Der Sinn ist wieder der gleiche wie bei Dornröslein und Gerda: der Schatz ist nicht tot, er lebt; d. h. es sind die Lebenskräfte der Erde, welche Getreide und alle Vegetation erzeugen, von höchstem Segensreichtum für den Menschen; aber vom Tode der Sommerwärme an gefesselt und gebunden in dem Schosse der Erde, in der Unterwelt, aus der nicht jeder nach Reichtum Gierige, sondern nur der sie heben kann, welcher treuesten Fleiss, furchtloses Eindringen in die Erde und die Gunst des Himmels in seiner Person vereint. Freilich sind nicht alle Züge der mannigfaltig ineinander verschlungenen Sagen hieraus gleichwie aus einem Mittelpunkt zu erklären; die Einbildungskraft hat auch hier frei geschaltet. Und im Mittelalter sind dann christliche Vorstellungen, bis zu voller Verhüllung der ursprünglichen Bedeutung, um die »drei Schwestern« gefaltet worden; sie sollen Stifterinnen eines Klosters, einer Kirche, Wohltäterinnen der ganzen Gegend gewesen sein; wobei dann freilich unbegreiflich bleibt, weshalb ihre Burg, samt ihnen selbst, versunken ist, und sie, der Erlösung bedürftig, im Schosse der Erde harren, so dass man Messen für sie stiftet, Gebete für sie spricht.
Hat man den drei Nornen doch sogar die Namen der drei christlichen Tugenden: Fides, Spes, Caritas (Glaube, Hoffnung, Liebe) gegeben! An manchen Orten heissen sie aber noch: Ain-pett, Wil-pett, War-pett; »pett« ist althochdeutsch »piot«, der Opfer-Altar; Ain ist Agin, Schreck; War ist Werre, Streit (daher französisch guerre, Krieg). Der dritte Name geht vielleicht auf »Wille«, ist aber wahrscheinlich verderbt; anderwärts heisst er Widi-kunna, Winter-bring; letzteres wohl Volksbedeutung, nachdem der Sinn des alten Namens nicht mehr verstanden ward. Wenn nur zwei Schwestern genannt werden, heißen sie »Muss« und »Kann«; – sehr bezeichnend für Menschengeschick.
X. Die Walküren.
Sie sind die »Schildjungfrauen«, »Helm-Mädchen«, auch Wunsch-Mädchen Odins; sie küren die Wal, d. h. sie bestimmen nach des Schicksals (der Nornen) unabänderlichen Satzungen, nach andern Sagen gemäss Odins Wunsch, diejenigen Helden, welche in der Schlacht fallen sollen, und die Erschlagenen (der Inbegriff der die Walstatt Bedeckenden heisst eben »die Wal«, strages, und diesen Inbegriff »küren« sie) tragen sie, aus dem Todesschlummer sie weckend, empor nach Walhall auf ihren durch die Wolken sausenden Rossen.
Oben aber, in Walhalls goldenen Sälen, vertauschen sie das Kriegerische mit friedlich-festlichem Tun; sie füllen, die Weissarmigen, den schmausenden und zechenden Göttern und Einheriar die Hörner mit schäumendem Met und Äl (sie verwahren Trinkgerät wie Essgeschirr).
In beiden ist ihr Vorbild ihre Anführerin Freya – als solche »Wal-Freya« genannt; – so dass sie nur als deren Vervielfältigungen erscheinen; jene ist vor allen der Götter Mundschenkin und reicht den in Odins Saal Eintretenden das Trinkhorn. Die Zahl wird verschieden angegeben; auf sechs (mit Freya sieben), neun, zwölf oder dreizehn. Sie sind gewissermassen besondere Nornen; während diese das Gesamte entscheiden, bestimmen die Walküren nur das Geschick der Schlacht: Sieg oder Unsieg, Tod oder Leben. Sie (Odins Nornen) sind die Trägerinnen von Odins Willen hierin (sofern er, nicht das über ihm stehende Schicksal, als über Tod oder Leben entscheidend gilt), der sie zu jedem Kampf entsendet, auf dass sie die Fallenden küren und des Sieges walten. Aber sie wagen es wohl auch, gegen Odins Willen zu entscheiden, was er freilich mit schwerster Strafe ahndet!
All ihr Leben und Wesen ist Kampfesfreude; in diesen tapferen, wunderschönen, hochherzigen, begeistert durch die Lüfte jagenden Jungfrauen hat die germanische Einbildungskraft eines ihrer edelsten, herrlichsten Gebilde geschaffen, auch hier nur der veredelnde Ausdruck des eignen Volksgeistes; denn es fehlt auch in der germanischen Geschichte nicht an mutigen Frauen und Mädchen, welche heldenhaft des Gatten, des Geliebten, des Bruders Geschick, kämpfend bis in den Tod, geteilt haben. Wunderschöne Erzählungen von Frauenliebe, von Treue und Heldentum, die sie umkleiden, hat die Sage an Walküren wie Swawa, Sigrun, Hilde, Brunhilde geknüpft (s. unten Heldensagen). Auch irdisch geborene Jungfrauen, Königstöchter zumal, können, bei entsprechender Gesinnung und unter Gelübde der Jungfräulichkeit, Walküren werden, falls Odin sie dessen würdigt, sie dazu erwählt; dann heissen sie seine »Wahl- oder Wunsch-Töchter«, wie die Einheriar seine Wunsch- oder Wahl-Söhne. »Walküren trachten» heisst es in der Edda: »All ihr Trachten ist Waffenstreit» und freudig Heldentum; in den Kampf zieht es immerdar die »Helm-Mädchen« dahin.
Sie können sich in Schwäne verwandeln oder, menschliche Bildung bewahrend, in ein Schwanenhemd (ähnlich Freyas Falkenhemd) fahren und so noch rascher als auf ihren Rossen die Luft durchsausen. Diese Rosse sind als Wolken gedacht; die Walmädchen sind Odins Töchter; seine Naturgrundlage: Luft und Wind, fehlt auch ihnen nicht ganz; durch die Lüfte schweben sie, nicht auf Erden stampfen ihre Pferde. Tau träuft von den Mähnen ihrer Rosse »und das macht fruchtbar die Felder«. Daher heisst eine der Walküren geradezu »Mist«, d. h. Nebel (noch neuenglisch ebenso).
An jene Schwanenhemden der Walküren knüpfte gar manche schöne Sage. Wenn die Mädchen dieselben abgelegt haben, etwa um zu baden, und Menschen ergreifen die Flügelgewande rasch, können sie jene in ihre Gewalt bringen. Auch gehört ein Schwanenring dazu, auf dass sie ganz zu Schwänen werden können; wer ihnen diesen abstreift, hindert ihre Verwandlung und Flucht. So hatte ein Held Agnar der Walküre Brunhilde ihr Schwanenhemd hinweg – »unter die Eiche« – getragen und sie dadurch gezwungen, ihm statt seinem Feinde Hjalmgunnar, dem Odin den Sieg bestimmt hatte, den Sieg zu verleihen. So bemächtigen sich Wieland der Schmied und seine beiden Brüder dreier Königstöchter, welche bei dem Bad ihre Schwanenhemden von sich gelegt hatten; jedoch nach sieben Jahren fliegen diese wieder davon, hinweggetragen von allüberwindendem Sehnen nach ihrem Leben mit Schild, Helm und Speer. Auch die drei Meerweiber, oder die Donaunixen, welche Hagen bei der Fahrt in Königs Etzels Reich begegnen und welche er zwingt, ihm die Zukunft zu weissagen, indem er ihnen »die wunderbaren Gewande«, d. h. die Schwanenhemden wegnimmt, waren Wal-küren, Sieg-Weiber. Daher sind auch ihre Namen so oft mit Sieg zusammengesetzt (Sig-run, Sig-lind, Sig-ridh, Sigr-drifa). Aber auch Wünschel-Weiber heissen sie wohl (vgl. oben), oder »Wilde Weiber«, »Waldfrauen«, und im Mittelalter werden sie oft zu Meer-mädchen, »Meer-Minnen«, Wasserfrauen, Nixen, die sich gelegentlich in Schwäne verwandeln oder auch in andre Tiergebilde mit Fischschwanz, Schlangenleib (Melusine, des Staufenbergers Geliebte). Als solche vermählen sie sich wohl mit sterblichen Männern; freilich meist mit der Neigung, nach einiger Zeit Gemahl und Kinder zu verlassen, um dem alten Beruf nachzuschweben; oder doch unter der Bedingung, alle sieben Tage oder Wochen ungefolgt und unbelauscht sich zurückziehen und in der ursprünglichen Gestalt als Schwan oder Schlange oder als Nixenkönigin mit den Genossinnen sich bestimmte Zeit tummeln zu dürfen; bricht der Mann aus Fürwitz oder Misstrauen das Gelübde, entschwindet die Edle für immerdar, und all sein Glück ist hin; das Gegenstück der Lohengrinsage, indem hier der Mann, wie bei Lohengrin das Weib, durch neugieriges Misstrauen sich der Liebe des edleren Gatten als unwürdig erweist. Zuweilen auch schliessen diese überirdischen Mädchen nicht geradezu Ehe mit Sterblichen, aber ein Freundschafts- oder Liebesbündnis, und sie fliegen dann auf deren Ruf oder auf ein Zauberwort oder Zauberzeichen sofort herbei, »sie zu schützen«, Sieg, Glück, Schönheit ihnen zu verleihen; hierin gleichen die Walküren den angeborenen weiblichen Schutzgeistern, den Fülgias des Nordens, welche ihre Helden und Lieblinge von der Geburt bis zum Tode schützend umschwebenLied der Walküre.
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