„Habt ihr nicht selbst die Vorzüge von Rihs gepriesen und behauptet, ihre Töchter ließen wohl ebenfalls gute Ergebnisse erwarten? Warum sollten Shanas kräftige Schenkel nicht eben solch gute Ausbeute bringen?“
„Mäßige dich! Wie kannst du vor unseren Gästen solche Reden führen?“, donnerte Handar seinen jüngsten Sohn an.
Die zusammensitzenden, bunt und schillernd gekleideten Frauen, beugten sich zueinander und tuschelten, aber verfielen sofort wieder in aufmerksames Schweigen, als klar war, dass Karas nicht so leicht zu bremsen war.
Er schien sich durch den Appell seines Vaters, in seiner Wut, nur noch mehr angestachelt zu fühlen. Statt ruhiger zu werden, fuhr er mit noch lauter werdender Stimme fort: „Oder eine Verbindung mit Eschei, die würdet ihr sicher auch befürworten. Sie hat den richtigen Stammbaum und eine einflussreiche Familie hinter sich. Oder sollte ich mich für Rabei entscheiden? Wahrscheinlich schenkt sie euch Nachkommen, die in eurem Sinn mehr taugen.“
Seine große Gestalt, sein donnerndes Brüllen, hoben ihn aus allen Anwesenden hervor. Seine Schultern und sein Brustkorb bebten. Die Haut glänzte dunkler als sonst. Stolzierend bewegte er sich mitten in die Schar der Gäste und wies mit der nach oben gerichteten, offenen Hand auf die jeweilige junge Frau, von der er gerade sprach.
„Shana, ich mag deine Ohren und deinen Verstand nicht beleidigen, aber so wird nun mal die Rede über die heiratsfähigen Frauen in diesem Lager geführt. - Nein Mutter, wendet euch nicht ab, ihr habt still dabei gesessen, wenn Vater und seine Gäste sich über die Vorzüge unserer Frauen unterhielten. Tut jetzt nicht so, als ob ich unehrenhaft wäre!“
Einigen der anwesenden Männer stand ein genießerisches Grinsen auf dem Gesicht, während sie das Schauspiel der Auseinandersetzung zwischen Karas und seinem Vater verfolgten. Der öffentliche Eklat zwischen Vater und Sohn hatte einen guten Unterhaltungswert. Selbst wenn sich der Sohn hier noch so unhöflich und unverschämt aufführte, so sprach er doch die Wahrheit.
Die Mehrheit der anwesenden Frauen nahm dagegen, die von ihnen zu erwartende Haltung des entrüsteten Rückzugs ein. Scheinbar wandten sie sich dem Ausgang zu, doch in Wahrheit wollten sie natürlich bleiben, um ja alles genauestens verfolgen zu können, was hier dargeboten wurde.
Dieses Fest war einfach gelungen. Es würde wohl noch viele Jahre für Gesprächsstoff sorgen.
Wie es bei den Großfesten der Hathailager Brauch war, hatten die Söhne ihre Wünsche für die beabsichtigten Hochzeiten verkündet. Bei den Meisten hatten die Familien schon vorher entsprechende Kontakte geknüpft und Absprachen getroffen. Es war aber durchaus üblich, dass mancher junge Mann erst auf dem Fest seinen Wunsch verkündete. In der Regel widersprach sein Vater anfänglich diesem Wunsch und der Sohn hatte gute Argumente für seine Wahl vorzubringen, die die Zustimmung aller oder zumindest der meisten Anwesenden bewirken sollten. Doch mit solch einem Auftritt, hatte niemand gerechnet.
Karas hatte seinem Vater, wie es sich dem Brauch nach gehörte, nach dem Mahl den Becher gebracht und dann verkündet, er gedenke, Shana zur Gefährtin zu wählen.
Dass er diesmal seinen Heiratswunsch bekannt machen würde, war zu erwarten gewesen. Seine Wahl aber, verblüffte zumindest diejenigen, die nicht aus ihrem Lager kamen.
Handar, von dem jeder wusste, dass er seinen Findelgast sehr schätzte und liebte, war völlig außer sich. Bis zu diesem Augenblick, hatte er die Entwicklungen in seinem Zelt nicht wirklich mitbekommen. Er war genau einen Tag und eine Nacht wieder im Lager, bevor das Großfest begann. Wunderte sich über die verbrannten Gesichter, konnte aber keinem in seinem Zelt eine Erklärung abringen. Selbst Werra drehte verlegen den Kopf zur Seite, als er sie fragte, was geschehen sei. Dass Karas eine Hathai nach eigenem Gutdünken wählen würde, hatte er erwartet. Von den angemessenen Brautschaubesuchen in den anderen Lagern wusste er. Und er war sich sicher gewesen, Karas würde eine gute Wahl treffen. Doch wen er wählen würde, konnte man aller Erfahrung nach nicht vorhersehen.
Karas hatte in vielen Dingen nicht nach dem Rat seiner Eltern gefragt, wo dies eigentlich üblich gewesen wäre. Nun überraschte er mit seiner Wahl einer Nicht-Hathai, noch dazu einer Frau, deren Aussehen allein geeignet war, begierige Blicke auf das Lager zu lenken.
So sehr Handar die beiden liebte, dies konnte er nicht unwidersprochen zulassen. Bei allem Verständnis. Shana war zweifellos eine kluge und liebenswerte Frau. Sie hatte die Herzen aller in der Familie im Nu erobert, doch sie war von ganz anderem Denken geprägt. Es war nicht sicher, ob sie sich auf Dauer mit der Lebensform der Hathai würde wohlfühlen können. Sie war vielmehr auf ein einsames Überleben ausgerichtet und das Einfügen in die Gemeinschaft, um das Wohl vieler willen, würde ihr sehr viel abverlangen. Vielleicht sogar mehr, als gut für sie war. Hier galt es, ein ewiges Unglück zu verhindern und so hatte er es auf Karas Ankündigung entgegnet.
Nun randalierte der junge, sture Kerl auf seine Weise.
„Verehrte Eschei, du weißt, dass ich dich schätze. Ich will dich nicht beleidigen. Ich wiederhole nur die üblichen Unterhaltungen der alten Männer, um klar zu machen, was hier gespielt wird.“
Die Angesprochene stand wie festgewachsen, dunkelrot angelaufen da und blickte peinlich berührt zu Boden. Es mochte sein, dass sie ernsthaft gehofft hatte, eines Tages mit Karas das Lager zu teilen. Da er aber offensichtlich diesen bleichen Findling von Frau an seiner Seite wollte, waren sie und alle anderen Anwärterinnen jeglicher Illusion beraubt. Sie kannte ihren Kindheits- und Jugendgefährten Karas zu gut, um sich vorzumachen, dass er doch noch von Shana ablassen könnte und sich dem Willen seines Vaters beugen würde. Wie sehr sie sich auch wünschen mochten, er hätte diesen Kampf für sie ausgefochten, so sehr beschied er diesen Träumen gerade ein Ende.
Shana, die bis jetzt unscheinbar in einem Winkel gekauert hatte, raffte den großen Schal enger um sich. Sie war unter mehreren Schichten von Schleiern fast völlig verborgen. Nun erhob sie sich lautlos, schob sich langsam in Richtung Ausgang an der Zeltwand entlang, weil sie möglichst unauffällig fort wollte.
Doch bevor sie vier Schritte hatte machen können, war Karas bei ihr und hielt sie zurück.
„Bleib!“, donnerte er und sie stand mit einer seiner Bewegungen, mit ihm im Zentrum aller Aufmerksamkeit. „Du wirst nicht von meiner Seite getrennt, bloß weil du nicht als Hathai geboren wurdest. Du bist eine größere Kostbarkeit als jeder hier und sie wissen das.“ Er zog sie bis in die Mitte des Raumes, reckte sich vor seinem Vater zu voller Größe und blickte ihn herausfordernd an. Handars Haltung wiederum zeigte seine ganze Autorität und seinen ganzen Zorn über den spektakulären Auftritt seines Sohnes. Die zerstörten Pläne des Familienältesten waren fast sichtbar in seinem Blick.
Bevor Karas ein weiteres Wort sagen konnte, benutzte Handar die rituelle Handbewegung, die den absoluten Gehorsam von allen Familienmitgliedern einforderte und auch diesmal ihre Wirkung nicht verfehlte. Teils wurde dies von den Zuschauern mit Bedauern wahrgenommen, teils mit Erleichterung.
Mit von Zorn gefärbter und doch kalt wirkender Stimme sprach Handar: „Karas, schweig jetzt! Nimm das Weib und verlass das Zelt!“
Über Karas Gesicht zog das strahlende Lächeln des gewissen Triumphes. Er nahm Shana mit einem Schwung auf seine Arme und trug sie durch die zur Seite weichende, leicht über das schnelle Ende des Disputes enttäuschte, Gästeschar hinaus. Dabei flüsterte er triumphierend in ihr Ohr: „Du bist meine Frau und nichts und niemand kann daran noch etwas ändern.“
Bis die beiden das Zelt verlassen hatten, herrschte eine auffällige Stille. Hinter ihnen aber, erhob sich ein aufgeregtes Gemurmel und Shana hörte deutlich, wie sich Handar, mit um Souveränität bemühter Stimme, laut meldete: „Verzeiht Freunde! Familienangelegenheiten, die in dieser Form, nichts bei unserem Zusammensein zu suchen haben. Lasst uns den Abend dennoch genießen, mit dem was uns erfreut und uns wichtig ist. Esst, trinkt und spielt Musik. Wir sind hier, um die kommenden Tage zu feiern, die Pläne unserer Familien zu offenbaren und das Leben zu genießen.“
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