»Also, ich würde sofort mit ihm tauschen. Verglichen mit meiner Kröte ist diese Schwebenummer doch richtig cool«, sagte Hanno.
»Und was ist, wenn wir das Haus verlassen und er dann wie ein heliumgefüllter Luftballon auf Flugreisen geht? Soll ich ihn von nun an immer an einem Band am Handgelenk spazieren führen?«
»Er darf nur nicht mehr tief einatmen und auf keinen Fall mehr heulen«, versuchte Hanno die Situation schönzureden, was bei Viktoria aber nicht so gut ankam. Mit dem Blick, den sie Hanno zuwarf, hätte man auch Löcher in eine Stahltür brennen können.
»Mach dir mal keine Sorgen, Vicki! Wir werden schon eine Lösung finden«, versuchte ich ein wenig Spannung aus der Situation zu nehmen. »Ich darf doch Vicki zu dir sagen, oder?«
Viktoria löste ihren Schweißbrennerblick von Hanno. »Nur solange du das weiche „V“ wie bei Vase verwendest und nicht das Scharfe wie bei Verräter.«
Ist ja schräg, dachte ich, während Hanno leise vor sich hingiggelte. Anscheinend hatte er sich das Vicki mit scharfem „V“ gerade im Kopf zusammengebastelt.
Einen Augenblick später saßen wir alle am Boden und untersuchten die Kiste von allen Seiten.
»Vielleicht gibt es in ihrem Inneren noch irgendeinen Hinweis, den wir bisher übersehen haben?«, sagte ich, stellte sie behutsam auf den Couchtisch und öffnete vorsichtig den Deckel. Doch weder im Deckel, noch in dem sichtbaren Innenleben der Kiste war irgendetwas Hilfreiches zu erkennen.
»Unter der Kugel könnte noch etwas verborgen sein«, schlug ich vor.
»Ich fasse das Ding auf keinen Fall mehr an«, sagte Hanno hastig.
»Cedric und ich auch nicht«, echote Vicki.
Auch ich konnte mir Schöneres vorstellen, aber das brauchte ich gar nicht, denn gerade als wir alle ratlos in die Kugel starrten, wirbelte dort wieder der Buchstabentornado auf. Wie beim letzten Mal lösten sich ein paar einzelne Buchstaben, schwammen nach oben und reihten sich aneinander.
»ENIJANMB …ne … JABENMIN …ne …«, las Hanno die einzelnen Stationen vor.
»BENJAMIN! Oh nein, wir müssen noch jemanden suchen!«
»Ich kenne keinen Benjamin«, stellte ich fest. »Kennt jemand von euch einen gewissen Benjamin?«
Einen Moment herrschte Schweigen, dann räusperte sich Vicki zu Wort: »Ich kenne einen Benni, vermutlich heißt der in Wirklichkeit Benjamin.«
»Wunderbar«, sagte ich. »Weißt du auch, wo er wohnt?«
»Er geht in meine Klasse. Ich muss nur auf der Klassenliste nachsehen. Hingehen müsst ihr allerdings ohne mich. Zu diesem Idioten bringen mich keine zehn Pferde.«
»Wieso das denn?«, fragte ich neugierig.
»Benni und mich verbindet eine Art Hassliebe, nur eben ohne Liebe. Er ist der mieseste, arroganteste, gemeinste und … und… und er ist der Erfinder des scharfen Verräter-V’s.«
»Ey, ich glaube, dann weiß ich, wen du meinst. Das ist doch dieser zu groß gewachsene Lederjackentyp mit Haaren bis zu den Schultern, der immer im Gang rumhängt und alle blöd anmacht.« Hanno stellte sich hin, verschränkte die Arme vor seiner Brust und sagte mit verstellter Stimme: »Ey Klops, geh mir aus der Sonne oder ich werde mit deinem Hintern meine Fahrradkette einfetten!«
»Genau der«, sagte Vicki dunkel.
»Für den ist die Bezeichnung „Idiot“ aber definitiv zu lieb gemeint. Du solltest ihn Lederjackenkasper, Drecksack oder Affenarsch nennen«, schlug Hanno vor.
»Das kann ich zwar alles gut verstehen«, mischte ich mich wieder ein, »aber es wäre ausgesprochen dumm, wenn wir uns jetzt trennen würden. Du und Cedric müsst unbedingt mitkommen, Vicki. Wenn es dir hilft, kannst du dich ja ein wenig im Hintergrund halten.«
»Na gut«, gab sie schließlich nach. «Aber wenn er mir nur einmal dumm kommt, bin ich weg.«
Benni öffnete uns höchstpersönlich. Selbst zu Hause trug er die schwarze Lederjacke, was mich nicht überraschte. Ich war eher von der Stille erstaunt, die in seiner Wohnung herrschte. Eigentlich hatte ich hier eine Art Heavythrashblackspeeddeathmetal-Lärm in Überschalllautstärke erwartet.
»Was?«, schoss er uns gleich zur Begrüßung entgegen.
»Bist du Benjamin?«, fragte ich unnötigerweise und eine Oktave zu hoch.
»Hi Ficki, was willst du denn hier und wieso hast du Dick und Doof mitgebracht? Sind das jetzt deine Bodyguards?« Er präsentierte uns ein Haifischgrinsen.
»Na, hab ich’s nicht gesagt? Der ist ein mieser Vollidiot. Ich gehe jetzt«, schrie Vicki aufgebracht.
»Und charmant wie immer«, grinste der Vollidiot.
»Warte doch mal!«, sagte ich hastig und hielt Vicki am Arm fest. »Hör mal Benni, wir sind gekommen, weil wir deine Hilfe brauchen.«
»Sehe ich aus wie die Heilsarmee?«
»Äh …nein, nicht wirklich, aber es wäre trotzdem sehr nett, wenn du …«
»Hört mal, ihr Gartenzwerge«, presste Benni gefährlich leise hervor und warf einen Blick auf meine Hand, die immer noch Vickis Arm umklammerte. »Wenn ihr euch jetzt nicht sofort vom Acker macht, werden eure Ärsche Bekanntschaft mit meinen Stiefeln machen.«
Ich warf einen verstohlenen Blick auf seine nackten Füße. Vermutlich hatte er das nur im übertragenen Sinne gemeint.
Mir war klar, dass ich meine Taktik dringend überarbeiten musste. »Wir haben da in der Schule etwas gefunden und Vicki ist eingefallen, dass das eventuell dir gehören könnte.«
»Tatsächlich? Und was soll das sein?«, fragte er skeptisch.
»Schau nach!«, antwortete ich listig und hielt ihm die Kiste hin. »Ich habe es hier reingepackt.«
Er ließ einen misstrauischen Blick zwischen uns hin- und herwandern. »Ihr wisst hoffentlich, was euch blüht, wenn ihr hier versucht, mich reinzulegen?«, Dann hob er vorsichtig den Deckel. Einen Augenblick wusste er nichts mit dem Ding anzufangen und sah uns fragend an. Augenblicklich brach kalter Schweiß und gemeinsames Atemanhalten bei uns Zuschauern aus, aber schon bald zog ihn die Kugel unweigerlich in ihren Bann. Er konnte nicht widerstehen. Zögerlich löste er eine Hand vom Deckel, streckte den Zeigefinger aus und stupste damit vorsichtig an das gewölbte Glas, während wir kollektiv ausatmeten. Gebannt starrte Benni in die Kugel. An den Lichtreflektionen auf seinem Gesicht konnten wir erkennen, dass die Kisten-Show bereits begonnen hatte.
»6«, formten seine Lippen. » MOLLFECHKELLEMINNS! Ist das Finnisch?«, fragte er, ohne den Blick von der Kugel zu lösen.
»Zeig mal!« Ich nahm ihm die Kiste ab und gratulierte mir innerlich für dieses geniale Täuschungsmanöver. Gespannt warteten Vicki, Hanno und ich, bis alle Buchstaben ihre finale Position eingenommen hatten.
» EIN FELL KOMMT SCHNELL «, lasen wir. Erwartungsfroh hefteten sich unsere Blicke wieder auf Benni.
»Was glotzt ihr denn so?«, schnauzte er, aber wir grinsten nur stumm.
»Hey, ihr Loser, hat es euch die Sprache verschlagen? Ich habe euch was gefragt.«
Noch während er das sagte, schoben sich die ersten schwarzen Härchen unter dem Ausschnitt seines weißen T-Shirts hervor, dann kräuselten sich weitere aus den Ärmelsäumen der Lederjacke.
»Antwortet endlich!« schrie er außer sich, währenddessen sich ein feiner schwarzer Flaum auf seinen Handrücken und Füßen ausbreitete. Ähnlich Interessantes schien sich auch auf seiner Brust abzuspielen, jedenfalls dem sich unablässig aufblähenden T-Shirt nach zu urteilen.
»So, jetzt reicht’s aber!«, brüllte er und griff mir an den Kragen. Das heißt, er war drauf und dran, mir an den Kragen gehen, verharrte aber auf halbem Wege.
»Meine Hand!«, schrie er hysterisch. »Meine Hand! Verflucht noch mal, was habt ihr … meine Füße!« Mit der Souveränität eines Spaziergängers, dem gerade klar geworden war, dass er sich auf einem Ameisenhaufen ausgeruht hatte, hob er sein Shirt. Auch sein Bauch zierte inzwischen ein dichtes, schwarzes Fell. Nahezu alles, außer Hals und Kopf, war von glänzenden schwarzen Haaren überwuchert. »Ihr habt mich verhext. Da sind Haare, überall Haare! Ihr habt mich zum Affen gemacht! Ich werde irre, bekloppt, wahnsinnig! Das kann doch nicht wahr sein! Was habt ihr mit mir getan? Ihr blöden …« (an dieser Stelle muss ich ein wenig zensieren, denn das, was jetzt folgte, war nicht ganz jugendfrei. Ich verrate nur so viel: es reimte sich im Großen und Ganzen alles auf Schule und Mixer!)
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