Als Nornagest geboren war, traten drei weissagende Frauen an seine Wiege; die ersten beiden sagten ihm Heil voraus; aber die jüngste – sie glaubte sich geringer geachtet – sprach drohend: »Haltet ein mit eurer Glück-Verheissung; denn ich lege ihm: er soll nicht länger leben, als hier dieser Span (oder diese Kerze) lodert, der neben der Wiege brennt.« Rasch löschte die älteste Schwester den Span, überreichte ihn Nornagests Mutter und mahnte, des Spanes wohl zu achten. Erst am letzten Tage seines Lebens möge ihn Nornagest anzünden (d. h. also entweder, wann er lebensmüde geworden, oder an dem von den Nornen vorbestimmten Tage). Nornagest führte in seiner Harfe verborgen den Span mit sich; dreihundert Jahre lebte er und sah des Nordlands goldenste Tage; da endlich, lebenssatt, holt er den Span hervor, zündete ihn an und blickte ruhig in die verglimmende Flamme; mit ihr zugleich erlosch sein Leben.
In dem holden Märchen vom Dornröschen sind es dreizehn Feen, welche das Königspaar als Patinnen ladet. Aber nur zwölf goldene Teller hat die Königin, die dreizehnte erhält einen Silberteller (oder die dreizehnte wird deshalb gar nicht geladen). Nachdem nun elf der Feen dem Kinde je einen Wunsch gesprochen und je eine Gabe gewährt, – Schönheit, Tugend, Gesundheit – spricht plötzlich die dreizehnte, ergrimmt über die Zurücksetzung (und plötzlich in den Saal tretend): »Das wird ihr aber alles nicht viel helfen, oder doch nicht lange. Denn ich lege ihr, dass sie sich im fünfzehnten Jahre mit einer Spindel in den Finger sticht und tot hinfällt.« »Aber ich,« rief die zwölfte, die ihren Wunsch noch nicht vergabt hatte, »ich lege ihr, dass es nur ein dem Tode gleichender Schlaf sein soll, aus dem ein Königssohn durch seinen Kuss sie erlösen mag, der mutig durch das Dorngestrüppe dringt, mit welchem ich, nachdem sie und zugleich mit ihr alle lebenden Wesen in der Burg in Todesschlaf hingesunken, das ganze Schloss umgürten werde.«
Aus dem weiteren Verlauf des altbekannten Märchens heben wir nur hervor, dass es die böse Fee, d. h. die grollende Norne selbst ist, welche im höchsten Turmzimmer, als alte Spinnerin verkleidet, dem Mädchen die tödliche Spindel in die Hand spielt, nachdem der König alle Spindeln aus dem Schlosse verbannt hatte. Tiefsinnig und zartsinnig hatte ursprünglich die Sage mit diesem Nornen-Spruch die Geschichte von Gerda und Freyr verknüpft. Dornröslein ist die Sommerwärme und die Sommerlust, welche durch Nornenspruch (d. h. Notwendigkeit) in Erstarrung versinken muss, in todesgleichen Schlaf und mit ihr alles Leben im Schloss, d. h. auf der Erde. Das Dorngestrüpp ist das Gedörnicht, welches den Scheiterhaufen der Toten umgibt, entsprechend der »wabernden Lohe« des Scheiterhaufens. Die Maid gilt als zu Hel hinabgesunken; aber wie Skirnir (oder Freyr) dringt der lichte Königssohn (des Himmelskönigs oder Sigurd), dringt der Sonnenjüngling, der Frühlingssonnenstrahl, sieghaft durch die Umhegung bis in den Schoss der Erde und eckt mit seinem warmen Liebeskuss die nur schlummernde Schöne zu neuem, seligem Leben.
Dieser Gedankenzusammenhang liegt nun sehr vielen Sagen zu Grunde; nachdem mit der Walhallreligion auch die Nornen vergessen waren, sind in gar zahlreichen Sagen, Märchen, Legenden, Schwänken an Stelle der altgermanischen Schicksalschwestern Feen (nach keltisch-romanischer Färbung) getreten und Geister jeder Art: Nixen, Elben, Zwerge und andre übermenschliche Wesen.
Nachdem wir dies vorausgeschickt, wird das Verständnis der ehrwürdigen, obzwar furchtbaren Schicksalspinnerinnen nicht schwierig, wird zumal der in ihrem Wesen und Wirken manchmal waltende Widerspruch voll begreiflich sein.
Mit zweifelhaftemRecht hat man die Nornen ähnlich als Vervielfältigungen Hels aufgefasst, wie die Walküren (s. unten) ohne Zweifel Vervielfältigungen Freyas sind. Die drei Nornen sind göttlichen Abstammes, aber älter als die Asen; – wodurch wir abermals in eine Vorzeit versetzt werden, da noch die Riesen als Götter galten und die lichten Geistesgötter noch gar nicht vorhanden, d. h. in dem Bewusstsein des Volks noch gar nicht möglich und nötig waren. Älter als die Götter müssen sie sein, weil sie das Schicksal weben, das ewig ist, während die Götter in der Zeit entstanden. Die Nornen sind bei den Riesen aufgewachsen. Als die Götter mit den Nornen bekannt wurden, war die selige Unschuldszeit der Götter dahin; anders gewendet: erst als die Götter schuldig geworden, als um des Goldes (?) willen Untreue und Mord bei den Göttern vorkam, stellten sich die Nornen bei ihnen (warnend?) ein; im Unschuldsalter der Kindheit fehlt die Empfindung für den Lauf der Zeit, für Schicksal und Notwendigkeit.
Die älteste Norne, Urd, hat hervorragende Bedeutung; ihr Brunnen liegt an jener Wurzel der Weltesche, welche zu den Menschen hinab sich erstreckt (also oberhalb Midgards, was freilich zu Hel, dem Wohnort der Schwestern, übel passt!). An diesem Brunnen versammeln sich (wenigstens nach einer Überlieferung) die Götter, Gericht zu halten; nach andern Angaben muss man aber die Gerichtsstatt, das »Ding« der Asen, wohl nach Asgard verlegen.
Urd ist der Name für »Schicksal« überhaupt; »die Wurd«, weiblich gedacht, heisst althochdeutsch »das Schicksal«, angelsächsisch hat das Wort die Bedeutung »Zaubergeschick« angenommen; – so heissen die Hexen in »Macbeth« »weird-sisters«, Zauber-, d. h. Schicksals-Schwestern. Diese Schicksalsgöttin scheint bei den Südgermanen für sich allein, ohne Beziehung auf ihre beiden Schwestern, eine wichtige Rolle gespielt zu haben.
In Süddeutschland und in den romanischen Ländern sind die drei Nornen zum Teil verschmolzen mit den tria fata (den trois fées), den »Müttern« der keltisch-römischen Mythologie, welchen zahlreiche Inschriften, Altäre usw. in jenen Gegenden gewidmet waren.
Aber auch ohne solche Beimischung haben sich, insbesondere in den vom bajuvarischen Stamme besiedelten Landen (doch auch bei Alamannen im Elsass, in Schwaben, Baden, Württemberg), Bayern und Deutschösterreich, sehr zahlreiche und heute noch im Volke voll lebendige Sagen und Aberglauben erhalten, welche die »seligen (saligen) Fräulein«, die »drei Schwestern«, die »drei Fräulein« zum Gegenstande haben.
Sie hausen meist, wie die Nornen, am Brunnen, auch im Innern der Burg-Brunnen.
Oft ist die eine Schwester schwarz, die andre weiss, die dritte halb schwarz und halb weiss; und diese ist dann die böse, den Menschen feindliche, welche auch wohl die eine blinde Schwester bei Verteilung eines Hortes betrügt. Der Name »Hel« begegnet oft in den Bezeichnungen der Orte, wo die Schwestern hausen; auch wohl »Rach-hel«, die rächende, strafende Hel. Statt der Fäden spinnen sie auch wohl Seile, ziehen diese weit übers Tal hoch durch die Luft, festigen sie an Gipfeln und Felsen hoher Berge, tanzen auf diesen Seilen oder hängen ihre Wäsche daran auf, was gut Wetter bedeutet. Aber sie hängen auch Menschen daran, sie strafend zu töten. Der Zug, dass zwei der Nornen übereinstimmend Gutes wollen und fügen, – sie sind: »Heil-Rätinnen«, – die dritte aber eigensinnig und böswillig widerspricht, wiederholt sich sehr oft in den Sagen und Märchen von den drei Schwestern.
Dieselben werden auch häufig aufgefasst als Hüterinnen eines Hortes, der in dem Schosse der Erde in einem tiefen Berge liegt; und dadurch ergeben sich nun freilich Beziehungen zur Unterwelt, zu Hel. Ein Hahn kräht in ihren Burgbergen; – wie der Hahn im Saale Hels – ein Hund bewacht den Hort, wie den Eingang zu Hel und zu den Nornen – eine Schlange, ein Drache, ein Wurmhütet den Hort, wacht auf dem roten Golde des unterirdischen Schatzes. Dieser Schatz liegt nicht unbeweglich wie totes Geld; er hebt sich und senkt sich, »er blüht«, spricht die Sage; an einem Tag in viel hundert Jahren wird er sich so gehoben haben, dass er offen zu Tage liegt und ein Sonntagskind oder ein andrer Auserwählter des Schicksals, der gewisse fast unmögliche oder doch nur in vielen Jahrtausenden einmal zutreffende Zufalls-Übereinstimmungen in seiner Person vereinigtund der dann noch obenein als furchtloser Held (Siegfried) die Schrecknisse nicht scheut, welche den Hort umgeben (Wolf, Hund, Drache, grauenhafte Weiber), der mag den Hort heben. Damit ist dann zugleich erlöst die verzauberte Jungfrau, auf welcher der Fluch lastete, als Drache oder als dreibeiniges Pferd, oder als Kröte, oder als hässliche Alte so lange neben dem Schatz in der Unterwelt zu harren, bis der Auserkorene durch alle Schrecken zu ihr dringt, mutig sie küsst und so die Erlöste selbst und ihren Hort gewinnt.
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