Die Freude der Germanen an dem Frühlingslicht drückt die Edda naiv und rührend aus: »Von Baldur ist nur Gutes zu sagen (was von den andern Asen, die wir sahen, nicht gerühmt werden mag; aber diese Gestalt ist schuldlos und rein verblieben), er ist der Beste, er wird gepriesen von allen. So schön ist er von Antlitz und so hell, dass ein leuchtender Glanz von ihm ausstrahlt; ein Kraut ist so hell, dass es mit Baldurs Brauen verglichen wird; das ist das lichteste (weisseste) aller Kräuter: »Baldurs-braue«. Daraus kannst du ermessen, wie schön sein Haar und sein Leib sein muss. Von allen Asen ist er der weiseste, mildeste, beredteste; er hat die Eigenschaft, dass seine in Streitsachen andrer ausgesprochenen Urteile niemand schelten kann(d. h. im altgermanischen Recht: ihrer Unrichtigkeit und Ungerechtigkeit halber anfechten und einen andern Wahrspruch verlangen). Er bewohnt im Himmel jene Stätte, welche Breida-blick (Weit-Glanz) heisst; und wird da nichts Unreines geduldet.«
Das Licht, die Reinheit, gilt auch als Symbol der sittlichen Reinheit und des guten Rechts; daher mahnt ein in manche Sage gekleidetes Sprichwort: »Die Sonne bringt es an den Tag«, d. h. das Unrecht, das Verbrechen, z. B. den Mord, der sich tief verborgen und sicher wähnt. Diese einzelne Seite Baldurs – dass niemand seine Urteile schelten kann – die lichte Gerechtigkeit und Rechtswahrheit, wird, nach einer uns nun schon geläufigen Ausdrucksweise der Götterwelt, so ausgedrückt, dass der Gott des Rechts, genauer der Rechtsprechung, ein Sohn Baldurs genannt wird; er ist Forseti (Forasizo, seine Mutter ist selbstverständlich Nanna). In germanischer Rechtspflege hatte der König oder der Graf, als »Richter« das Ding, d. h. das Gericht, zu leiten, feierlich zu eröffnen, zu hegen, das Wort zu verleihen, den Dingfrieden zu schützen, Scheltworte, Waffenzücken zu verbieten und zu strafen, Umfrage an das versammelte Volk, später an die Schöffen, zu halten, welche das Urteil fanden; dieses Amt des Vorsitzes wird von Baldurs Sohne bekleidet. Er bewohnt in der Himmelsburg den Saal, welcher der Glänzende (Glitnir) heisst; dort steht sein Richterstuhl, der beste für Götter und Menschen; alle, die sich im Rechtsstreit an Forseti wenden, gehen, mit seinem Schiedsspruch zufrieden, versöhnt und ausgeglichen, von diesem Richterstuhl nach Hause.
In einer schönen Sage von Entstehung des Rechts der Friesen wird erzählt, dass deren zwölf Rechtssprecher (â-sega) in steuerlosem Boot auf dem Meere treiben; sie vermögen das Land nicht zu finden (und auch nicht das Recht, d. h. das »Hintreiben auf steuerlosem Schiff« ist das vergebliche Bemühen, die Rechtsentscheidung im Meere der Zweifel zu finden). Sie beten, ein Dreizehnter möge ihnen gesendet werden, der sie das Recht lehre und an das feste Land lootse. Sofort sitzt ein Dreizehnter am Schiffshinterteil, führt ein Ruder und steuert gegen Wind und Wellen sicher und glücklich ans Land; dort angelangt, wirft er eine Axt, die er auf der Schulter trägt, zur Erde; da entspringt an dieser Stelle ein Quell; hier setzt er sich nieder, die zwölf andern um ihn, und er weist ihnen das Recht. Keiner der zwölf kannte ihn, jedem der zwölf glich er von Angesicht und nachdem er sie das Recht gelehrt – waren ihrer wieder nur zwölf; der dreizehnte war verschwunden; er war nur der Ausdruck ihrer Gemeinvernunft, ihres übereinstimmenden Rechtsbewusstseins gewesen. –
Der Unbekannte war ursprünglich wohl Odin, später aber, nachdem ein besonderer Gott des Rechts aus Odin (als dem Gott des Geistes, daher ist er Fosites Grossvater) und Baldur, als dem Gott der sittlichen Reinheit und Wahrhaftigkeit, herausgelöst war, eben dieser neue Gott. Man verlegt jene Rechtsbelehrung auf die Insel Helgoland (die Grenze der Friesen und Dänen), welche nach diesem Gott »Fositesland« hiess und wo ein heiliger Brunnquell in hoher Verehrung stand; nur schweigend durfte man schöpfen das reine und geheimnisvolle Nass.
Sankt Wilibrord wagte es, um das Jahr 740 in dem Quell drei Heiden zu taufen; kaum entging er lebend dem Zorn des Volks über solche Entweihung und Verwendung des Brunnens der alten Götter zum Dienst ihrer Feinde. Erst Sankt Liutger (gestorben im Jahre 809), selbst ein Friese, führte das Christentum auf der Insel ein, die heute noch das »heilige Land« genannt ist (auch in Norwegen gab es einen Forseti-Wald).
Von Baldurs Tod wird besser in anderm Zusammenhang gehandelt; seine Spuren – unter diesem Namen – in Deutschland sind sehr selten; gar mancher Ortsname, der, mit Pfol zusammengesetzt auf Phol, angeblich gleich Baldur, gedeutet wurde, geht auf »Pfahl« zurück, auf den Pfahlgraben, den alten römischen Grenzhag (limes). Und wenn man eine Bekräftigung jener Annahme darin finden wollte, dass diese Orte auch oft »Teufels«-Graben, »Teufels«-hag genannt werden – da nämlich auch dieser Gott im Mittelalter als ein Teufel gedacht worden sei – so ist zu erinnern, dass die Deutschen das ihnen so verderbliche und grossartige, fast übermenschliche Werk der römischen Feinde, den Grenzhag, den Pfahlgraben, auf Riesen oder andre böse Gewalten, d. h. in der christlichen Zeit auf Teufel zurückführten. So bleibt als Zeugnis für »Phol« fast nur der Merseburger Zauberspruch über, der bei Verrenkungen gesprochen wurde; eingekleidet in epische, ja dramatische Form:
phol ende uuôdan
Vol und Wotan
uuorun zi holza:
fuhren zu Holze:
du uuart demo balderes
da ward Baldersuolon
Fohlensin unoz birenkit:
sein Fuss verrenkt:
thu biguolen sinthgunt,
Da besang ihn Sinthgunt,
sunnâ erâ suister,
Sonne, ihre Schwester,
thu biguolen frûâ,
da besang ihn Fraua (Frigg),
nollâ erâ suister,
Volla, deren Schwester:
thu biguolen uuôdan,
da besang ihn Wotan,
sô he uuola conda
wie er wohl verstand.
sôse bênrenki,
so die Beinverrenkung,
sôse bluotrenki, sôse
so die Blutverrenkung,
lidirenki:
so die Gliederverrenkung:
(Hier fehlt wohl eine Zeile.)
»bên zi bêna,
»Bein zu Beine,
bluot zi bluoda,
Blut zu Blute,
lid zi geliden,
Glied zu Gliedern,
sôse gelîmidâ sin.«
Als ob sie geleimt wären.«
VI. Loki-Loge.
Baldur wird, wie wir sehen werden, getötet durch seines Bruders Hödur unschuldige Hand, auf Anstiften des bösen Loki, althochdeutsch Loge. Die Naturgrundlage dieser halb asischen, halb riesischen Gestalt ist, obzwar dieses bezweifelt wird, das Feuer. Und wie das Feuer, nach Schillers schönen Worten, bald wohltätig, bald verderblich wirkt, so ist auch Lokis Wesen ein zweifaches; er zählt zu den Göttern; denn die wärmende und befruchtende Flamme ist eine segensreiche, den Menschen unentbehrliche Macht; aber sie ist zugleich immer unzuverlässig, gefährlich, treulos und, wenn entfesselt, furchtbar verderblich. Daher der böse Loki schon vor seinem offenen Abfall von den Göttern diesen allerlei zwar listige und verschlagene, scheinbar und für den Augenblick auch wirklich vorteilhafte Ratschläge erteilt, welche sie aber doch stets grossen Gefahren und Verlusten aussetzen und vor allem ihre Treue und Wahrhaftigkeit schädigen, daher ihre »Dämmerung«, d. h. ihre Verschuldung herbeiführen und steigern.
Loki heisst der Sohn des Riesen Farbauti und der Laufey oder Nal; Farbauti, der »Führer des Bootes«, ist vielleicht jener Riese, welcher aus der bei Ymirs Tod entstandenen Sintflut sich in einem Boote rettete; Lauf-ey hat man auf »Laub-Insel« gedeutet, wohin der Riese flüchtete. Aber vielleicht galt Loki ursprünglich als Odins BruderLuft
Wasser
Feuer
Odin
Hönir
Loki
Bileistr
Helblindi
Loki
Kari (oder Hler)
Ögir
Logi
entsprechend:
Zeus
Poseidon
Hephästos.
(So Simrock.)
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