Dass Naomi voll auf ihn wirkte, ihn gefangen nahm und nicht mehr losließ, merkte Jessi sofort. Naomi hatte ihn sofort elektrisiert, in einem viel stärkeren Ausmaß, als es seine Konkubine je vermochte. So war es nicht verwunderlich, dass Jessi recht feindselig reagierte, wenn er das Gespräch auf Naomi brachte. Aber sie konnte nicht vermeiden, dass sich die gewollt ungewollten Begegnungen häuften. Naomi ging später als vorgesehen, kam früher als geplant, tauchte plötzlich, also zur Unzeit, in der Wohnung auf oder machte dann keine Anstalten, die beiden allein zu lassen. Dann saßen Jessi und er untätig herum, sie höchst unzufrieden und gereizt, er entspannt und neugierig auf all das, was Naomi tat und glücklich, sie eingehend und von der Nähe betrachten zu können. Er lachte über ihre Witzchen, die sie gerne über das alte Ehepaar, also über ihn und Jessi machte, und hörte sich vergnügt all die Belanglosigkeiten an, die sie so von sich gab. Er verschlang sie mit geilen Blicken, wenn sie sich auf der großen Couch räkelte, sich wie eine Katze zusammenrollte oder alle viere weit von sich streckte. Er glotzte ihr gierig hinterher, wenn sie barfuß in der kleinen Wohnung herumstolzierte, das kurze Kleid, sie trug immer kurze Kleider, bis an den Po hoch gerafft, um es angeblich vor all dem Staub und Dreck zu schützen, den Jessi nicht entfernt habe. Er konnte nicht genug kriegen, selbst wenn sie sich einfach nur hinstellte und die Hände vor die deutliche Wölbung ihres Bauchs spreizte. Frauen mit Bauch, mit dezentem Bauch, erregten ihn, vor allem wenn sie dann noch die Brust vor reckten, so wie Naomi es gern tat, ihr Busen war wirklich wunderbar, eine Erholung für seine Blicke, die Jessis eher kümmerliches Vorwerk schon längst nicht mehr schätzten. Wenn sie nur so da stand und sonst gar nichts tat und vor allem auch mal eine Weile den Mund hielt, begann es in ihm zu pochen. Er linste durch die halb geöffnete Badezimmertür, wenn sie duschte oder ihr Make-up auffrischte, sah aber kaum etwas. Er war vollends atemlos und konnte den Blick dann nicht mehr von ihr lösen, wenn sie an warmen Tagen ihr Kleid oder das T-Shirt und die Hose ablegte und nur noch in BH und Slip herumlief, weil sie angeblich die unerträgliche Hitze in der Wohnung nicht aushalten könne. Allerdings nackt, völlig nackt oder auch nur ihren nackten Busen, hatte er bisher nicht zu sehen bekommen. Jessi war, wenn sie diese deutliche Anmache registrierte, frustriert und wütend, konnte aber nichts dagegen machen. Sie war von beiden abhängig, von Naomi sogar total abhängig.
Diese seltsame Dreiecksbeziehung dauerte ein paar Wochen, dann, Mitte November, traf er Naomi zum ersten Mal allein. Das Treffen fand natürlich auch an einem Samstag statt, dem einzigen Tag, an dem er es arrangieren konnte. Er hatte es sich nicht leicht gemacht, denn Jessi bedeutete ihm durchaus etwas. Sie war ihm sympathisch, er hatte sich an sie gewöhnt und sie bot ihm eigentlich alles, was er brauchte und soviel Anstand besaß er auch, dass er sie nicht verletzen oder kränken wollte oder gar einen Grund für eine Trennung liefern wollte. Aber die Biologie übertölpelte ihn, die Hormone spielten verrückt, die Geilheit besiegte den Verstand. Er wollte Naomi haben, diese so andere Frau, die ihn immer offensiv anschaute, ihn mit Blicken und Gesten regelrecht provozierte, die ihn im Laufe der Zeit mehr und mehr angemacht hatte und die er schließlich unbedingt haben wollte. Doch als er Naomi einmal diskret ansprach, als Jessi auf dem Klo war, zögerte diese zu seinem Erstaunen, als wäre ihr der Gedanke, sich mit ihm allein zu treffen, überhaupt noch nie gekommen. Er war enttäuscht, weil er sich sicher war, bei ihr offene Türen einzurennen, nach all diesem koketten Verhalten und Getue. Er vermutete, dass sie sich nur zurückhielt, um ihr Verhältnis zu Jessi, das merklich gestört war, nicht noch mehr zu belasten. Aber er hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt und folglich insistierte er seinen Wunsch bei jedem Besuch und schließlich stimmte Naomi zu. An diesem Samstag rief er Jessi viel früher als gewöhnlich an und sagte ihr unverblümt, dass er sich heute mit ihrer Freundin - war sie noch Freundin oder nur noch Konkurrentin? – treffen wollte und dass er deswegen für sie, Jessi, keine Zeit habe. Er war froh, dass er mit ihr nicht von Angesicht zu Angesicht sprechen musste, dafür war er zu feige. Sie reagierte wie erwartet, schrie in das Telefon, dann heulte sie, dann beschwor sie ihn, zu ihr zu kommen, sie nicht zu verlassen und nichts mit dieser Schlampe, diesem Luder anzufangen. Er hörte sich ihre Wut und ihre Klagen eine Weile an, versuchte ein paar lauwarme Erklärungen und Entschuldigungen anzubringen, es sei ja nur vorübergehend, er wolle halt auch mal eine Abwechslung, sie seien ja schließlich nicht verheiratet und all solchen Blabla. Doch schließlich wurde es ihm zu dumm, er sagte tschüss, legte auf und schaltete das Handy ab, um den Anruf von Jessi, der umgehend kommen würde, erst gar nicht anzunehmen.
Das Essen mit Naomi war nicht viel anders als das mit Jessi, mit drei Unterschieden. Der eine war, dass sie sich bei einem Griechen und nicht bei dem Stammitaliener trafen, der zweite, dass Naomi im Gegensatz zu Jessi kräftig zulangte, Vorspeise, Nachspeise, Dessert, Schaumwein, Kaffee, Likör während Jessi immer nur wie ein Huhn ein wenig herum pickte und zum dritten, dass sie, obwohl ständig essend oder trinkend ihn regelrecht voll laberte, ihn kaum zu Wort kommen ließ, geschweige denn wissen wollte, was er zu sagen hatte, während ihre Freundin meistens schwieg, vor allem beim Essen. Sie erzählte Geschichtchen aus ihrem Leben, Erfahrungen und skurrile Momente mit ihren vielen Freiern. Dann fuhr sie über Jessi her und machte sie nach allen Regeln der Kunst schlecht. Sie sei ja nur die Untermieterin, die gnädigerweise bei ihr wohnen dürfe. Sie, Jessi, sei von ihr, Naomi, total abhängig, weil sie nichts allein machen wolle und könne. Sie, Jessi, habe Angst vor allem und jedem und großes Heimweh nach dem verdammten Afrika und ihrer gottverdammten Familie und ihrer Brut, die sie unvernünftiger Weise in die Welt gesetzt habe und den Vater dann vergrault habe und für die sie sich immer noch verantwortlich fühle. Jessi sei in Wirklichkeit arm, weil sie immer viel Geld nach Hause schicken müsse, sie könne sich ja kaum etwas für sich selbst leisten. Ob ihm schon einmal aufgefallen sei, dass sie immer dieselben alten Klamotten trage, Klamotten aus dem Second-hand-Laden, dass ihr Make-up einfallslos und billig sei. Nur für die Haare würde sie Geld ausgeben, weil ihre eigenen kurz und kraus und total langweilig seien und sie ohne ihre aufwändige Frisur jeden Mann abschrecken würden. Und ob er gemerkt habe, dass sie selten Unterwäsche trage? Nicht nur, weil die zu teuer sei, nein, weil sie aus einem rückständigen Stamm komme, dort sei Unterwäsche unbekannt und diese Tradition habe sie auch hier beibehalten, diese elende Schlampe, die nicht einmal ihren Namen richtig schreiben könne. Sie, Naomi, sei dagegen zivilisiert und gebildet, sie sie auf eine Superschule gegangen und sie würde genug Geld verdienen und könne ganz gut leben, weil sie viel attraktiver sei, mehr Männer anziehen würde und viel mehr Trinkgeld bekäme. Er hörte ihr zu und war von ihr fasziniert. Sie war so direkt, so sinnlich, so verführerisch, so herrlich vulgär und unkompliziert, so überschäumend und direkt, mit anderen Worten, sie war so völlig anders als diese harmlose, bigotte Jessi, die auf einmal nur noch Zweitfrau, nein Drittfrau war, weitgehend uninteressant, abgemeldet, abgeschrieben. Nachdem sie fertig und er die nicht unbedeutende Rechnung beglichen hatte, schlug er vor, in ein Hotel zu gehen, obwohl er keine Ahnung hatte, wo man um die Mittagszeit ein Hotel finden könnte, dass Zimmer auf Stundenbasis vermietete. Aber Naomi sagte resolut, dass solch eine Geldverschwendung nicht infrage komme. Sie nestelte ihr teures i-Phone aus ihrer Gucci-Handtasche und rief Jessi an. Ein paar harsche Worte in einer Sprache, die er nicht verstand, dann war die Wohnung frei.
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