1 ...8 9 10 12 13 14 ...37 Aber schon viel früher wird in den Sagen Odin-Wotans oder des Teufels Mantel (oder Ross) Helden, seinen Lieblingen (oder Männern, welche ihre Seele dem Teufel verkauft), verliehen, um sie aus weitester Ferne über Meer und Land noch rechtzeitig zur Abwendung einer drohenden Gefahr in die Heimat zu schaffen; so z. B. den Kreuzfahrer (Heinrich den Löwen) aus dem Gelobten Land auf seine Burg gerade an dem Tage, an dem seine Gattin, die ihn nach Ablauf beredeter Frist für tot halten muss, zur zweiten Ehe schreiten soll. Das Ross Odins (der schwarze, graue Hengst) kommt freilich auch manchmal ohne Reiter, aber gezäumt und gesattelt, um den Helden, dem Vertrage gemäss, zu mahnen, dass es nun Zeit sei, zu sterben, zu Odin zu fahren; d. h. ursprünglich nach Walhall, dann wohl auch in die Totenwelt. – Und im Mittelalter ist es das Ross des Teufels, welches den Unseligen in die Hölle abholt, der unweigerlich folgen muss; so Dietrich von Bern (s. unten Heldensagen, Buch VI, VII).
Hieran reihen sich die Sagen von den Entrückungen der in Berge, Höhlen, in die Unterwelt entführten Könige und Helden; ursprünglich ist der Berg Walhall und die Helden werden, dem Vertrage gemäss, ihnen zu hoher Ehre, in Odins Saal entrückt, wo sie mit andern Einheriarn seine Tafel teilen, schmausen, zechen, Waffenspiele treiben; der Saal im Berge strahlt daher von Gold und Waffen; und der König im weissen Bart ist Odin selbst; erst später ist Karl der Grosse im Untersberg oder Friedrich I. im Kyffhäuser an des Gottes Stelle getreten. Früh ist aber die Totenwelt als Ort der Entrückung gedacht; Dietrich von Bern, Karl oder Friedrich gelten dann selbst als entrückte Helden, als Gäste oder Gefangene der Totenwelt und schlafen hier den Todesschlaf, bis eine weit ausstehende Bedingung erfüllt wird, sie nun auf die Oberwelt zurückkehren und ihrem von Feinden hart bedrängten Volke Hilfe bringen dürfen.
Vor allem als Herr und König von Walhall wird Odin-Wotan verehrt: »Wal« ist der Inbegriff der in der Schlacht nach Wahl der Wal-Küren, die darin Odins Weisungen zu folgen haben, Gefallenen; diese alle sind Wal-vaters Wal-Söhne und gehen ein in Wal-Hall.
Odin erfüllt daselbst in vollendetster Weise alle Pflichten des gastfreien Wirtes, des »milden« d. h. freigiebigen Königs, der die Einheriar (Schreckenskämpfer) mit allem ehrt und erfreut, was das Herz eines germanischen Gefolgsmannes in der Halle des Gefolgherren von diesem nur irgend begehren mag. Ist eine grosse Schlacht zu gewärtigen, aus welcher viele Helden aufsteigen werden in Walvaters Saal, lässt dieser sorglich schon vorher das Mahl rüsten. Ehrerweisend geht er den Ankömmlingen bis an die Schwelle entgegen; seinem Liebling Helgi bot er sogar an, zur Entschädigung, weil gar so früh diesem Helden das Schutzverhältnis gelöst ward (s. unten Heldensagen), die Herrschaft in Walhall mit ihm zu teilen.
Jeden Morgen wappnen sie sich, gehen in den Hof, fällen einander im Kampfspiel mit Wunden, die sofort wieder heilen. Kam der Mittag, so reiten sie heim und setzen sich mit Odin an den Trinktisch. Sie trinken Äl oder Met oder Milch aus dem Euter der Ziege Heidrun, und schmausen von Sährimnirs Fleisch.
So leben sie sonder Sorge Tag um Tag für unabsehbare Zeiten (d. h. bis zur Götterdämmerung) in den Freuden des Kampfes, des Schmausens und Zechens, bedient von den schönen weissarmigen Schildmädchen, Wunschmädchen, den Walküren (s. unten), welche die geleerten Hörner sofort wieder füllen; man sieht, die Germanen haben ihren Lieblingswunsch irdischen Lebens einfach nach Walhall übertragen, und man begreift es, dass diese Helden lachend starben in der Schlacht, »freudig sprangen in die Speere und den Tod«, gewiss, zu Walhalls Freuden einzugehen. Wenn aber nun eine plumpe und rohe Auffassung das Heldentum der Germanen auf diesen Wunsch, nach Walhall zu gelangen, zurückführt, erkennt tiefere Forschung in der Seele des Volks, dass umgekehrt der kriegsfreudige Heldengeist unsrer Ahnen jenes Walhall-Bild geschaffen hat, in welchem nicht »Bier und Schweinefleisch«, sondern die Kampfesfreude, der Siegesruhm, die Ehre, mit Odin den Tisch zu teilen, die höchste Wonne gewährten.
Als Gott der kriegerischen Begeisterung und des Sieges sowie der geheimen Zauberkünste erfüllt er seine Krieger mit Berserkerwut; nackt, ohne Panzer und Schild, springen sie, stärker als Bären und Stiere, gegen die Feinde, welche Odin durch Schreck blendet oder betäubt, während jenen weder Feuer noch Eisen schadet. In den Schlachten seiner Lieblinge kämpft er mit, auf weissem Ross, mit weissem Schild; oder er bedient sich eines Zauberbogens, der ganz klein aussieht, aber grösser wird beim Spannen; zehn Pfeile zugleich legt er auf die Sehne und zehn Feinde erlegt er auf einen Schuss.
Aber Odin ist auch in dem Sturm, welcher, zumal in den Zeiten der Tag- und Nachtgleiche den bald nahenden Frühling verkündend und Fruchtbarkeit und Wachstum spendend, über die Länder hinbraust; er ist der Anführer des wütenden Heeres (Wuotis-, auch Muotisheer), der wilden Jagd. Jene Naturgrundlage dieser Sagen und Glaubensgebilde ist zweifellos; gerade in den »zwölf Nächten« von Weihnachten bis zum Tage der heiligen drei Könige – also in der Zeit der Winter-Sonnenwende – »jagt Wotan im Walde die Holzweiblein«, d. h. der Sturm knickt die von weiblichen Wesen beseelt gedachten Bäume. In dieser Zeit hielten wohltätige Mächte ihren segnenden Umgang durch die Gaue; es sind die Lichtgötter selbst, die Asen, an ihrer Spitze ihr König und die Königin, welche zu der Zeit, da das Licht auf Erden am schwächsten gewesen (also etwa November und in den ersten Wochen des Dezembers), Midgard verlassen und sich nach Asgard zurückgezogen hatten, nun aber bei zunehmendem Tageslichtwieder ihren Einzug halten; im Mittelalter, da die Götter zu Teufeln geworden, glaubte man daher folgerichtig, dass um diese Zeit die bösen Geister volle Freiheit und Macht gewinnen, auf Erden zu schalten und zu walten.
Aber obwohl es nun der Teufel ist, der das wilde Heer durch die Lüfte führt, gilt es doch als Vorzeichen grosser Fruchtbarkeit des Jahres, wenn man in jenen Nächten das »Muotis-Heer« recht laut ertosen hört – eine Erinnerung an die alte wohltätigeBedeutung dieser Mitte; deshalb, d. h. wegen der Spendung der Fruchtbarkeit, sind unter der wilden Jagd auch so viele weibliche Gestalten. Im Mittelalter sind im wütenden Heer freilich nicht mehr Götter und Göttinnen, sondern Verbrecher, Selbstmörder, Meineidige, Sonntagschänder, Wildschützen, namentlich auch leidenschaftliche Jäger, welche statt der himmlischen Seligkeit ewige Jagdfreuden sich gewünscht haben.
Es ist auffallend, dass, während doch Jagd neben Krieg eine Hauptbeschäftigung, ja eine Hauptleidenschaft der Germanen war, eine besondere Jagdgottheit, der Artemis-Diana entsprechend, bei ihnen nicht bezeugt ist (abgesehen von Ullr, dem winterlichen Jäger); vielleicht war Wotan als Führer der Jagd durch die Luft auch Gott der Jagd auf Erden.
Aber oft ist es nicht ein Jagdzug, sondern ein Heer von Kriegern, was Wotan durch die Lüfte leitet. Dann führt er die Götter und die Einheriar aus Walhall (oder »aus dem hohlen Berge«) zum Kampfe gegen die Riesen, und es berührt sich hier die Sage mit der oben erörterten von dem errettenden Heere, welches von Karl dem Grossen oder von dem Rotbart im Augenblicke grösster Bedrängnis des deutschen Volks aus dem Berge zur Hilfe herausgeführt wird; hört man das wütende Heer, sieht man etwa gar in den Wolken Gewaffnete dahinjagen, so bedeutet dies den baldigen Ausbruch grossen Kriegs.
Und nicht nur auf Erden wandert »Wegtamr«, auch am Himmel zieht er unter den Sternen hin; er fährt hier die Milchstrasse (auch »Helweg«) entlang den »Odins-Weg« oder »Irings-Weg«, auf einem himmlischen Wagen – dem bekannten Sternbild – »Wuotanswagen«, der auch »Irmins-« oder »Karls-Wagen« heisst (daher ist Wotan »der ewige Fuhrmann«).
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