Gleichzeitig spürte sie, wie sie selbst an ihren Worten zu zweifeln begann. Hatte er sie gerade wirklich gebeten zu bleiben? Sie schrie auch gegen diese Zweifel an, stieß alle Verwünschungen aus, die ihr einfielen. Ein Teil von ihr wäre vor Freude fast in seine Arme gesprungen. Auf keinen Fall würde sie dies zulassen. Vor lauter Verwirrung, suchte sie immer weiter nach Worten des Abscheus, die sie ihm entgegenschmettern konnte.
So wie sie anfing, ihre Attacke aus Worten, Hieben gleich, gegen ihn zu schleudern, öffnete er die Lider. Ein treu ergebener, geschlagener Hund hätte nicht flehentlicher schauen können. Als sie nach Luft schnappte und händeringend ihren Wortschwall stoppte, bat er mit herzerweichender Stimme erneut: „Bitte Shana, bitte bleib bei mir!“
Und dann tat er etwas, was er bisher allenfalls gegenüber seiner Mutter getan hatte.
„Bitte Shana, verzeih mir! Es war falsch. Bitte verzeih mir und bleibe bei mir!“
„Was?“, stieß sie keuchend hervor. Sie trat noch einen Schritt zurück, musterte ihn und brüllte so sehr, wie die erstickende Hitze es noch zuließ: „Du hältst mich doch zum Narren. Du suchst in den anderen Lagern nach einer Gefährtin! Das hast du selbst gesagt.“
Er starrte sie ungläubig an. Langsam, ganz langsam verstand er. Das Begreifen für den Grund ihres Verhaltens kroch geradezu in seinen Verstand. Erleichtert bahnte sich ein Lachen in seiner Kehle, wuchs langsam an.
Schließlich hielt er nach Atem ringend inne, bevor er hervorstieß: „Nein, mein Schatz. Niemals wird eine andere Frau meine Gefährtin sein. Du bist die Frau, die ich will.“
Empört über sein Gelächter und misstrauisch, ob sie seinen Worten Glauben schenken konnte, starrte sie ihn an. Sie hörte die Worte, spürte einerseits die Erleichterung, die die Ursache für sein Gelächter war und zweifelte dennoch.
Kopfschüttelnd erklärte er: „Ich habe nur die Tradition befolgt. Seit ich dich gesehen habe, habe ich keine andere Frau angesehen. Wie kannst du daran zweifeln?“
Nach einem endlos scheinenden, unbeweglichen Moment, in dem sie ihn lediglich ungläubig musterte, trat er wieder auf sie zu. Vorsichtig berührte er mit einer Hand ihr Kinn, hob es ein wenig an und küsste sie mit unerwartet weichen Lippen.
Dieser Kuss jagte erneut Flammen durch ihren Körper. Ebenso heiß wie vorher ihre Wut und doch ganz anders. Sie versuchte sich, halbherzig und ohne Erfolg, seiner Berührung zu entziehen. Aber seine Hand war so sichernd, wie seine Lippen sanft waren.
„Shana. Du bist die einzige Frau, die mein Herz begehrt. Bleib bei mir“, flüsterte er, bevor er sie losließ.
Sie senkte ihren Kopf und atmete schwer. Vor Verlegenheit wusste sie nicht, was sie tun sollte. Der sich sonst so sichere Karas aber flüsterte: „Bitte, sei mein Schatten!“
Da sie nicht antwortete, aber auch keine Anstalten machte, sich gegen ihn zu wehren, zog er sie erneut sanft in seine Arme, um sie abermals zu küssen. Ohne zu wissen, was sie wollte, erwiderten ihre Lippen dieses Mal seinen Kuss. Was ihren Verstand verbrannt hatte, hätte sie nicht in Worte fassen können. Sie wurde weich.
Sehr zögerlich ließ er seine Hände sinken. Sie wich erneut langsam zurück, ging sich abwendend ein paar Schritte und blieb stehen, als pralle sie gegen eine Wand. Die Erkenntnis, wie ernst seine Worte waren, um was er sie gebeten hatte, überfiel sie schlagartig.
„Das kannst du nicht wollen! Das ist nicht dein Ernst. Ich werde niemals ein Schatten sein. Ich stehe für mich alleine. Das kannst du deiner Familie nicht antun. Das kannst du mir nicht antun! Ich bin zu hell“, krächzte sie in den aufkommenden Wind.
„Ich weiß, was ich will. Meine Familie, mein Volk, hat damit nichts zu tun“, antwortete er mit einer sanften Bestimmtheit, die nicht mehr zu erschüttern schien.
Sie wirbelte herum: „Du hast einen Platz im Lager und ich passe da nicht hin!“
„Shana, du hast mich nicht verstanden! Mein Clan, meine Familie muss meine Entscheidung akzeptieren. Ich werde mit dir zusammen sein und dann müssen sie entscheiden, ob wir beide zu ihnen gehören. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Nicht mehr, seit du mich aus dem Schatten meiner Mutter heraus ansahst.“
„Und wenn ich das nicht will?“
Er schluckte hart, bevor er antwortete: „Mein Herz kann nicht glauben, dass du es nicht willst.“
„Ich bleibe nur bei jemandem, der mich achtet.“
„Das tue ich. Ich respektiere dich mehr als jede andere Frau.“
„Dann achtest du Frauen zu wenig. Mit mir kannst du jedenfalls so nicht umgehen. Hörst du? Niemals!“
„Ich höre und ich bitte dich, bei mir zu bleiben.“
Sie zuckte mit den Schultern. Kämpfte schluckend, aber es gab nichts zu schlucken. Sie standen als Narren am Rande des großen Sandlandes, die Hitze fing an, sie wahrhaft äußerlich und innerlich zu verbrennen und sie standen hier. Redeten Blödsinn. Wie lächerlich.
Ein Teil in ihr sträubte sich und der andere wuchs vor Freude über sich hinaus. Sie begann einzulenken. Sofort erkannte er seine Chance. Er warb um sie. Ernsthaft oder humorvoll. Flehend und mit Siegesgewissheit. Spürte ihren Zwiespalt. Nutzte jegliche Erschütterung ihrer Ablehnung geschickt aus. Redete, bat, flehte und bestimmte. Am Ende fabulierten sie von einer Zukunft, die es nicht geben würde, weil die Sonne ihr Hirn vorher zerstört haben würde.
Immerhin schaffte irgendein vernunftbegabter Teil von Shana es, ihrem Herzen nachzugeben und wieder auf ihn zuzugehen. Er empfing sie mit geöffneten Armen, hob sie vom Boden hoch und drehte sich mit ihr um die eigene Achse. Das pure Glück strahlte aus seinen Augen, obwohl die Berührung schmerzte.
Ein eher jämmerlicher Pfiff seines ausgedörrten Mundes rief Leila herbei. Das treue Tier reagierte sofort. Sie stolperten ihr Hand in Hand entgegen und umschlangen überschwänglich ihren Hals, als sie sie erreichten. Dann hob Karas Shana auf Leilas Rücken, als hätte sie kein Gewicht und wäre äußerst kostbar. Auf ihren fragenden Blick hin erklärte er: „Es ist zu heiß. Ich werde sie führen.“
Auf diese Art dauerte es, bis sie sich dem Lager soweit genähert hatten, dass von dort aus die Lage erkannt wurde und Hilfe herbeikam. Trotzdem hatte die Zeit gereicht, die Sonne hatte ihre Gesichter verbrannt, obwohl sie sich wieder mit ihren Schleiern bedeckt hatten. Ihre Köpfe schmerzten und die Luft verschwamm vor ihren Augen.
Werra klatschte ihnen singend und grinsend den dickflüssigen Saft ins Gesicht, den die Hathai in solchen Fällen immer benutzten und mit dem Shanas Haut schon einmal Heilung erfahren hatte. Seine Haut von der Sonne verbrennen zu lassen, galt als große Dummheit. Es würde ihnen lange den Spott aller bescheren.
Kari sagte nichts zu dem Geschehen und ging betont ihren alltäglichen Arbeiten nach. Als aber der Abend kam, verwies sie Karas, trotz der Verbrennungen, bestimmt des Zeltes: „Ein Bräutigam schläft nicht bei dem Zelt seiner Braut.“
Er gehorchte widerstandslos und griff sich eine Decke, um hinaus zu gehen und bei den Pferden zu schlafen. Zu Shana gewandt sagte Kari mit seltener Strenge in der Stimme: „Und eine Braut läuft nicht weg.“
Ein wenig später seufzte sie: „Jetzt muss ich wenigstens nicht mehr zwischen meinem Wunschkind und meinem Gast unterscheiden. Aber hör auf, dich zu verkriechen, wenn dir 'was nicht passt! Kein Protest jetzt! Keine Erklärung! Für heute, habt ihr zwei genug angerichtet.“
Und bevor sie noch weiter schimpfen konnte, erscholl das hohe Freudentrillern der Hathai von draußen. Handar und die anderen Männer waren zurückgekehrt.
Die Ruhe der Festteilnehmer war zur absoluten Stille geworden, seit Handar die Brautwahl seines Sohnes abgelehnt hatte und dieser lautstark dagegen aufbegehrte. Die Empörung war in jedem Winkel des hell erleuchteten, riesigen Festzeltes spürbar.
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