John Wayne hatte Adolf Hitler soeben ein weiteres Mal ein Bein gestellt. Der Schlächter von einst war zur Sicherheit an einen Windhund angeleint. Das Tier zog ihn quer durch den Saal. Mehrere Gäste beschwerten sich über den Störfall. Zwei Kellner eilten herbei und sperrten den Barbaren vorsorglich zur allgemeinen Sicherheit in den Vorratsraum der Bar, worauf unverzüglich zackige und wütende Proteste aus der Butze dröhnten.
Am Nebentisch hatte Lady Di Platz genommen. Auch sie war real. Leibhaftig saß sie keine drei Meter von ihr entfernt. Auch daran gab es nichts zu zweifeln. Ihre feine Würde in ihrem Gesicht versprühte einen besonderen Glanz. Ihre Schönheit strahlte einem jeden, der an ihr vorbeikam und sie freundlich grüßte, entgegen. Ein englischer Offizier in Paradeuniform begleitete sie. Während die Prinzessin der Herzen einen Manhattan trank, spielte er, smart lächelnd, mit einem Whiskyglas in seinen Händen. Seine Schleimspur war gelegt, dachte Emma und fragte sich, wie sich eine Frau dieses Formats nur von einem solch stocksteifen Feuerkopf ausführen lassen konnte.
Mutter Theresa hatte es sich direkt hinter Diana am Tresen der Bar bequem gemacht. Die Wohltäterin aus Kalkutta hatte lange gebraucht, bevor sie ihre alten Glieder auf einen der Barhocker geschoben hatte. Sie bestellte einen Kamillentee und nahm ihre Hände zu einer Gebetshaltung zusammen, die ihrer Erscheinung etwas Erhabenes verlieh. Patrick Swayze schritt vergnügt an Emmas Tisch vorbei und zwinkerte ihr wie selbstverständlich ein Auge zu, als waren sie gute Bekannte. Ihm folgten eine Hand voll amerikanischer Präsidenten, die sich sogleich beim Oberkellner lautstark darüber beklagten, dass für sie kein Tisch mehr frei war, während Elvis auf der Bühne stand und einen Auftritt hinlegte, für den ihm die halbe Welt zu Füßen liegen würde.
Wohin Emma auch schaute, überall sah sie auf unzählige große und kleine Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die allesamt irgendwann einmal das Zeitliche gesegnet hatten und nun in einem Lokal in der Hölle ihrem Vergnügen nachgingen. Lady Di erhob sich plötzlich ungeduldig. Das Servicepersonal kam wegen der zahlreichen Gäste mit den Bestellungen einfach nicht nach. Entnervt trat die ehemalige Prinzessin an die Theke und orderte zwei neue Drinks. Das war sie, dachte Emma. Das war die Gelegenheit, auf die sie so geduldig gewartet hatte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und gesellte sich zu ihr.
„Kein schöner Abend, was? Wissen Sie! Bei Elvis werde ich immer so melancholisch.” Mit Blick auf den Offizier schob sie leiser nach. „Er langweilt Sie, nicht wahr? Es macht jedenfalls den Eindruck.”
„What?” patzte Lady Di sogleich reichlich unzart zurück.
„Ich habe nur gesagt, dass Ihr Begleiter Sie bestimmt langweilt. Es geht mich nichts an, ich weiß. Aber Sie sehen so aus, als wurden Sie zu diesem Date verpflichtet.” Emma hatte sich ihr bestes Schulenglisch aus den Lippen gequetscht.
„I did’nt ask you anything! Let me live my life!” gab sie ihr noch schroffer zurück und gestikulierte ein weiteres Mal ungehalten nach dem Barkeeper.
Ihre flegelhafte Art überraschte Emma. Was für ein eingebildetes Luxusweibchen, dachte sie. Nur, weil nicht sofort alle nach ihrer Nase tanzten, musste sie hier die Oberzicke geben. Die amerikanischen Präsidenten kehrten im Gänsemarsch empört von ihrer gescheiterten Platzsuche im hinteren Teil des Lokals zurück. Van Gogh lief wie angestochen vorbei und fragte jeden nach seinem Ohr, während Rex Gildo freudetrunken in die Arme Max Schmelings fiel.
Im üblichen Gedränge riss Emma plötzlich affektähnlich die Prinzessin mit sich. Noch während beide zu Boden stürzten, hatte sie Lady Di in die linke Brust gekniffen. Auf ihr liegend griff Emma in die hochgesteckten Haare der einst so unbeschwerten Queen in spe und zog kräftig an ihrer frisch gemachten Frisurenpracht. Sie drückte sich mit beiden Händen auf dem königlichen Hintern ab, erhob sich wieder, half auch der Lady auf und bat um Entschuldigung. Im Gegensatz zu vielen anderen wusste Emma um die grundsätzliche Qualität ihrer Reue. Man konnte allenfalls um Entschuldigung bitten. Ob sie erhört wurde, war eine ganz andere Frage. Ron, ihr Begleiter, war aufgesprungen, um zu helfen. Der Offizier eilte zu Diana, die hysterisch herumzukeifen begonnen hatte. Noch einmal entschuldigte sich Emma mit tiefer Verbeugung, bevor der kleine Tumult beendet war.
„Was war das denn?” wollte Ron wissen, der den giftigen Blick des Offiziers nur schwerlich besänftigen konnte.
„Was soll schon gewesen sein? Nichts war. Bin nur gestolpert. Hab mich auch brav entschuldigt, aber Prinzesschen macht gleich ein Attentatsversuch daraus.”
„Lass sie einfach! Sie strahlt zwar unentwegt in die Unterwelt, aber es heißt, dass sie immer noch unter ihrer Depression leidet, ob es je ein Mann ernst mit ihr gemeint hat. Aber pst!” flüsterte Ron ihr zu und führte Emma zurück an ihren Platz.
„Und ich hab nie verstanden, warum sie ihren Charles an diese Camilla verloren hat.” Prüfenden Blickes legte sie nach. „Was die wohl besser konnte, hä?”
„Das willst Du nicht wirklich wissen, glaube ich.”
„Oh doch, Ron Gallagher! Das will ich sehr wohl. Die Zeit ist reif. Für alle Wahrheiten, meine ich. Für restlos alle, um genau zu sein.”
„Böse Zungen,” hauchte er ihr ins Ohr. „Böse Zungen behaupten, dass er... Na ja! Was meinst Du? Woher hat er wohl so große Ohren bekommen?” Ron riss die Augen auf, um seinen Ulk betonen zu wollen.
Emma entließ ihn mit abfälligem Blick. Sie würde lange brauchen, um aus ihm einen einigermaßen tauglichen Lebenspartner zu machen. Sehr lange, und das sollte er auch wissen. Als sie sich wieder gesetzt hatten, schob sie ihren Kopf dicht an sein Ohr. „Versuch es doch mal mit Liebe! Mit tiefer und aufrichtiger Liebe. Das hat sie von ihm gekriegt. Das braucht es, wenn Frauen glänzen können.” Es war weder die Zeit noch die Stätte, wie Emma befand, ihrem Auserwählten ein paar weitere tiefere Einsichten in Sachen wahrhaftiger Emotionen für die dauerhafte Zukunft einer gelungenen Zweisamkeit zukommen zu lassen. Also schwieg sie fortan.
Alle Gemüter hatten sich auch dank Elvis wieder beruhigt. Emma saß auf ihrem Stuhl und blickte eine Nuance gelassener durch den Saal. Wenigstens eine Zufriedenheit hatte sich in ihr eingestellt, resümierte sie ihre kleine Attacke auf die Echtheit all der Existenzen um sie herum. Der Beweisdrang in ihr hatte über jede Lähmung gesiegt. Es wäre völlig gleichgültig gewesen, wen es aus dieser so einmaligen Prominentendichte an diesem Ort erwischt hätte. Sie hätte jeden zu Boden gerissen. Sie hatte wissen wollen, ob sie nicht doch träumte. Sie hatte wissen wollen, ob all die Persönlichkeiten, ob nun wirklich wichtig oder nicht, tatsächlich echt waren. Sie waren es. Sie waren weder aus Wachs, noch irgendwelche Doppelgänger, noch sonst wie geklont. Lady Di hatte sich angefühlt, wie sich menschliche Wesen mit Haut und Haaren nun mal anfühlten. Und wie zur letzten Beweisinstanz gerufen stieß Mutter Theresa sie an die Schulter und reichte ihr ein weiteres Glas Cognac, auf das sie Emma einlud. Auch die berühmte Nonne aus den indischen Elendsvierteln war unbestreitbar wahrhaftig, sah Emma von dem nicht unwesentlichen Umstand ab, dass die tattrige Ordensschwester, wie alle Anwesenden hier, ein munteres Leben nach dem Tod führte.
Emma musterte Ron eindringlich. Er hatte tatsächlich die Wahrheit gesagt. Nichts mehr als die reine Wahrheit. Ihr Leben stand auf dem Spiel. Sie würde tun müssen, was er vorgeschlagen hatte. Sie musste einmal durchs Jenseits laufen, die Hölle hinab, am Inferno vorbei, dem Amtssitz Luzifers, den Berg des Fegefeuers hinauflaufen, bis sie das ewige Licht erreicht hatte. Dann erst war sie den Höllenfürst samt seiner Bande von Riesenschnauzern los. Emma erinnerte sich. Sie war ihm gefolgt. Eine Untergrundbahn hätte sie zermalmt, wenn er nicht gewesen wäre. Mit diesem Tag hatte alles angefangen. In diesen Stunden hatte sie eine Entscheidung getroffen, über deren Konsequenzen sie nicht die geringste Ahnung besessen hatte. Ihre Reise durchs Jenseits, das es entgegen vieler Bekundungen und Lehren also doch gab, sollte eine dramatische Enthüllung werden, die nie zuvor ein Mensch gemacht hatte. Und hätte Emma zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst, wer im Hintergrund tatsächlich an den Fäden ihres Schicksals zog, hätte sie sich freiwillig für den Rest ihres Lebens in eine kleine, gemütliche Irrenanstalt eingewiesen.
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