Dann erklang eine leise, fröhliche Musik von Trommeln und Flöten. Die Klänge verrieten, dass sich alle gemächlich wieder den gewöhnlichen Freuden eines Festes zuwandten.
Shana war froh, in diesem Moment ganz fest gehalten zu werden. Zwar verspürte sie den Drang, gegen diese Art des Umgangs mit ihr zu widersprechen, aber gleichzeitig genoss sie es, im wahrsten Sinne des Wortes, zum ersten Mal in ihrem Leben aus der Verantwortung getragen zu werden. Karas trug sie noch durch das halbe Lager, bis zu der engeren Baumgruppe des Quellplatzes und ließ sie erst neben der Quelle zu Boden. Jetzt, zu später Stunde, war dieser Ort verlassen und nur ein paar kleine Wildtiere näherten sich vorsichtig dem Wasser.
Erst saßen sie nur schweigend nebeneinander. Er betrachtete Shana mit forschendem Blick. Sie zeigte keine Reaktion, aber das siegessichere Grinsen auf seinem Gesicht verschwand langsam. Stattdessen zog er mehr und mehr die Stirn kraus.
„Du wirst doch bei mir bleiben?“, fragte er leise und hörbar besorgt.
Ohne ihm zu antworten, hob sie seufzend ihr Gesicht dem Himmel entgegen und zog geräuschvoll die Luft in die Nase. Dann ließ sie sich auf den Boden sinken, starrte noch eine Weile auf die heranziehende Dunkelheit, bevor sie deutlich sagte: „Bis zum nächsten Sonnenaufgang bestimmt!“
„Shana“, stöhnte er. Empörung und Unsicherheit färbten seine Stimme. Plötzlich war er ganz verlegen und kleinlaut: „Du bist sicher schockiert, über die Art wie ich über dich gesprochen habe…“
„Über mich?”, schnaubte sie und fuhr ruckartig wieder hoch. „Du hast über Frauen gesprochen, als wären sie Vieh! Du hast klar gemacht, dass das die Haltung der Hathai gegenüber ihren Frauen ist. Über eure Pferde sprecht ihr mit Achtung und Bewunderung, Zärtlichkeit und Stolz. Über Frauen dagegen, redet ihr genauso abschätzend wie über eure Viehherden. Und ich soll schockiert sein. - Schockiert?!“ Sie hatte das letzte Wort fast geschrien. „Das ist wohl nicht das richtige Wort. Wie kannst du es wagen, auf diese Art über mich zu reden? Was unterscheidet dieses Gerede denn von dem der Vieh- oder Sklavenhändler? In was für einer Welt lebst du und deine Familie eigentlich? Meinst du wirklich, ich wollte ebenfalls auf diese Art leben? Ich bin Searcher in meiner Sippe. Ich bin verantwortlich für die Versorgung meiner Gemeinschaft und für unser Überleben. Ich bin eine freie Frau.“
„Natürlich bist du eine freie Frau, aber schau, deine Leute sind fort ...“ unterbrach er sie beschwörend und flehend zugleich.
Dies waren die falschen Worte. Kaum ausgesprochen, entwickelten sie ihr Gift.
„Ja, du hast Recht“, fauchte sie ihn an und sie fühlte die Hitze in ihrem Körper aufsteigen, das Blut schoss ihr ins Gesicht, sie bebte vor unterdrückter Wut. „Sie sind fort. Aber das gibt mir noch lange nicht das Recht, mich nicht darum zu kümmern, wo sie sind und mich stattdessen zu einem Haufen herrischer Hathai zu verkriechen und versorgen zu lassen. Was ich gerade gehört habe, hat mir gezeigt, was ich hier zu erwarten habe. Nein, ich bin schon viel zu lange hier. Dein Vater hat Recht. Recht damit, dass ich nicht die richtige Wahl für einen Hathai sein kann und Recht damit, dass du dich grauenhaft benommen hast. Wie du dich aufgeführt hast, ist unverzeihlich. Und ich bin schuld. Ich bin der Streitpunkt und habe alle in unnötige Gefahr gebracht. Mir bleibt nur eines, nämlich möglichst bald zu gehen. Und ich bin erholt genug, um endlich ernsthaft nach Yambi zu suchen.“
Karas hockte sich vor sie. Reine Sorge stand in seinem Gesicht. Mit mühsam gedämpfter Stimme bettelte er: „Shana, bitte! Ich will dich - bei mir. Ich will deine Familie sein. Ich kann mir keine andere Frau mehr an meiner Seite vorstellen. Das war zwischen uns doch geklärt.”
„So, seit wann?“
Er hob seine Stimme und seufzte, als rede er mit einem störrischen Kind: „Shana!“
Der sonst so sichere Karas war jetzt gänzlich verschwunden. Vor ihr kniete eher wieder der junge Mann, der sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt angestarrt hatte und so sprach- und hilflos war, als er ihr zum ersten Mal begegnete.
Ihre Augen fingen seinen bestürzt fragenden Blick ein und sie musste gegen ihren Willen lächeln. Dieser Mann, der keine Auseinandersetzung scheute, der stets seinen eigenen Kopf durchsetzte und sich nur seiner Mutter wirklich unterordnete, dieser Kerl, war vor ihr zu einem beinahe verzagten, sehnsuchtsvollen Bittsteller geworden. Gerade hatte er noch allen seine Sturheit und Stärke demonstriert, war mit ihr umgegangen, als hätte er ein Anrecht auf sie - und jetzt? Sein verzweifelter Blick und seine Hilflosigkeit, besänftigten Shana. Mehr, als ihr eigentlich lieb war.
Wesentlich ruhiger, ja sogar mit einem fragenden Unterton, antwortete sie: „Ja, du hast gesagt, was du willst. Aber siehst du nicht, dass das hier alles wieder ändert? Das ist gegen den Willen deines Vaters. Ich kann das Kari nicht antun. Sei doch vernünftig! Ich muss gehen und dein Platz ist hier.“
Weiter kam sie nicht. Er hatte ihr Zaudern bemerkt, verschloss ihren Mund mit einem langen Kuss, beugte sich über sie und dann legte er sofort seine Hand auf ihre Lippen, sagte fest und zärtlich zugleich: „Sei still! Du wirst meine Frau. Selbst mein Vater nannte dich Weib. Wenn du gehen musst, gehen wir gemeinsam. Dir bleibt nur eine Wahl: wenn du jetzt meine Frau werden willst, dann brauchst du nur zu nicken, ansonsten wirst du eine Hathai-Hochzeit aushalten müssen.“
So schnell hatte er sie diesmal rumgekriegt. Ihr Atem ging heftiger. Sie spürte einen riesigen Kloß in ihrem Hals, sein Körper bebte mit einem Mal über ihrem. Mit mächtigem Drängen pulsierten seine Muskeln fordernd an ihrem Körper und unbekannte, seltsame Gefühle bemächtigten sich jeder Faser ihres Leibes. Sie geriet in einen Strudel von Empfindungen. Voller Unwissenheit; fremd im eigenen Körper. Zwischen Angst und Sehnsucht, verlor sie jede Kontrolle. Sie rang nach Atem, um den schwindelnden Gefühlen beizukommen. Sein Druck gegen ihren Leib wurde stärker. Feuchte Hitze breitete sich zwischen ihnen aus.
„Entscheide dich“, stöhnte er, während er vor Anspannung keuchte. Da ertönten, direkt über ihm und mit scharfer Stimme gesprochen, die Worte: „Reiß dich zusammen!“
Plötzlich - und ohne warnenden Laut - war Ra'un hinter ihm aufgetaucht und riss ihn an den Schultern zurück.
„Reiß dich zusammen oder brauchst du kaltes Wasser zur Abkühlung?“, knurrte Ra'un ihn an, um gleich darauf Shana in freundlichem Ton zu bitten: „Shana, bitte geh ins Zelt. Eure Hochzeit findet statt und ich freue mich für euch, aber das passiert nicht jetzt.“
Er kniete mit einem Bein auf Karas Brust, packte ihn am Gewand und sprach: „Eine reife Vorstellung Brüderchen. Respekt. Aber du wirst deine Mutter nicht auch noch zum Gespött der anderen Frauen machen, indem du sie um die Hochzeit bringst.“
Erneut zu Shana gewandt, raunte er zwar noch immer freundlich, aber nachdrücklicher: „Nun geh schon, Shana!“
Sie bewegte sich zuerst zögerlich, als sie jedoch auf ihren Füßen stand, wurde sie sicher. Im nächsten Augenblick rannte sie los. Ra'un ließ seinen Bruder erst los, als er sie tatsächlich im Zelt der Familie wähnte.
„Du elender Dickkopf“, schimpfte er.
Karas bemühte sich um die Kontrolle über seinen Atem, bevor ein verschmitztes Grinsen sich breit über sein Gesicht zog. „Verdammt. Wer hätte das gedacht, dass mein Bruder meine Frau vor mir rettet?“, knurrte er halb lachend. „Wer hat dich geschickt? Auf wessen Seite stehst du?”
„Hör auf mit dem Quatsch! Nimm dir Shana zur Frau, aber nicht so. Du hoffst doch auch, dass sie dieses Fest nur einmal erlebt, also gönn‘ es ihr und jetzt denk gefälligst! Und zwar mit deinem Kopf!“
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