„Ja, da hast du wohl Recht!“, murmelte Shana. Kaum waren diese Worte über ihre Lippen gekommen, bereute sie sie schon. Wie konnte sie Kari nur so beleidigen? „Entschuldige bitte, ich vergaß...“
„Du hast keinen Grund, dich zu entschuldigen. Deine Offenheit kann mir nur gut tun, denn du bist so rein wie deine Rede und das ist gut!“
Kari stand dennoch auf und es war ihr anzumerken, sie war zwar nicht beleidigt, doch sie musste um ihre Fassung ringen. Unklar blieb, was sie stärker verunsicherte, die Erinnerung an das unerhörte Verhalten ihres Sohnes oder Shanas leider zutreffende Bemerkung. Sie drehte sich unschlüssig hin und her und dann sagte sie: „Wäre das nun geklärt? Darf ich dich die Braut meines Sohnes, meine Tochter, nennen?“
Jetzt war es an Shana, um Fassung zu ringen und stockend, lächelnd, atmete sie tief ein. Sie begriff, wie sehr Kari an ihrem Glück lag.
„Ja! Ja, ich bitte dich darum!“, hauchte sie schließlich ihre Einwilligung.
„Na dann“, glücklich schnaubend richtete sich Kari zu ihrer vollen Größe auf, „wollen wir uns den letzten Vorbereitungen stellen.“
Sie klatschte in die Hände und zwei ältere Frauen, Lea, Eschei und Werra kamen wieder ins Zelt, beladen mit Stoffen und Krügen.
Unerwartet fühlte sich Shana in die Mitte des Zeltes gezogen. Kari organisierte mit sanfter Stimme die eigentliche Vorbereitung der Braut für die Begegnung mit dem Bräutigam. Erstaunlich rasch ging das Waschen, Salben, Ankleiden vor sich. Zu ihrer Brautausstattung gehörte keinerlei Kopfbedeckung. Dafür steckten sie ihre Haare kunstvoll auf. Zum Schluss stießen die Frauen Freudentriller aus. Daraufhin rafften einige jüngere Frauen die gesamte vordere Zeltwand zur Seite und befestigten sie mit langen Stangen wie eine Verlängerung des Zeltdaches. Vor ihnen erstreckte sich das Lager mit vielen Feuerstellen, prächtig gekleideten Menschen und über allem strahlte der ewige blaue Himmel.
Nach den Tagen in dem dämmrigen Licht des Zeltes blendete die hereinströmende Helligkeit. Shana ließ sich zuerst von Kari bis zum Zeltrand, dann von Lea einige Schritte hinaus bis auf den Platz führen. Auf einem prächtigen Teppich zwischen den Zelten hielten sie an und warteten.
Ra'un, vollständig in neue, strahlend dunkelblaue Gewänder gekleidet, löste sich aus der Gruppe der wartenden Männer und kam auf sie zu. Sie musste ihren Kopf in den Nacken legen, um in sein Gesicht zu schauen, als er vor ihr stand. Seine leuchtenden Augen hätten zu jedem Bräutigam gepasst. Er hielt ihr seine Hand hin und sie legte ihre in seine. Ohrenbetäubender Jubel erhob sich, Trommeln und Flöten spielten wilde, rhythmische Melodien. Verwirrt sah Shana zu Ra'un auf. Dessen Gesicht war verschleiert. Sie konnte nur seine Augen sehen, doch die lachten und strahlten genug, um erkennen zu lassen, wie glücklich er war. Er führte sie zu einem neu errichteten, strahlend hellen Zelt mit karmesinrotem Dach. Davor wiesen sehr viele Schalen, die bis zum Rand mit klarem Wasser gefüllt waren, den Weg zum Eingang. Von irgendwo hörte Shana Handars Stimme: „Möge Shanas Zelt immer mit Freude gefüllt sein, wie diese Schalen mit Wasser. Möge Karas Gefährtin immer so Leben spendend sein, wie die Schalen mit Wasser. Möge das Wasser für sie immer reichlich sein.“
Kaum waren die letzten Worte verklungen, erreichten Ra'un und Shana den Zelteingang. Lea trat hinzu, löste ihr kunstvoll hochgestecktes Haar, so dass es wie eine goldene Kaskade ihren Rücken herunterfiel. Ein ehrfürchtig erstauntes Raunen war die Folge. Dann schob Ra'un den Teppich beiseite, der das Zelt bis dahin verschlossen hielt und wies Shana durch ein Nicken an, hineinzugehen. Sie schluckte, schwankte, Panik wollte sich in ihr ausbreiten. „Wen heirate ich?“, flog ein Gedanke durch ihren Kopf. Alles drehte sich.
Sie mochte Ra'un, aber sie hatte geglaubt, Karas wolle sie zur Gefährtin. Der war nirgends zu sehen. Ihr Schwanken wurde stärker, Ra'uns Hand stützte sie. Sie schaffte es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und durch die Öffnung des Zeltes zu treten. Hinter ihr fiel der Teppich herunter, dämpfte alle Geräusche. Das gleiche dämmrige Licht, in dem sie mehr als die zehn letzten Tage zugebracht hatte, umgab sie nun wieder, milderte die aufkommende Panik. Sie sah das riesige Bettlager, traditionell mittig am hinteren Rand des Zeltes, alles Weitere verschwamm vor ihren Augen. Sie atmete zu flach, rang nach Luft und ihre Knie gaben einfach nach. Das letzte, was sie noch wirklich wahrnahm, waren braune nackte Füße auf fast schwarz-rotem Teppich und ein paar Beine, die in leichtem, weißen, pluderhosenartig gewickelten, feinen Stoff steckten.
Das Nächste was sie wieder deutlich sah, war Karas breite Brust. Sie spürte, dass er sie mit seinen kräftigen Armen vor seinem schlanken Körper hielt. Sie atmete seinen heißen Duft ein und fühlte das leichte Zittern unter seiner Haut. „Wieso zittert er, ich kann ihm doch nicht plötzlich zu schwer sein? Ich träume wahrscheinlich“, dachte sie. Sie hörte ihr eigenes Herz in ihren Ohren pochen. „Ich träume mich in seine Arme.“
Nur die Behutsamkeit, mit der er sie auf das Lager bettete, der unvergleichliche Geruch seiner Haut, seine vollen, dunklen Lippen, die vorsichtig ihre Stirn berührten, seine Augen, die ihr Gesicht erforschten, bevor er sanft ihrem Mund küsste, ließen sie zweifeln, ob sie sich nicht doch in der Wirklichkeit befand. Mit seinen Lippen erkundete er zärtlich ihr Gesicht, ihren Mund und ihren Hals. Nach kurzem Zögern antwortete sie ihm. Langsam öffnete er ihr Gewand, als würde er ein wertvolles Päckchen auspacken, dann lag er neben ihr, auf ihr, um sie herum. Er war überall, mit seinen Händen und seinen Lippen, erkundete behutsam fordernd ihren Körper und ließ dabei keinen Laut vernehmen. Mehr und mehr begann sie seine Berührungen zu genießen, bis sie sich von wohligen Gefühlen erfasst und hinweg getragen fühlte. Sein Körper bebte auf ihr und ihr eigener antwortete. Nach und nach pulsierte jeder ihrer Muskeln. Während er sich immer dichter an sie drängte, zerfloss sie unter ihm. Sein Rücken spannte sich und mit einer fließenden Bewegung drang er in sie ein. Im gleichen Augenblick verspürte sie einen bis dahin unbekannten Schmerz. Eine brennende Hitze stieg aus ihrem Schoss auf, flutete bis in ihren Kopf. Sie biss sich auf die Lippen und versuchte ein Stöhnen, dass sich tief aus ihrem Bauch empor drängte, zu unterdrücken. Es gelang ihr nicht. Da erst vernahm sie sein leises, grollendes Stöhnen und empfing seine Wucht in ungeahnter Heftigkeit. Sie schrie, vielmehr hörte sie sich selbst schreien. Die Welt verwandelte sich in eine feuchte, heiße Sinfonie aus Haut, Geruch und Stoff. Schließlich hielt er heftig atmend inne, stützte sich auf seine Unterarme und blieb über ihr. Strahlte sie mit diesem wahnsinnig siegesbewussten Lächeln an. Im Schein kleiner Öllampen glänzte seine Haut feucht und er seufzte mit einem zutiefst zufriedenen Unterton: „Ich liebe dich.“
Er ließ sich an ihre rechte Seite gleiten und rollte sie gleichzeitig mit sich. Den Arm um sie geschlungen und noch immer schwer atmend, schmiegten sie sich fest aneinander. Shana erkundete sein Gesicht wie nie zuvor. Sein Anblick verstärkte das wohlige Gefühl in ihrem Körper. Alles fiel von ihr ab, alles war, wie es sein sollte. Entspannt schlief sie ein. Bei ihrem Erwachen erblickten ihre Augen als erstes sein Gesicht. Er strahlte sie an, voll von Zärtlichkeit, Liebe und Glück.
„Hallo, meine schöne Frau“, und seine Hände fuhren mit sanfter Behutsamkeit erneut über ihren Körper. Er verschaffte ihr Empfindungen, deren Existenz sie nicht einmal geahnt hatte. Sie wurde zu zerfließendem Sand unter seiner Berührung. Ihre körperlichen Grenzen verschwammen wie der Horizont in der flirrenden Luft der Geröllwüste. Das Wechselspiel seiner stählernen Muskeln, die zur Weichheit langsam fließenden Wassers gelangen konnten, um im entscheidenden Moment ihr sicheren Halt zu geben, verdrängte jeden Gedanken.
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