Wenn sie auf dem Rücken eines Pferdes das Lager verließ, wurde sie von einem der jungen Männer begleitet, der ihr aber in gebührendem Abstand folgte. Shana war, aus ihr selbst unerfindlichem Grund, bisher zu scheu diese Frau anzusprechen.
Die andere Frau, die selbst ausritt, war die Mutter von der hübschen Eschei, Escha. Ihr gehörte einer der herrlichsten Hengste des Lagers. Lea erzählte, dass sie ursprünglich aus einem anderen Clan stammte, dessen ganzer Reichtum in einer berühmten Pferdezucht gipfelte. Escha ritt fast jeden Tag bei Sonnenaufgang aus und kehrte schon zurück, bevor die Sonne über den Baumwipfeln stand. Auch sie hatte kaum Kontakt zu anderen Frauen. Lea erzählte außerdem, dass Escha als unglücklich galt, weil sie nach all den Jahren noch immer ihre alte Familie vermisse. „Liebes, es ist wohl so, wie man sich erzählt: Joradas hat sie für seine besten fünf Pferde eingetauscht. Aber ungehörige Zungen munkeln, man wisse nicht, ob Joradas eher an dem Hengst oder an Escha selbst interessiert war.“
Eines Tages kam Karas von einer langen Versammlung zurück, wirkte bedrückt und war wortkarg. Shana fühlte sich sowieso den ganzen Tag elend. Sie hatte ihn vermisst und keine rechte Beschäftigung gefunden, die sie hätte ablenken können. Dazu kam, dass sie es hasste, wenn sie das Gefühl hatte, er verheimliche ihr etwas. Also bedrängte sie ihn mit Fragen, bis er sie herrisch anfuhr: „Es geht dich nichts an! Gib mir Wasser.“
„Wie bitte?“, fuhr sie auf. „Du willst mir den Mund verbieten? Du befiehlst mir?“
Ihr Widerspruch nervte. Stöhnend antwortete er: „Shana, halt den Mund. Tu einfach, was ich sage. Ich mag heute nichts mehr hören.“
„Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden?”, schrie sie und griff nach dem Krug, der zufällig neben ihr stand und schleuderte ihn in seine Richtung. Kurz neben seinem Kopf zerschellte der Krug an einer der tragenden Zeltstangen. „Neiiiin!“, kommentierte sie ihren Fehlwurf schreiend. Ihre Wut wurde durch diesen Fehlschlag offensichtlich weiter angestachelt. Sie griff einfach nach allem, was erreichbar war und warf damit nach ihm. Sie wollte ihn verletzen, vertreiben. Sie schrie und tobte: „Mach, dass du fort kommst. Du herrischer, widerlicher Wüstendreck.“ Ihr fielen immer neue Tiraden ein und sie wurde lauter und lauter.
Stand er bis dahin noch ganz unter dem Eindruck der Gespräche des Rates, so stand er jetzt überraschend in einem Kampf mit seiner grundlos verärgerten Frau. Darauf war er weder gefasst noch hatte er Lust, sich damit auseinander zu setzen. Schon beim ersten Anzeichen ihrer Wurfattacke hob er seinen Arm zur Abwehr. „Wie gut, dass sie so schlecht zielt, wenn sie wütend ist”, blitzte ein Gedanke in seinem Kopf. Er schwankte, ob er zu ihr gehen und sie einfach festhalten oder lieber den Rückzug antreten sollte. Ihre Würfe wurden rasch genauer und sie stand dummerweise vor dem gesamten Geschirr. Es war leicht abzuschätzen, wann sie sich eingeworfen haben würde. Ein Teller, der schmerzhaft seinen Arm streifte, brachte den Ausschlag. Er entschied sich für den Rückzug.
Als er aus dem Zelt trat, schlenderten genau in diesem Moment Arak und Ra'un vorbei. „Ho, Brüderchen, ist das ein heraufziehender Sandsturm oder ein boshafter Geist in deinem Zelt?“
„Puh, ich bin ihm entkommen, daher muss es ein Geist sein“, gab Karas halb lachend zurück und rieb sich die Hände, als wolle er sie säubern.
Arak grinste und fragt mit unverhohlener Häme: „Könnte das auch deine süße Frau sein?“
Karas blickte ihn von unten herauf an, wobei er sein Kinn gesenkt hielt: „Könnte sein!“ Dann hob er den Kopf und sah die beiden mit aufgesetzt herausfordernder Miene an: „Gehen wir eine Pfeife rauchen?“
„Eine gute Idee, ich möchte sowieso mit euch beiden etwas besprechen, was eine kleine, ruhigere Runde vertragen könnte“, antwortete Ra'un.
Inzwischen stand Shana vollkommen in Tränen aufgelöst im Zelt und betrachtete den selbst verursachten Scherbenhaufen. Elend und erschöpft ließ sie sich nieder. Dieses Scheusal, dieses elende Scheusal, wagte es tatsächlich ihr den Mund zu verbieten. Er hatte sie dazu gebracht, ihn verletzen zu wollen. Was hatte er aus ihr gemacht?
Zuhause hätte sie jetzt ihre Sandalen angezogen, den Wasserschlauch umgehängt, sich von den Kindern verabschiedet und wäre gegangen. Auf der Suche nach der nächsten Wasserstelle hätten sich ihre Gedanken geklärt und sie hätte bei der Rückkehr gewusst, ob sie weiterhin das Lager dieses Mannes teilen wollte oder nicht. Doch hier? Warum eigentlich nicht? Was oder wer sollte sie hindern? Sie wollte nicht so enden wie Lea. Auf keinen Fall würde sie sich diesen Regeln unterordnen.
Sie brauchte lange, um ihre Gedanken zu klären, zu lange. Als ihr Entschluss zu gehen, gefallen war, war es zu spät.
„Du bleibst.“
Oh – wie sie diesen herrischen Ton hasste; wie sie ihn dafür hasste, sie hindern zu können.
„Du bleibst und hältst den Mund!“
„Oder?“
Statt einer Antwort hob er sie hoch und trug sie zum Bett.
„Nein!“, stöhnte sie. Doch er ließ sich von ihr nicht stoppen. Sie schlug auf ihn ein, grub ihre Nägel in seine Schultern und spürte wie sie seine Haut aufriss, versuchte sich mit Händen und Füßen zu wehren, beschimpfte ihn und versuchte zu beißen, wenn er nah genug kam. Er schien von einer merkwürdigen Ruhe beherrscht. Griff zielsicher ihre Handgelenke, zog sie über ihren Kopf und fixierte sie dort mit der linken Hand in einer für sie unauflösbaren Umklammerung, nutze ihre Bewegungen aus und drehte sie auf den Bauch, drücke sie, neben ihr liegend, mit dem Knie nieder und – ließ sie gewähren.
Sie kämpfte. Panik stieg in ihr auf. „Er wird mir wehtun!“, schoss es durch ihren Kopf.
Aber er tat nichts dergleichen. Er hielt sie im wahrsten Sinne des Wortes nur fest umklammert und war selbst in einer beinah unnatürlichen Ruhe. Fast kalte Berechnung. Dies stachelte sie noch mehr an. Sie tobte bis ihre Kräfte erlahmten. Er verwandte sofort weniger Druck auf seinen Griff, was sie sogleich zu einem neuen Versuch nutzte, sich zu befreien. Vergebens.
Irgendwann war sie zu erschöpft, keuchte halb erstickt: „Du verdammter Kerl!“ und dann gab sie auf. So sehr, dass der Schlaf sie übermannte.
Als sie erwachte, lag er selig schlafend halb über ihr, den linken Arm locker auf ihren beiden Armen, das rechte Bein über ihrem Unterleib. Sein Gesicht war vollkommen entspannt und strahlte glückliche Zufriedenheit aus. Sein Hals und Oberkörper war von Kratz- und Bissspuren gezeichnet, selbst blaue Flecke schimmerten an einigen Stellen auf seiner Haut.
„Hm, nicht gut. Aber wie kann er dabei so zufrieden aussehen?“, war alles, was sie bei seinem Anblick denken konnte. „Dieser Mistkerl. Ich will das nicht. Ich halte es kaum ohne ihn aus. Ich will nicht mehr. Ich liebe ihn. Ich will hier weg.“
Jeder ihrer Muskeln schmerzte und ihre Hände fühlte sie fast nicht mehr. Wenn sie sich bis gestern von seinen riesigen Händen fasziniert und angezogen gefühlt hatte, hatte sich diese Einschätzung über Nacht schlagartig verändert. Sie hasste es, dass er sie mit einer Hand kontrollieren konnte und gleichzeitig jagte ihr dieser Gedanke einen wohligen Schauer über die Haut. Sie versuchte ihre Arme unter seinem Arm hervorzuziehen, doch er war anscheinend selbst im Schlaf wachsam. Jedenfalls erhöhte sich sofort der Druck auf ihre Arme. So sehr, dass sie sie nicht frei bekam. Sie starrte ihn zornig an.
„Du bleibst!“, ohne die Augen zu öffnen oder den Gesichtsausdruck zu ändern, sprach er diese Worte deutlich und zärtlich aus.
Es war unglaublich. Und noch unglaublicher war, dass sie sich selbst hörte, wie sie sanft „Ja. - Ja, ich bleibe“, flüsterte.
Wie konnte sie nur? War sie jetzt vollkommen verrückt? Was spielte sich gerade in ihrem Kopf ab? In Gedanken betrachtete sie sich selbst. Wie sie da lag, wie sie ihrem Mann beinahe ihre Liebe gestand. Wie sie diese Liebe, ja sogar starkes Verlangen spürte und wie sie sich gleichzeitig dafür verfluchte. Sich wünschte wegzugehen, diese Welt für immer zu verlassen. Sie lag da. Verrückt! Kein Zweifel, sie war verrückt geworden!
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