Karas zog seinen Arm und sein Bein zurück, gab sie frei und murmelte: „Ich liebe dich, also lass das!“
„Du arroganter Kerl!“, fauchte sie und rieb sich die tauben, schmerzenden Arme und Hände.
„Ich warne dich, hör auf.“ Seine Stimme klang so emotionslos, so fest, so unbeteiligt, dass sie mit vor Schreck geweiteten Augen auf ihn starrte.
Sie hatte sich halb aufgerichtet. „Was bist du nur für ein Mensch?“
Sie hatte diesen Gedanken nicht mal laut ausgesprochen und er antwortete trotzdem: „Lass das!“ Diesmal war der Ton schärfer und eine klare Drohung.
Einen Augenblick später öffnete er die Augen und sah sie an.
„Oh nein“, wimmerte sie beim Blick in seine schimmernden Augen, die aus einer endlos scheinenden Tiefe zu ihr sprachen. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, doch seine Augen veränderten ihren Ausdruck nicht. Gefühle von kalter Entschlossenheit gemischt mit endloser Trauer, zusammen mit dunkelsten Gedanken, schienen darin zu funkeln. Sie konnte nichts anderes erkennen. Er schloss ganz langsam für einen Moment seine Lider und als er sie wieder öffnete, war nur noch Zärtlichkeit darin.
Wie machte er das? Wer war er? Was war er?
Er streckte die Hand aus, um sie zu sich zu ziehen. Zögerte einen winzigen Moment und ließ einen kurzen Schmerzenslaut über seine Lippen kommen, dann zog er sie beherzt zu sich heran. Irrer Weise schmiegte sie sich an ihn, erfüllt mit dem Gedanken: „Ich habe gut gekämpft. Gut so!“
Eine ganze Weile blieben sie entspannt und aneinander gekuschelt liegen. Schließlich stand sie ungehindert auf und holte eine Schale mit Wasser. Nahm einen Schluck und reichte sie ihm. Er richtete sich auf, nahm die Schale aus ihrer Hand, sah sie über deren Rand an, während er sie langsam und genussvoll leerte. Dann gab er ihr das Gefäß zurück und stand auf. Streckte sich, fasste nach einem besonders tiefen Kratzer, der vom Hals über seine Schulter auf den Rücken lief, zog mit ein paar drehenden Bewegungen die Schulter nach vorne und brachte seinen Körper zurück in seine normale, aufrechte, entspannte Haltung. Wortlos und ohne weiteren Blick verließ er das Zelt.
Beim Wasser holen begegnete sie Kari.
„Shana! Shana, Liebes. Komm, lass dich ansehen.“
Nach ihrer Stimme zu urteilen, hatte sie ihren Sohn bereits getroffen. Mit ausgestreckter Hand berührte sie Shana und drehte sie mit leicht dirigierender Bewegung einmal um ihre eigene Achse. „Er hat sich wohl nicht soo schlecht benommen, wie es aussieht?!“, stellte sie halb fragend, halb befriedigt fest.
Jetzt sah Shana an sich selbst herab. Außer den roten Spuren an ihren Handgelenken war sie tatsächlich unversehrt.
„Komm mit. Wir haben zu reden! Das Wasser kannst du später holen“, befahl Kari in einem zuckersüßen Ton. Shana folgte ihr in Karis, „Nein – Handars Zelt“, korrigierte sie sich selbst.
Handar war nicht da, nur Werra saß davor, gab auf die jüngste Schwester acht und sortierte Hülsenfrüchte. Als sie ihre Mutter und Shana kommen sah, lächelte sie, blickte erstaunt und dann rasch wieder auf die vor ihr stehenden Kalebassenhälften.
„Ich habe mit Shana zu reden“, murmelte ihre Mutter und sie verstand. Shana folgte Kari ins Zelt und setzte sich auf den mit leichter Geste zugewiesenen Platz. Kari stellte ihren Wasserkrug ab, wandte sich Shana zur Gänze zu und wartete offensichtlich, dass sie zu sprechen anfing. Ein peinliches Schweigen breitete sich aus. Kari begann irgendwelche Gegenstände herumzuräumen. Es war Shana klar, dass sie wartete.
Shanas Mund war plötzlich ganz trocken und sie fühlte sich erschöpft, ausgedörrt wie schon lange nicht mehr. Es war das gleiche Gefühl, dass sie gehabt hatte, wenn sie erfolglos nach einer mehrtägigen Suche in ihre Hütte zurückgekehrt war und das Schweigen der Kinder und Yambis kaum ertragen konnte. Dann hatte sie stets als einfachste Lösung wieder nach ihrem Wasserbeutel gegriffen, war von Yambi wortlos, aber herzlich umarmt worden und wieder hinaus gegangen. Doch hier? Hilflos rang sie nach Worten. Es gelang ihr nicht. Mit hängenden Schultern und Kopf saß sie da und fand keine passenden Worte.
„Dann habe ich dir etwas zu sagen“, brach Kari schließlich das Schweigen. Sie stellte eine Schale mit frischem Wasser vor Shana so heftig auf den niedrigen Tisch, dass die kostbare Flüssigkeit überschwappte. Shana blickte auf, direkt in Karis Gesicht.
„Mein Sohn schweigt. Ich meine, er redet mit den Männern über dies und das. Beachtet seine Aufgaben, aber sagt keinen Ton zu seinem Aussehen und zu dem was zwischen euch abläuft. Er verbirgt aber auch nichts. Jeder kann sehen, dass er von einem Biest angefallen worden ist und er offensichtlich beschlossen hat, es einfach zu ignorieren. - Ich will, dass du das weißt.“ Bisher sprach sie langsam und gleichgültig, dann änderte sich der Ton und ermahnend fügte sie hinzu: „Treib es nicht zu weit. Ich möchte dich nie in dem Zustand sehen, den du haben wirst, wenn er sich wehrt. Hast du mich verstanden?“
Shana nickte langsam und sagte gleichzeitig: „Nein.“
„Dann will ich es dir erklären: Wenn er will, wirst du keine heile Stelle mehr an deinem Körper haben. Ich habe einmal eines seiner Opfer gesehen und ich war entsetzt. Dich will ich nie pflegen müssen, weil du seinen Zorn entfacht hast. Hast du das jetzt verstanden?“
„Was erwartest du von mir? Was soll ich deiner Meinung nach tun? Soll ich mir alles von ihm gefallen lassen? Ich werde mich seinem Willen nicht unterordnen. Ich werde nicht die meiste Zeit im Zelt verbringen und auf ihn warten. Ich will fort und eher sterbe ich, als dass ich mir von ihm befehlen lasse, was ich zu denken und zu tun habe.“
„Du weißt nicht, wovon du redest. Er wird dich nie gehen lassen und du wirst dir wünschen, dass du sterben dürftest, bevor er mit dir fertig ist!“ Sie schnaubte. Nach einer kurzen Pause sprach sie bemüht ruhiger weiter: „Warum ist es so schwer für dich, bei ihm zu bleiben? Fehlt dir etwas? Liebt er dich nicht oft genug? Sorgt er nicht für dich?“
„Doch. Doch, mit Liebe hat das nichts zu tun, aber er...“
„Stopp. Erzähl mir keine Einzelheiten eurer Angelegenheiten!“, unterbrach Kari sie.
„Keine Angst. Manche eurer Regeln habe ich kapiert.“
„Unsere Regeln. Unsere? Du solltest sie als deine Regeln akzeptieren!“ Ihre Stimme überschlug sich fast, als sie diese Worte hervorstieß.
„Das kann und will ich nicht.“
„Bei allem was heilig ist, dann ist dir nicht zu helfen! Ich habe dich gewarnt. Geh jetzt!“, mit diesen Worten drehte sie Shana den Rücken zu, ihr Ton war immer schärfer geworden und nun beschäftigte sie sich demonstrativ mit ein paar Gewändern. Sichtlich bemüht, wieder ruhiger zu werden.
Shana stand auf, nahm ihren Krug und ging hinaus. Werra sah lächelnd zu ihr auf. Sie erwiderte das Lächeln mechanisch und ging zur Quelle. Sie wusste, dass die Frauen und Mädchen darüber tuschelten, welche Spuren Karas Körper zeichneten und die Männer ihn für seinen Gleichmut wortlos bewunderten. Manch einer dachte bestimmt, dass er sich so nie behandeln lassen würde.
An der Quelle waren nur zwei ältere Frauen, die sie höflich begrüßte und die ihren Gruß erwiderten. Wieder bei ihrem Zelt angelangt, wartete Lea mit ein paar frischen Datteln auf sie. Sie setzten sich in den Schatten des Eingangs und plauderten zunächst belangloses Zeug, bis Lea auf einmal die Bemerkung fallen ließ: „Bitte Liebes, erzähl mir, schämst du dich nicht?“
Entrüstet starrte Shana sie an: „Warum sollte ich mich schämen? Halte ich mich selbst hier gefangen? Tue ich so, als sei mein Wille Gesetz?“
„Oh nein, was redest du? Du hast sein Lager geteilt! Du teilst mit Karas dein Zelt. Du bist allein hinein gegangen! Und es sah nicht so aus, als ob du gezwungen würdest!“
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