»Und in welche Richtung müssten wir dann deiner Ansicht nach gehen?«, fragte ich.
Wir drehten uns ratlos im Kreis. In keiner Richtung sah es so aus, als würde es irgendein Ende, geschweige denn einen Ausgang geben. Benni kratzte sich den Kopf.
»Und was ist mit deinem Fell? Willst du das behalten? Ich möchte jedenfalls nicht mein Leben lang mit einem Raubtierschwanz herumlaufen«, sagte Vicki.
»Ich will auch keine warzige Kröte mehr mit mir umherschleppen«, fügte Hanno unserer Pro-Weitermachen-Liste hinzu.
»Ich bin zwar auch nicht besonders scharf darauf zu erfahren, was uns sonst noch so alles blühen wird«, sagte ich, »aber ich bin mir fast sicher, dass wir keine andere Wahl haben.«
»Und wie kommt es zu dieser plötzlichen Erleuchtung?« Benni war immer noch nicht überzeugt.
»Instinkt!«
»Kinderkacke!«, sagte Benni, der anscheinend mit meiner raffinierten Taktik der Andeutung nichts anfangen konnte.
»Ich glaube, es hängt mit der „21“ zusammen«, sagte ich und jetzt hatte ich auch die volle Aufmerksamkeit der anderen.
»Hast du etwa herausgefunden, was das mit den Zahlen zu bedeuten hat?« Hanno sah mich an, als sei ich das erste Exemplar der menschlichen Spezies, der die Existenz einer fremden Lebensform beweisen könnte.
»Klar!«, sagte ich, ohne meinen Stolz über diese clevere Entdeckung zu verbergen. »Als ich gestern die Kugel zum ersten Mal berührte, erschien dort eine „3“ und bei Hanno war es dann eine „4“. Als der alte Schulze die Kiste Vickis Vater zum Schätzen mitgab, stand auf dem Deckel eine „7“, denn „3“ plus „4“ ergeben logischerweise „7“. Nachdem Vicki mit ihren Fingern an der Kugel war, wurde aus der „7“ eine „8“ und Cedric schaffte es wiederum, die „8“ in eine „11“ zu verwandeln. Du Benni, bist dann bis zur „17“ gekommen und meine Wenigkeit hat uns schließlich zur „21“ gebracht.«
»Ich verstehe aber trotzdem noch nicht, wieso wir deshalb weiter- machen müssen«, fragte Benni – zu Recht, denn ich war ja noch nicht fertig.
»Was ihr nicht wissen könnt«, fuhr ich fort, »ist, dass ursprünglich eine ganz andere Zahl auf dem Deckel gestanden hat, als Hanno und ich sie gestern im Trödelladen entdeckt haben.«
»Und welche war das? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.« Vicki, Benni und Cedric hingen an meinen Lippen. Ich ließ sie noch ein wenig zappeln und genoss eine kurze, dramaturgische Pause.
»151«, krakelte Hanno und versaute mir damit meinen Auftritt.
»Und jetzt meinst du, dass wir alle so lange mit dem Quatsch hier weitermachen müssen, bis da wieder eine „151“ auf dem Deckel erscheint?« Benni sah mich an, als hätte ich ihm gerade erklärt, er solle mit Schwimmflossen den Mount Everest besteigen.
»Ja«, sagte ich selbstbewusst. »So ungefähr.«
»Und was ist, wenn du dich irrst?« Die Frage hing so schwer in der Luft wie eine dunkelschwarze Gewitterwolke.
»Das werden wir ja sehen, wenn wir da sind«, sagte Vicki nüchtern und lieferte damit indirekt den Beweis, dass sie mit meinem Vorschlag einverstanden war.
»Ich weiß ja nicht wieso ihr Erbsenhirne so einen Mist glauben wollt, aber für mich klingt das unlogisch.« Trotzig verschränkte Benni die Arme vor der Brust.
»Natürlich ist das unlogisch«, gab ich ihm Recht. »Aber ist das Universum logisch? Oder die Sache mit der Unendlichkeit? Trotzdem gibt es sie. Fakt ist doch, wir sind drin im Spiel. Von allein kommen wir nicht mehr heraus. Wir müssen mitspielen, ob wir wollen oder nicht.«
»Gefangen in einem bösartigen Spiel«, fasste Benni treffend zusammen. »Und welcher Preis lacht dem glücklichen Sieger?«
»Weiß nicht? Was wäre denn dein sehnlichster Wunsch?«
»Eure blöden Visagen nicht mehr sehen zu müssen!«
»Na, schau!«, rief ich. »Da hast du doch schon mal dein Ziel.«
»Komm schon, Benni!«, versuchte es Hanno auf die Kumpelart. »Das kann doch auch ganz lustig werden. Stell es dir einfach wie einen Abenteuerausflug vor! Wie bei den Pfadfindern.«
»Wer hat dir denn den Sonnenschein ins Hirn geblasen? Was für ein Abenteuer soll das sein? Ein Fass Gänseblümchen aufmachen und dazu Partytröten blasen? Nicht mit mir!«
Außerdem sind wir auch schon mittendrin. Da macht es doch gar keinen Sinn, schon aufzugeben«, sagte ich schnell.
»Ich bin zwar nicht die größte Leuchte in Mathe, aber dass „21“ nicht die Hälfte von „151“ ist, kann selbst ich im Kopf ausrechnen. Wir haben noch einen verdammt langen Weg vor uns und ich befürchte, dass wir unseren Entschluss schon bald bitter bereuen werden.«
Wie Recht Benni damit behalten würde, sollte sich leider schon sehr bald bewahrheiten, aber zunächst freuten wir uns, ihn zum Weitermachen überredet zu haben.
» 1 «, murmelte Benni. »In diesem Tempo sind wir Weihnachten noch nicht zu Hause. Hab ich’s doch gewusst, dass das eine Scheißidee war.« Daraufhin ließ er wieder einen bunten Blumenstrauß lustiger Wörter folgen, von denen Eltern gerne behaupten, man müsse sich den Mund mit Seife auswaschen, wenn man sie in denselben genommen hatte.
» Flatterdinger «, las Hanno vor. »Aha.«
»Was soll das denn heißen? Machst du ‘ne Flatter, wachsen dir jetzt Flügel?«
»Halt doch mal die Klappe, Benni!«, fauchte Vicki. Genau in diesem Moment entschloss sich ein phosphorgelber Zitronenfalter, Hannos Nase als Landefläche zu nutzen.
»Hab ich’s nicht gesagt?«, kicherte er. »Das ist doch voll lustig.«
»Haha, ich lach mich scheckig.« Doch nicht Benni musste lachen, sondern wir anderen feixten einhellig. Auf seinem Kopf hatte sich gerade ein esstellergroßer, rosa Falter niedergelassen und bescherte ihm damit eine verblüffende Ähnlichkeit zu Daisy Duck.
»Diese feminine Seite kenne ich ja noch gar nicht an dir«, grinste Vicki. »Wo wirst du denn heute mit deiner Balletttruppe auftreten?«
Vicki hatte Glück, dass Benni keinen blassen Schimmer hatte, wovon sie redete und dass er ausnahmsweise mal nicht in der Stimmung war, jemanden an den nächsten Baum zu tackern. Denn jetzt kamen noch weitere Schmetterlinge angeflattert. Es waren hunderte und keiner glich auch nur im Entferntesten irgendeiner Schmetterlingsart, die wir bisher kannten.
Alle erdenklichen Farben und Muster waren vertreten. Einer schillerte wilder als der andere.
Auf Cedrics Kopf waren so viele davon gelandet, dass es fast aussah, als würde er eine dieser Oma-Blümchenbadekappen tragen.
Obwohl Schmetterlinge für Jungen ungefähr den gleichen Coolnessfaktor wie Ballettstunden haben, konnte keiner von uns sein verzücktes Grinsen verbergen. Um sie nicht zu vertreiben, drosselten wir unsere Bewegungen auf Schneckengeschwindigkeit und reduzierten alle Atemtätigkeiten auf ein Minimum.
Schon allein die kleine Faltergruppe, die es sich auf meinem linken Ärmel bequem gemacht hatte, deckte in Sachen Farbvielfalt das komplette Regenbogenspektrum. Einen Namen für jede dieser Farben zu finden, wäre selbst für die fantasiebegabtesten Mitarbeiter bei Pelikan eine Lebensaufgabe gewesen.
»Hanno, mach die Klappe zu, sonst missbraucht noch einer deine Zunge als Landebahn!«, zischte ich.
Obwohl ich mir das gar nicht mal so scheußlich vorstellte, denn der schokobraune Schmetterling, der sich gerade auf mein linkes Knie gesetzt hatte, sah fast verlockend appetitlich aus.
»Ich nenne dich Nutella«, flüsterte ich ihm zu.
»Oooooch!«, seufzte Vicki, als ihr gerade ein kleiner Schwarm transparenter Falter um den Kopf schwirrte. »Ich fühle mich wie in einem verzauberten Feenland.« Das klang zwar albern, aber so verkehrt lag sie damit nicht. Ich ertappte mich gerade selbst dabei, verstohlen Ausschau nach Peter Pan und Tinkerbelle zu halten.
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