie im heimischen Land gesehen, wie er mit Bauern um den Preis feilschte. Später berichteten sie meinem Vater von den Vorfällen, als die Gelegenheit in Hamburg dies ermöglichte. Außerdem war Freiherr Bernhard von Bräsow Anteilseigner einer mysteriösen Fregatte, die unter dänischer Flagge nach Übersee fuhr. Wir hatten noch nie etwas von dem Schiff gehört. Es war jedenfalls nicht an der Elbe beheimatet.
„Wir müssen herausfinden, wie er seine neu hinzugewonnenen Kenntnisse transferiert“, sagte Hinrich in gedämpften Ton, als der Schankwirt irgendwo im dunklen Hohenfelde die Biere an unseren Tisch brachte.
„Und es ist erforderlich zu wissen, welchen Weg das Getreide nach Preußen nimmt“, fügte ich mit gedämpfter Stimme bei unserem konspirativen Treffen an.
„Genau! Wir werden jemanden hinter ihm herschicken müssen, der in solchen Angelegenheiten geübt ist. Sollten wir dem Kerl auf diesem Wege nicht sein schmutziges Handwerk nachweisen können, wäre auch eine Überprüfung seiner Schiffsanteile hinzu zuziehen. Er sagt einfach nicht, um was für ein dubioses Schiff es sich handelt.“
„Ich habe versucht, ihm die Namen seiner Partner und des Kapitäns zu entlocken, doch er ist geschickter als ein windiger Jongleur des Hopfenmarktes. Zusätzlich müssen wir Josephine mit reichlich Arbeit eindecken, damit sie wenig Zeit für ihn hat. Kannst du dich darum kümmern?“, fragte ich Hinrich.
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