Diesen Mythus hat Uhland wunderschön gedeutet: Hrungnir, ganz von Stein, ist die dem Anbau widerstrebende Steinwelt (von at hruga, aufhäufen, also das hoch übereinander getürmte Felsgebirge); »Grot-tuna-gardr«, der Ort des Kampfes, ist die Grenze zwischen Steingebild und Bauland; denn grot »Gries« ist Geröll, tun, Zaun, gardr, Gehege; Thialfi ist die menschliche, bäuerliche Kraft, diese ist gewöhnt, von unten herauf das Gebirge zu bearbeiten; aber Asathor fährt von oben einher. Mit dem langen, breiten Lehmstreifen, der wenig widerstandsfähig ist, d. h. mit Möckurkalfi, wird auch Menschenkraft fertig; die Steingebirge zerschmettert nur der Gewittergott. Der stürzende Riese begräbt beinahe Thor selbst; verschüttende Bergstürze, Thors eignes Werk, bedrohen das Bauland; gerettet wird er durch seinen obzwar noch ganz jungen Sohn Magni; die personifizierte Willenskraft der Asen; das Stück Gestein, das in Thors Haupte stecken bleibt, ist das Gestein, das auch im urbaren Feld der Pflug oft noch findet. Grôa (vgl. neuenglisch to grow) ist das Wachstum, das Saatengrün, welches vergeblich bemüht ist, jene Steine zu überdecken, Thors Wunden zu heilen; der Sohn Ör-wandil (der mit dem Pfeil, Ör, arbeitende) ist der spitze Fruchtkeim, der aus der Saat emporstreben und aufschiessen will. Thor trägt ihn über die Eisströme im Korb; d. h. er hat das keimende Pflanzenleben unter der schützenden Schneehülle vor der Winterkälte geborgen; aber »allzu keck« hat der Keim eine Zehe vorgestreckt und sie erfroren. In der Heldensage ist Thor zu Dietrich von Bern geworden; daher steckt in Dietrichs Stirn seitdem ein Stein wie in Thors Haupt. Örwandil aber wird zu dem Orendel der Heldensage, der ist der »älteste aller Helden«.
Thor ward als Blitzschleuderer, als Donnerer von Römern, Griechen und andern Fremden, ja im deutschen Mittelalter auch von unserm Volk vielfach mit Jupiter-Zeus verwechselt; so heisst der Donnerstag im Latein des Mittelalters »dies Jovis«, die zu Geismar von Winfried zerstörte Donnerseiche »robur Jovis«, die vielen Donnersberge »montes Jovis«, die Pflanze Donnerbart »barba Jovis«.
Aber auch als Herkules ward Thor aufgefasst wegen des der Keule entsprechenden Hammers, mehr noch wegen seiner Fahrten, in welchen er als Beschirmer des Menschen gegen riesische Ungetüme auftritt. Wie es nun des Herkules meist bewunderte Tat war, dass er in die Unterwelt eindrang und dort den Höllenhund Cerberus bezwang, so ist auch Thor sieghaft in die Unterwelt hinabgestiegen.
Mit Loki und dem getreuen Thialfi wanderte er einmal ostwärts gegen Riesenheim; in einem grossen Walde nahmen sie Nachtlager in einer leeren Hütte. Um Mitternacht entstand ein Erdbeben; die Hütte schwankte; sie flüchteten in einen Anbau der Hütte. Bei Tagesanbruch fanden sie im Wald einen Mann liegen, der war nicht klein. Er schlief und schnarchte; da merkten sie, dass dies Schnarchen das Erdbeben gewesen. Erwacht und befragt, nannte er sich Skrymir: »Dich brauch’ ich nicht zu fragen, ich kenne dich, Asathor! Aber wo hast du meinen Handschuh?« Mit diesen Worten streckte er den Arm aus und hob seinen Handschuh auf; da sah Thor und – nicht ohne Staunen! – dass dieser Handschuh die Hütte und der Däumling der Anbau gewesen war. Thor, Thialfi und der Riese wandern nun zusammen; abends legen sie sich unter eine Eiche; Skrymir schläft ein. Vergebens strengt Thor alle Kräfte an, die Schnüre des Speisebündels zu lösen, welche der Riese zusammengezogen, und obwohl er mit dem Hammer zuschlägt, vermag er den Schläfer nicht zu wecken. Der Riese meint, im Schlafe träumend, bei den wuchtigen Schlägen nur, es sei ihm eine Eichel auf den Kopf gefallen. Am Morgen trennen sie sich. Skrymir sagt, die Fremden würden nun bald zu der Burg Utgard des Königs Ut-gard-Loki gelangen; dort möchten sie sich, riet er, nur ja recht bescheiden betragen; denn die Hofmänner jenes Königs würden Übermut von solchen Bürschlein nicht ertragen – (Der Scherz der ganzen Erzählung ist, dass das sonstige Verhältnis zwischen Thor und den Riesen geradezu auf den Kopf gestellt wird.) – Das Gitter der Burg vermögen Thor und Thialfi nicht zu öffnen; so müssen sie sich denn – recht demütigend – durch die Stäbe hindurchschmiegen. Utgardloki erwidert ihren Gruss nur äusserst geringschätzig und wundert sich vor allem, dass Asa-Thor gar so klein sei! Nun beginnen Wettspiele der Gäste mit den Hofleuten des Königs; gegen Loki tritt ein Logi auf; sie wetten, wer stärker essen könne; Loki isst alles Fleisch von den Knochen, aber Logi die Knochen und den Trog dazu! Thialfi wird von Hugi im Wettlauf überwunden. Nun soll Thor ein Horn leeren, das einige von des Riesenkönigs Leuten in einem Zug, auch seine schwächsten Trinker aber in drei Zügen leeren! Thor jedoch vermag, soviel er schluckt, – und er vermag es! – kaum eine Minderung in dem Horn merklich zu machen. Dann soll er Utgardlokis graue Katze vom Boden aufheben; aber nur einen Fuss lupft die Katze auf, so gewaltig Thor sich müht. Endlich soll er ringen mit einem alten Weib (!), Elli, des Königs Amme; aber die Alte steht unerschütterlich, während Thor bald ins Knie sinkt. Sehr bestürzt finden sich die Gäste in allen Kraftproben unterlegen. Als aber am folgenden Tage der König sie verabschiedet, deckt er ihnen auf, dass sie gestern nur durch ein Blendwerk getäuscht worden; zuerst habe er in Skrymirs Gestalt jenes Bündel mit Eisenbanden zusammengeschmiedet, dann gegen die Hammerhiebe Felsstücke vorgehalten, in welche Miölnir tiefe Lücken geschlagen; Logi war das Wildfeuer (der Blitz), Hugi der Gedanke, das Horn war nicht zu leeren, weil das andre Ende im Meere lag, die »kleine Minderung« bedeutet die Ebbe. Die graue Katze war niemand geringerer als die Midgardschlange und Elli war das Alter, »das die Stärksten zu Falle bringt«. Der Riesenkönig Utgardloki ist der Todesgott, sein Reich die Unterwelt; füglich mag das Alter des Todes Amme heissen.
Ganz ähnlich gestaltet sind die beiden Sagen von Thors Fahrten nach Geirrödsgard und zu dem Riesen Hymir.
Loki, dessen gefährliche Vielgeschäftigkeit die Götter gar oft in schlimme Lagen bringt, war, zur Kurzweil und aus Neugier, einmal in dem von Freya entliehenen Falkenhemd (s. unten Freya) auf Abenteuer aufgeflogen, kam in Riesenreich an die Halle Geirröds und guckte zum Fenster hinein. Er wird ergriffen; an den Augen merkt der Riese, dass jener kein Vogel, sondern ein Mann sei; und da Loki nichts gesteht, sperrt er ihn in eine Kiste und lässt ihn drei Monate hungern. Das macht den Falken kirre; er gesteht, wer er sei und erkauft sich die Freilassung durch das Versprechen, Thor ohne seinen Hammer und Stärkegürtel nach Geirrödsgard zu schaffen; – also waffenlos. Der mutige Thor geht gutherzig auf das gefährliche Wagnis ein, des Genossen Wort einzulösen. Unterwegs entleiht er von einer Riesin Grid (nordisch Gridhr, der Mutter des »schweigsamen Asen« Widar) deren Stärkegürtel, Eisenhandschuhe und Stab. Der Strom Wimur, aller Flüsse grösster, sperrt ihren Weg; da umspannt sich Thor mit jenem Gürtel, stemmt der Riesin Stab gegen die Strömung und watet hinein, Loki hält sich unten an Thors Gürtel. Der Strom wächst plötzlich, dass er Thor bis an die Schultern steigt, aber der Siegbewusste ruft: »Wachse nicht, Wimur, nun ich waten muss hin zu des Riesen Haus; wisse: wenn du wächsest, wächst mir die Asenkraft eben hoch dem Himmel!« Alsbald merkt er, dass Gialp, Geirröds Tochter, quer über den Fluss gestellt, das Steigen des Wassers verursacht. Er vertreibt sie durch einen Steinwurf und lacht: »An der Quelle muss man den Strom stauen.« Am Ufer ergreift er einen Vogelbeerstrauch und schwingt sich ans Land, daher der Spruch: »Der Vogelbeerstrauch ist Thors Rettung.« In Geirröds Halle findet sich nur ein Stuhl; kaum hat sich Thor darauf gesetzt, schnellt der Tückische gegen die Decke; aber Thor stemmt Grids Stab zwischen Stuhl und Dachgebälk und drückt den Stuhl zu Boden; da begab sich gross Schreien und Krachen; Geirröds Töchtern, jener Gialp und der zweiten, Greip, waren die Genicke gebrochen (sie hatten offenbar heimtückisch unter dem Stuhle kauernd diesen hochgehoben). Im Wettspiel schleudert der Riese einen glühenden Eisenkeil auf Thor; aber dieser fängt ihn mit den Eisenhandschuhen der Riesin in der Luft; nun flüchtet Geirröd hinter einen Pfeiler; aber Thor wirft den Keil durch den Pfeiler, durch des Riesen Leib, durch die Wand und draussen noch in die Erde.
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