„Shana, du bereitest uns keine Schwierigkeiten. Du nicht! Ich habe nur Angst, dass dir dort draußen etwas passieren könnte.“
„Ich könnte verdursten“, erwiderte Shana sachlich. Mit ernstem Gesicht, aber gleichzeitig um einen unbesorgten Ton bemüht, fuhr sie fort: „Ist das wirklich so schlimm? Meine halbe Sippe ist verdurstet. Das ist unser Leben. Ich bin Searcher.“
Stolz durchströmte sie bei diesen Worten, kraftstrahlend und aufrecht sah sie Kari an.
„Du bist ein so gutes Mädchen. Wenn du gehst, wird mein Herz brechen, damit du einen Teil davon mitnehmen kannst.“
„So etwas darfst du nicht sagen. Das tut weh und ich bin schuld.“
„Nein, mein Kind. Die heiligen Mächte haben deinen Weg mit unserem gekreuzt und ich preise sie dafür. Ich glaube, es kommt noch alles in Ordnung.“
Mit diesen Worten stand Kari auf und nahm Shana an die Hand. Sie gingen gemeinsam ins Zelt zurück. Shana hatte vieles, worüber sie nachdenken musste.
Seit diesem Gespräch, fragte sie jedes Mal, bevor sie mit Karas ausritt. Sie beobachtete den Sonnenstand und drängte rechtzeitig auf Rückkehr. Außerdem versuchte sie zunehmend die Richtung dieser Ausritte zu bestimmen, denn sie fing an, gezielt nach Spuren zu suchen, die ihr einen Hinweis hätten geben können, was mit Yambi geschehen war. Sie ließ sich von Karas Entfernungen zu ihm bekannten Orten erklären. Fragte, welche Bewohner sich in welchem Gebiet aufhielten, wer Sklavenjäger war und wer nicht.
Auf ihren längeren, gemeinsamen Ritten näherten sie sich so manches Mal sogar der Gegend vor dem Gebirge im Osten und eines Tages erklärte ihr Karas, dass hinter diesem Gebirge genauso wie nördlich der Oase das Gebiet der Karais begänne und dieses sich fast bis zur Küste mit der Meeresstadt erstreckte. Von dort würden in den nächsten Tagen die übrigen Männer und damit sein Vater und sein Bruder zurückerwartet. Zu diesem Anlass und weil die Zeit sowieso gekommen sei, würde es ein Großfest im Lager Handars geben, zu dem auch Hathai aus anderen Lagern und Clans erwartet würden. Sein Vater aber würde sicherlich neue Einsichten zu der Frage bringen, was die Menschen der Meeresstadt veranlasst hatte, in der letzten Zeit verstärkt Jagd auf Sklaven zu machen.
„Woher weißt du das?“, fragte Shana erstaunt. „Seit dein Vater fort ist, ist doch kein Bote von ihm zurückgekehrt.“
„Nicht zu uns, aber zu dem Lager von Rihs altem Clan.“
„Du besuchst die anderen Hathailager während ich mit deiner Schwester unterwegs bin?“
„Tja, es ist meine Pflicht. Von einem Mann, der noch keine Gefährtin gewählt hat, wird das erwartet.“
„Du suchst dir eine Frau?“, Shana spürte einen furchtbaren Stich in der Brust.
„Ja und nein. Die Sitte verlangt es“, die Antwort klang sehr unbestimmt und verlegen.
Shana wollte nun nicht mehr reden. Sie hatte Mühe zu atmen, aber das wollte sie vor ihm verbergen. Sie senkte ihre Augenlider. Nach und nach sickerte die Botschaft seiner Worte in ihr Herz und dann wich jeglicher Ausdruck aus ihrem Gesicht. Ein paar Sekunden später, wirkte ihr Antlitz steinern, dagegen strafften sich die Muskeln ihres Rückens. Sie lenkte Lalee direkt zum Lager zurück und trieb das Pferd zu größter Eile an, ohne auch nur im Geringsten darauf zu achten, ob und wie Karas ihr folgte. Beim Zelt angekommen, hatte sie sich in einen starren Panzer aus Schweigsamkeit gehüllt. Alles an ihr verlief mechanisch, dennoch zuvorkommend und umsichtig. Auf Ansprache senkte sie den Blick und wich körperlich aus. Plötzlich schien eine unsichtbare Mauer um sie herum zu existieren.
Kari, die die Veränderung sofort bemerkte, zeigte ihrem Sohn wieder einmal stumm und nachdrücklich, dass sie ihn für Shanas Zustand verantwortlich machte und dies sehr missbilligte. Seltsamerweise wehrte sich Karas wieder nicht dagegen, wo er doch sonst nie etwas auf sich sitzen ließ. Aber vielleicht war ihm ja klar, dass er dieses Mal wirklich dafür verantwortlich war, wie elend Shana sich fühlte.
In ihren Gedanken aber überschüttete Shana sich selbst mit Vorwürfen: „Wie konnte ich nur so blöd sein? Wie konnte ich hoffen, dass er mit mir geht? Habe ich etwa gehofft, er richte sein Leben nach mir aus? Ich habe meine Sippe verraten, wegen ... wegen eines blöden Gefühls? Was habe ich mir eigentlich gedacht?“
Diese und ähnliche Fragen drehten sich immer und immer wieder in ihrem Kopf.
Tagsüber verrichtete sie diszipliniert ihre Aufgaben und in der Nacht wälzte sie sich unruhig hin und her. Sie hatte versprochen zu bleiben bis Handar zurückkehrte, aber sie würde keinen Tag länger bleiben. Oh, sie konnte es kaum erwarten zu gehen. Was musste sie Werra noch alles beibringen, damit sie nicht mehr in der Schuld der Hathai stand?
Im Geist ging sie jede einzelne Pflanze und ihre Heilwirkung durch. Sie verbrachte so viel Zeit wie möglich mit Werra, die das sehr genoss. Gleichzeitig versuchte sie Karas auszuweichen, wo es nur ging. Dabei hatte sie das Gefühl innerlich zu zerreißen.
Karas wurde von allen Frauen im Zelt so schlecht behandelt, wie es nur ging und jede hatte einen anderen Grund dafür. Shana bemerkte es. Sie fühlte sich daraufhin noch elender, aber es gelang ihr nicht, den anderen zu sagen, dass er nichts Unrechtes getan hatte, dass nur sie sich dummen Träumen hingegeben hatte, die nun der Wirklichkeit weichen mussten.
Nachtragend zu sein war für die Hathai ebenso unhöflich, wie die Gefühle des anderen nicht zu beachten. Viele der Regeln waren genau dazu da, so etwas zu vermeiden und jeder schien zu wissen, worauf man Acht geben musste, um es nicht dazu kommen zu lassen. Im Laufe der Zeit hatte Shana den Eindruck gewonnen, die wichtigste Antwort im Leben der Hathai sei: „Weil es so ist.“ Man nahm es hin und grämte sich nicht weiter.
Da Shana ihren Wall aus Schweigen und Rückzug nicht aufgab, fing Kari besorgt an, sie noch genauer zu beobachten. Sie bemerkte wie intensiv Shana die Näharbeit an der Decke wieder aufnahm und dass sie das Zelt nur noch verließ, wenn es notwendig war. Das Mädchen hatte ihre wenigen Sachen geordnet zusammengelegt und blickte beim Nähen nicht mehr auf, wenn jemand ins Zelt kam.
Karas hatte sich am ersten Abend vor sie gesetzt und sie ungewöhnlich höflich angesprochen: „Was verschließt dir den Mund und hält dich von mir fern? Habe ich etwas Falsches getan oder gesagt? Ich wollte und will dir nicht weh tun.“
Shana hatte nicht geantwortet, nicht aufgeblickt. Er entfernte sich nach einer Weile, ließ den Kopf hängen und verbrachte so viel Zeit wie möglich draußen. Auch das war der aufmerksamen Kari nicht entgangen und sie konnte sich keinen rechten Reim darauf machen.
Kurz bevor am zweiten Tag die Zeit nahte, wo alle sich ins Zelt zurückzogen, hielt sie es nicht mehr aus. Sie richtete sich direkt an Shana: „Karas versorgt Lalee gut, doch es ist dein Pferd und deine Aufgabe. Du bist unser Gast, aber ich hoffe du weißt, dass ich dich wie eine Tochter liebe, deshalb sage ich dir: Vernachlässige dein Pferd nicht, es ist an dich gebunden.“
Shana blickte auf und in ihren Augen schimmerten Tränen. Endlich brach sie ihr Schweigen, murmelte mit erstickender Stimme: „Es tut mir leid, ich will nicht undankbar sein. Auf keinen Fall. Kari bitte verzeih mir. Ich werde sofort tun, was du sagst.“ Und sie legte die fast fertige Näharbeit zur Seite.
Kari griff danach und warf einen prüfenden Blick darauf: „Du hast in den letzten zwei Tagen sehr viel gearbeitet und so schön. Es sind nur noch wenige Stiche zu tun. Du bringst alle deine Arbeiten zu Ende. Ich habe dir gerade gesagt, Karas versorgt Lalee gut, jedoch will ich wissen, wer Shana versorgt?“
Shana schluckte und dann ließ sie hilflos den Tränen freien Lauf und diesmal waren es stumme, schwere Tränen, voll tiefer Trauer. Doch als Kari ihr die tröstenden Arme bot, wendete sie sich ab und schüttelte langsam den Kopf. Damit schürte sie, ohne es zu wissen, in Kari einen Verdacht, den diese nicht wahrhaben wollte. Die Stille zwischen ihnen war so beredt, dass man meinen konnte, man höre ihre Herzen brechen.
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