Sie liebte Tücher. Eigentlich ging sie selten ohne Kopfbedeckung außer Haus. Im Sommer waren es Tücher, im Winter meist eine Haube. Die Sommertücher schützen vor Hitze, die Hauben vor Kälte und noch dazu waren beide ein Schutz vor Zecken. Denn Rebekka liebte es im Wald zu sein. Wenn sie traurig war, und das war sie in letzter Zeit ziemlich oft, nahm sie ihren Hund und machte stundenlange Waldspaziergänge. Oft sah sie Rehe, Vögel, Hasen, Füchse oder andere Tiere. Sie sammelte Pilze und betrachtete die verschiedenen Wildkräuter und Blumen. Dort konnte sie ihre Sorgen vergessen und war eins mit dem Universum. Sie hatte Kollegen, die ihren gesamten Unterricht in die Natur verlegten. Das fand sie eine ausgezeichnete Idee. Sie wusste, dass das Lernen in und von der Natur eine große Chance für die Bevölkerung war. Leider nahmen es viel zu wenig Menschen an. Die meisten lebten im Hamsterrad und kamen aus diesem auch bis zum Sterben nicht mehr heraus. Vielleicht konnte sie auch Waldspaziergänge mit den Flüchtlingen machen, oder mit ihnen einen Garten gestalten. Sie hatte schon einige Ideen im Kopf. Die Burschen taten ihr leid. Sie überlegte sich dauernd, was sie als Mutter machen würde, wenn Krieg in Europa herrschen würde. Ihre Kinder waren noch klein, aber wenn sie kämpfen müssten, was würde sie tun? Die Menschen um sie herum, redeten von Kampf geilen Soldaten, die nur darauf warten würden, einzurücken. Für sie war das eine besorgniserregende Vorstellung. Sollte sie ihre Jungs in den Krieg schicken, oder würde sie alles dafür tun, dass sie dem entrinnen konnten? Einige ihrer Freunde und der Familie waren der Ansicht, dass die jungen Männer feig wären, weil sie nicht im Land bleiben und dort für ihr Land kämpfen würden. Wollte sie überhaupt, dass ihre Söhne kämpften? Rebekka schob den Gedanken beiseite, für sie war es unvorstellbar ohne ihre Söhne zu sein. Sie wollte vor ihren Kindern sterben. Es muss ganz schlimm sein, überlegte sie manchmal, wenn die eigenen Kinder vor einem sterben.
Georg – verlogen
Als Georg diesen Morgen aufwachte, fühlte er sich wie gerädert. Die Nacht war wieder viel zu kurz. Er kämpfte damit, aus dem Bett zu kommen. Der Wecker hatte schon drei Mal sein Signal abgegeben und er bündelte seine ganze Kraft, um aus dem Bett zu kommen. Vor einigen Jahren vertrug er den Alkohol noch besser, aber das Alter zeigt auch beim ihm Spuren. Die langen Nächte zeichneten sein Gesicht, aber vor allem seinen Körper. Georg war in jungen Jahren ein dynamischer Mann gewesen. Jetzt ist er nur mehr eine Marionette seiner selbst. Wie ein Hamster betrat er sein Rad jeden Tag aufs Neue. Aufstehen, arbeiten, mit seinen Freunden trinken, essen, fernsehen, schlafen. Für andere Dinge hat Georg in seinem Leben wenig Platz. Die Abwechslung in seinem Leben bestand aus der Wahl der Wurstsorte, die er jeden Tag in großen Mengen aß und der Frauen, die in den langen Nächten kennen lernte. Dort konnte er die Bestätigung finden, die er zuhause nicht hatte. Die Frauen an oder hinter der Theke verstanden ihn besser als seine Familie. Dort hatte niemand Verständnis für seine Arbeit und seinen Ausgleich. Das Trinken. Er selbst sah sich nicht als Alkoholiker und hasste es, wenn er auf sein Trinkverhalten angesprochen wurde. „Was machen schon die paar Bier jeden Tag“, grübelte er. Georg trank fast täglich. Es gab immer einen Anlass dazu, meist hatte er es gar nicht geplant. Alkohol gab es an jeder Hausecke. Es gab kaum jemanden in Georgs Umfeld, der nicht trank. Wenn er sein erstes Bier am Tag hinunter leerte, merkte er, wie sich sein Körper zu entspannen begann. Plötzlich kamen ihm Wörter in den Sinn, die er mitteilen wollte. Mit dem zweiten Bier, dass meist nicht ausblieb, verwandelte sich seine unsichere Person in eine lustige, amüsante Erscheinung, die die Menschen, um ihn zum Lachen brachte. Doch so schnell diese Wandlung passierte, so schnell verschwand sie auch wieder. Nach ein paar Bier und ein paar Schnaps wurde aus Georg ein Besserwisser und Störenfried. Seine Meinung war die Einzige, die in diesem Augenblick zählte. Georg war es wichtig zu arbeiten. Die Arbeit ging ihm nie aus. Irgendwo gab es immer irgendjemanden, der seine Hilfe benötigte. Georg konnte nicht „Nein“ sagen. Manchmal ärgerte er sich, weil er vorschnell Aufträge angenommen hatte, die ihn unter Zeitdruck brachten. Das kompensierte er meist mit noch mehr Alkohol. Bei Frauen war das anderes. Georg liebte Frauen. Vor allem dann, wenn sie keine Ansprüche stellten. Er mochte es, wenn sie ihn umschwärmten, ihn amüsant fanden und vor allem mochte er es, wenn sie mit ihm schliefen. Am liebsten schlief er mit ihnen, ohne Verantwortung übernehmen zu müssen. Für romantische Abende, liebevolle Gespräche, gemeinsames Kochen oder einfach nur daliegen und den anderen genießen, hatte Georg keine Zeit und auch nicht den Wunsch dazu. Doch bis jetzt hatte er noch keine Frau gefunden, mit der er auf kurz oder lang so einen Leben führen konnte. Er fühlte sich mit jeder Frau eingesperrt. Georg betrachtete Rebekka. Man konnte sie kaum sehen, so versteckt lag sie, von ihm abgewandt unter ihrer Decke. Georg war aufgefallen, dass sie ihm in den letzten Jahren mehr den Rücken zudrehte, als ihr Gesicht zu zeigen. Überhaupt war die Stimmung zwischen ihnen sehr schlecht geworden. Georg fand, dass Rebekka uninteressiert, gelangweilt und herrschsüchtig war. Er war froh, wenn die Familie schon schlief, wenn er nach Hause kam, dann gab es wenigstens keinen Streit. Als Georg das Haus verlassen hatte und im Auto saß, nahm er sein zweites Handy zur Hand und überprüfte seine Nachrichten. Diese Handy stellte die Verbindung zu seinem zweiten Leben dar. Georg führte ein Doppelleben. „Ich vermisse dich;-) Wann sehen wir uns? “, las er, als er die Nachrichten, öffnete. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Plötzlich fühlte er sich wieder wie ein Mann. Es tat seinem verletztem Ego gut von jemanden vermisst und gewollt zu werden. Dieses heimliche Spiel erregte ihn. Diesmal schien es anders zu sein. Er hatte eine lockere Frau getroffen, mit der er machen konnte, was er wollte. Es schien egal, was er tat und wann er sie besuchte. Sie war mit allem einverstanden. Diese Frau konnte ihn verstehen. Sie hörte zu, wenn er von seiner Arbeit sprach und trank mit ihm. Aber das Beste war. Sie schlief mit ihm. Es war gut, dass er diese Alm gekauft hatte. Sie war weit genug entfernt von Rebekka und den Kindern und bot ihm den Raum für ungestörte Sexabenteuer. Sein Beuteschema war immer dasselbe. Er half armen verlassenen Frauen, die er trösten und dann ficken konnte. Sobald sie sich in ihn verliebt hatten, ließ er sie fallen, wie einen heißen Kartoffel, um sich der nächsten zu widmen. Verpflichtungen hatte er schon mit seiner Familie genug.
Rebekka – angeekelt
Rebekka kam beschwingt nach Hause. Der erste Tag in der neuen Arbeit war ein Erfolg. Sie hatte die Burschen heute kennen gelernt und ihre anfängliche Nervosität war verschwunden. Die meisten waren höflich und zuvorkommend. Rebekka versuchte auf dem Teppich zu bleiben. Sie kannte ihre euphorische Begeisterung zu Beginn einer Tätigkeit inzwischen. Diese konnte ganz schlagartig umschlagen und sich ins Gegenteil kehren. Als sie an diesem Tag mit dem Auto den Heimweg antrat, erhaschte ihr Blick Georgs Auto. Ihr Herz begann wie wild zu schlagen und die Gedanken fuhren mit ihr Schlitten. „Was macht Georg um diese Zeit hier?“, fragte sie sich, und aus einer plötzlichen Intuition heraus, blinkte sie in die andere Richtung und fuhr hinter ihm her. Georg schlug den Weg in Richtung Alm ein. Rebekkas Sinne schärften sich. Ihr Gefühl wurde immer komischer. Sie konnte nicht definieren und erklären, warum sie ihm folgte, aber sie musste. Georg schlug den, ihr so bekannten Weg, ein. Sie war ihn hunderte Mal gefahren. Bevor Georg diese Alm zu seinem Liebesnest gemacht hatte, war sie sehr gerne auf diesem Ort. Jetzt ekelte er sie an. Sie wusste von den Affären ihres Mannes – und fand sie geschmacklos. Sie konnte sich noch gut an die Tage erinnern, an denen sie dort stundenlang geputzt hatte und mit all ihrer Liebe das kleine Häuschen so gestaltete, dass es aussah, wie ein kleines Hexenhäuschen. Inzwischen war sie nicht mehr auf der Alm. Wenn sie das Haus betrat, roch es so anders. Die Verfolgungsjagd nahm ein erwartetes Ende. Für Rebekka bestand kein Zweifel mehr. Georg fuhr in die Alm. Aufgrund der Distanz und ein paar Autos zwischen ihnen, konnte Rebekka nicht sehen, ob Georg alleine war oder jemanden bei sich hatte. Sie blieb stehen und sammelte sich. Was sollte sie machen? Sie überlegte schon seit langem die Beziehung, die ohnehin keine war, zu beenden. Sie fand es geschmacklos, respektlos und verlogen, wie sehr Georg sie hinter gang und auch noch glaubte, sie würde nichts von seinen Affären mitbekommen. Sie hatte auf einmal die Lust dazu, ihn auf frischer Tat zu ertappen. So wollte sein Gesicht sehen und außerdem war sie neugierig, wer im diesmal in die Falle getappt war. Rebekka hatte folgenden Plan. Sie würde eine halbe Stunde warten und dann fast bis zur Alm nach fahren. Dann wollte sie das Auto verstecken und sich zur Hütte anschleichen. Wenn Georg Besuch mit hatte, war das meist nur für ein oder zwei Stunden. Die Damen wurden rasch abgefertigt, er wollte nicht riskieren, dass jemand seine Sexualkontakte mitbekam. Rebekka ekelte sich inzwischen vor ihrem Mann. Manchmal machte sie sich sogar Sorgen, ob sie noch gesund war. Sie wusste wie ungern Georg Kondome verwendete. Als Rebekka eine Stunde später bei der Alm angekommen war, konnte sie schon von Weitem die grelle Stimme hören, die aus der Hütte drang. Georg war also nicht allein. Sie hatte nichts anderes vermutet. Sie schlich sich auf Zehenspitzen bis zum Seitenfenster, hinter dem sich unmittelbar das Bett befand. Und was sie im Inneren sah, löste in ihr etwas aus, dass ihr ganzes Leben veränderte. Sie wusste ab diesem Zeitpunkt, als sie diese fremde Frau auf ihrem Georg, auf ihrem Bett, in ihrer Bettwäsche sitzen sah, dass sie das alles nicht mehr konnte. Sie hatte sich etwas Besseres verdient. Wie in Zeitlupe ging Rebekka den Weg zurück zu ihrem Auto. Als sie zuhause ankam, begannen ihr die Tränen runter zu rollen und stoppten auch nicht, als die Kinder nach der Schule zur Tür herein stürmten. Und irgendwann während des Weines, musste sie sich plötzlich übergeben. Und als sie so weinend und speiend vor ihrem WC kniete, beschloss sie für sich selbst, dass sie es nie wieder zulassen würde, dass sie jemand so behandelte.
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