Da ich zufällig nur ein paar Schritte entfernt stand, hörte ich das Gespräch zwischen den beiden Männern ungewollt mit.
„Kriminalhauptkommissar Robert Hellberg, Kripo Euskirchen“, leierte der Schnurrbärtige herunter, zückte kurz seinen Dienstausweis und ließ ihn eine Sekunde später wieder in der Hemdtasche verschwinden. Der Streifenpolizist hatte nicht einmal Zeit gehabt, den Namen zu lesen.
„Weiß man schon, wer die Tote ist?“, fragte Hellberg während er begann, sich routiniert einen weißen Overall überzustreifen.
Der Angesprochene zückte einen Notizblock und las abgehackt vor. „Mehrere Zeugen haben sie als Melanie Köhler identifiziert. Sie stammte aus dem nahe gelegenen Dorf Halsterbach.“
„Wer hat sie gefunden?“
Erstaunt sah der Streifenpolizist ihn an. „Keine Ahnung.“ Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da war Hellberg schon mit einem tadelnden Kopfschütteln an ihm vorbei gegangen.
Etwas hilflos blickte der Polizist seinem Kollegen von der Kripo hinterher. Ich vermutete, er hatte gehofft, nun seinen großen Auftritt zu haben, indem er haarklein alles erzählte, was er bereits über die Tote herausgefunden hatte. Nach dem ersten Zeugen am Tatort zu fragen, hatte er schlicht vergessen.
Stattdessen trat der zweite Neunankömmling auf ihn zu. „Kriminaloberkommissar Hans Zimmermann, ebenfalls vom KK Zentrale Kriminalitätsbekämpfung.“
Er trug, trotz der Hitze, eine schwarze Lederjacke, war dünn und gut einen Kopf größer als Hellberg. „Nehmen Sie bitte von allen Anwesenden die Personalien auf!“, wies Zimmermann den Streifenbeamten an. „Falls irgendjemand sachdienliche Hinweise machen kann, schicken sie ihn zu mir, alle anderen sollen nach Hause gehen.“
Der Polizist öffnete erneut den Mund, doch auch Zimmermann ging an ihm vorbei zum Absperrband. Die Laune des Streifenpolizisten war am Nullpunkt angelangt. Sein Unterkiefer mahlte und er ballte kurz die Fäuste, bevor er sich widerwillig an seine Aufgabe machte.
Hellberg begrüßte den Leiter der Spurensicherung, der auf dem Boden kniete. „Hallo, Manni, schon was Interessantes gefunden?“
Der Kriminaltechniker hatte über seine Glatze vorschriftsmäßig die Kapuze des Overalls gestülpt, auch wenn er natürlich keine Kopfhaare mehr verlieren konnte. Er war gerade dabei, die Hände der Toten in durchsichtige Plastikbeutel zu stecken, für den Fall, dass sich unter den Fingernägeln verräterisches Material für einen DNA-Abgleich befand.
Er sah nicht einmal zu Hellberg auf. „Ein blutiges Messer mit Fingerabdrücken und den Ausweis des Täters samt schriftlichem Geständnis.“
Hellberg schien nicht viel von schwarzem Humor zu halten, er verzog keine Miene. „Ihr habt also noch gar nichts!“, stellte er nüchtern fest.
Der Kriminaltechniker erhob sich und deutete genervt in die Runde. „Sieh dir das Chaos doch an! Bei so vielen Leuten, die hier schon durchgetrampelt sind, bezweifle ich, dass wir überhaupt etwas Verwertbares finden werden.“ Mit diesen Worten kniete er sich wieder hin und widmete sich den Schuhen der Toten. Er kratzte den Dreck aus den Sohlen und fing ihn in einem kleinen Beutel auf.
Seine Kollegen sammelten währenddessen alles, was sie auf der Lichtung und im angrenzenden Wald an möglichen Hinweisen finden konnten. Allerdings war es schwer zu entscheiden, was unter die Kategorie „Indizien“ fallen konnte. Deshalb wanderten Zigarettenstummel, Papierschnipsel, Plastikmüll, abgebrochene Zweige und sogar Dreck, der nicht zum übrigen Waldboden passte, in kleine Plastikbeutel. Aus Erfahrung wussten sie, dass das meiste nichts mit dem Mord zu tun haben würde, aber das konnte erst im Labor mit Sicherheit herausgefunden werden.
„Wo bleibt denn nur der Arzt?“, grummelte Hellberg ungehalten. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, waren auch schon Motorengeräusche zu vernehmen. Kurz darauf hielt ein silberner BMW hinter dem mittlerweile stattlichen Pulk von Zivilfahrzeugen und Polizeiwagen. Ein gebrechlich wirkender Mann mit schlohweißen Haaren stieg aus und ging gemächlich auf Hellberg zu.
„Doktor Schmidt, wie schön, dass sie es einrichten konnten!“, begrüßte er den Arzt.
Ich schätzte, dass Schmidt kurz vor dem Rentenalter stand und zu den Ärzten gehörte, die sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen ließen.
„Sie wissen doch: Anruf genügt und ich sprinte los!“, scherzte Schmidt mit heiserer Stimme, doch Hellberg war nicht zum Lachen zumute.
„Was haben wir denn?“, fragte der Arzt.
Hellberg wies in Richtung der Leiche. „Eine junge Frau mit durchschnittener Kehle.“
„Scheußlich!“, murmelte Schmidt nur, ehe er sich bedächtigen Schrittes auf den Weg machte, um sie zu untersuchen.
Es war Vorschrift, dass ein Arzt am Fundort den Tod eines Menschen feststellte. Erst dann war es amtlich, und die Leiche durfte weggeschafft und, falls notwendig, zur Obduktion freigegeben werden.
Hauptkommissar Hellberg ließ sein Augenmerk langsam über die Szene schweifen. Ich versuchte, seinem Blick zu folgen, und überlegte, was in seinem Kopf vorgehen mochte. Am Rand der Lichtung stand ein verwitterter Hochsitz. Die Leiche der jungen Frau lag gut fünf Meter davon entfernt. Zu weit, als dass sie eventuell von dort oben hätte herabgestürzt sein können. Die klaffende Wunde am Hals ließ eigentlich keine Spekulationen über die Todesursache zu, aber man sollte nie ein Urteil abgeben, bevor die Rechtsmedizin den Leichnam obduziert hatte. Zu viele merkwürdige Überraschungen gab es bei gewaltsamen Todesursachen.
Hellberg streckte sich schließlich und verzog kurz das Gesicht. Offensichtlich litt er unter Rückenschmerzen. Typische Bürokrankheit, dachte ich. Dann ging er zu seinem Kollegen Zimmermann, der bereits mit der Vernehmung von Zeugen begonnen hatte und eifrig in sein Notizbuch schrieb. Ich wunderte mich, wie der hagere Mann es bei den schweißtreibenden Temperaturen in der Lederjacke aushielt.
„Wer hat den Leichenfund gemeldet?“, fragte Hellberg.
Zimmermann blätterte einige Seiten zurück. „Die männliche Person, die in der Zentrale angerufen hat, heißt Josef Schuster, wohnhaft Hauptstraße 5 in Halsterbach. Sein Anruf ging um acht Uhr elf ein. Er hat gemeldet, dass auf einer Lichtung neben einem Hochsitz bei Halsterbach eine Tote läge und gab deren Namen mit Melanie Köhler an. Auf die Frage des Kollegen in der Zentrale, hat er noch die Lage des Fundorts im Wald näher beschrieben.“
Zimmermann deutete auf einen untersetzten, rotgesichtigen Mann, der in vorderster Front der Gaffer stand. „Josef Schuster ist übrigens der Bürgermeister des Dorfes. Er selbst hatte die Leiche allerdings zu dem Zeitpunkt des Anrufs noch gar nicht gesehen gehabt, wie er mir eben erzählt hat.“
Hellberg zog die Augenbrauen hoch. Es war ungewöhnlich, dass nicht der Finder selber anrief. Ich hingegen kannte die Halsterbacher gut genug, um zu wissen, dass sie nie die Polizei anrufen würden, bevor sie nicht mit Jupp gesprochen hatten.
„Woher hatte er die Information?“, fragte Hellberg.
Erneut blätterte sein Kollege. „Der Name des Finders wurde von Schuster mit Helmut Rodder angegeben, wohnhaft Auf dem Acker 1 in Halsterbach.“
„Wurde dieser Rodder schon vernommen?“
„Von mir jedenfalls nicht. Er befindet sich nicht hier am Fundort.“
Hellberg sah nachdenklich zu der Menschenansammlung hinter den rot-weißen Flatterbändern. „Sobald wir hier fertig sind, fahren wir zu ihm“, sagte er schließlich. „Ist sonst irgendetwas Interessantes über die Tote bei der Vernehmung von der Meute da drüben heraus gekommen?“
Zimmermann vertiefte sich wieder in sein Notizbuch. „Melanie Köhler, zwanzig Jahre alt, stammte aus Halsterbach, studierte aber seit einem Jahr in Köln. Sie war letzten Freitag bei ihrer Mutter Franziska und ihrem Bruder Christian zu Besuch eingetroffen. Der Vater ist schon seit neun Jahren tot. Streit hat es in der Familie oder im Dorf mit Melanie Köhler angeblich nicht gegeben. Vor zwei Tagen, am Samstag, den elften August, wollte sie abends zurück nach Köln fahren, und wurde zu dem Zeitpunkt, nach dem bisherigen Erkenntnisstand, das letzte Mal in Halsterbach gesehen. Als vermisst wurde sie noch nicht gemeldet. Keiner der Anwesenden hat eine Ahnung, wer sie umgebracht haben könnte.“
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