Als in Kais Firma wieder mal nur dröges Allerlei anstand und sie auch noch das letzte Fitzelchen Buchhaltung erledigt hatte, beschloss Hetty, dass es genügte, wenn ihr Freund alleine in die Arbeit flog. Sie konnte sich auch anderweitig beschäftigen, als mit Akten sortieren oder langweiligen Observierungen.
Heute war sie mit Dolly und Simon in der Stadt unterwegs. Natürlich wollte der Kleine unbedingt zu den Wasserspielen auf der Southbank. Seufzend hatten die beiden Frauen nachgegeben, denn die Alternative einen Dauernörgler mitzuschleppen, der ohne Ende an alles, was er sagte, mit einem lauten Stöhnen den Satz. „Aber ich darf ja leider nicht zum Wasser!“anhängte, hatten sie schon einige Male erlebt. Sie waren sich deshalb absolut einig gewesen, lieber einen Kompromiss zu schließen. Simon hatte ein spitzbübisches Funkeln in seinen blauen Kinderaugen gehabt und genickt, als sie ihm vorschlugen, dass er zwei Stunden spielen durfte, aber danach brav mitgehen musste.
Dann hatte er mit seinen langen Wimpern geklimpert und gemeint. »Kriege ich dafür ein Eis beim Italiener?«
Dolly hatte sich umgedreht, damit er nicht sah, wie sie sich das Lachen verbiss, als Hetty den kleinen Banditen anknurrte. »Du bist ein übler Erpresser, weißt du das?«
Simon sah seinem Vater unwahrscheinlich ähnlich, als er mit einem breiten Lausbubengrinsen antwortete. »Ach, Tante Hetty, du findest brave Jungen doch furchtbar langweilig.« Dann sah er zu, dass er Land gewann, bevor sie noch reagieren konnte.
Die starrte ihm sprachlos nach und schüttelte den Kopf. Hinter ihr ertönte ein Glucksen und als sie sich umdrehte, sah sie Dolly, die verzweifelt versuchte, nicht laut loszulachen und inzwischen schon Tränen in den Augen hatte.
Als sie sich wieder gefasst hatte, meinte sie schmunzelnd. »Wo hat er denn den Spruch her?« Sie sah Hetty grinsend an. »Aber wo er recht hat, hat er recht!«
Die lachte und zuckte mit den Schultern. »Schätzungsweise hat er das irgendwann von Kai gehört und sich natürlich sofort gemerkt.« Sie seufzte. »Der hat seine Ohren überall und speichert alles ab, was er irgendwie zu seinem Vorteil nutzen kann.«
Dolly runzelte die Stirn. »Glücklicherweise hat er genauso einen guten Charakter wie sein Vater, sonst müsste man sich Sorgen machen.«
Sie lächelte. »Dank Patrick ist er nur clever und smart und ein ehrlicher kleiner Schurke.«
Das bewies er auch, als sie ihm zuriefen, dass die versprochenen zwei Stunden vorbei waren. Im Gegensatz zu anderen Kindern, die dann weinerlich darauf bestanden hätten, doch noch länger spielen zu dürfen, kam er sofort und nahm eine Hand von Dolly und eine von Hetty. »Und jetzt kriege ich mein Eis!«
Die beiden Frauen lächelten sich über seinen Kopf hinweg in stillem Einvernehmen an. Man musste den Kleinen einfach liebhaben. Hetty sah auf die blonden Wuschelhaare hinunter und seufzte innerlich – genauso wie seinen Vater.
Durch die Spielphase waren sie mit ihrem Zeitplan etwas in Verzug geraten. Allerdings marschierte Simon klaglos mit, als Dolly durch mehrere exklusive Boutiquen spazierte, um sich ihr Kleid für den Empfang auszusuchen, der in einer Woche stattfinden würde.
Und im Gegensatz zu Hetty fand er es anscheinend wirklich spannend, als seine Oma zum fünften Mal mit einem Kleid aus der Anprobe trat, sich vor dem Spiegel drehte und fragte. »Na, was haltet ihr davon?«
Interessiert sah er ihr zu und sparte nicht mit Kommentaren. »Die Farbe gefällt mir nicht!« Anscheinend fand er, dass es seine Aufgabe war, ein endgültiges Urteil zu fällen, da sich Hetty mit Bemerkungen zurückhielt.
»Die Ärmel sind komisch!«
Dolly zupfte an dem Faltenwurf und gab ihm recht. Die waren wirklich seltsam.
Doch schlussendlich gab der Kleine sein Einverständnis und nickte begeistert, als sie mit einem schwarzen Kleid erschien, das äußerst figurbetonend war und deutlich zeigte, dass Dolly immer noch mithalten konnte. »Omi, das musst du nehmen. Damit siehst du aus, wie ein richtig heißer Feger!«
Die Verkäuferin hatte sich schon die ganze Zeit mit einem gewissen Amüsement seine Kritiken angehört und sich nur mit Mühe und Not ein Grinsen verkniffen. Jetzt verlor endgültig ihre mühsam aufrechterhaltene Fassung und brach in ein schallendes Gelächter aus.
Da war sie nicht die Einzige im Raum. Hetty wäre bei Simons Bemerkung fast vom Stuhl gefallen und hielt sich jetzt den Bauch, während ihr die Tränen aus den Augen liefen.
Der „heiße Feger“ biss sich verzweifelt auf die Lippen, konnte sich aber dann auch nicht mehr beherrschen und stimmte mit ein.
Simon sah irritiert auf die lachenden Erwachsenen und fragte. »Habe ich etwas Verkehrtes gesagt?«
Dolly bückte sich und gab ihm einen Schmatz auf die Wange. »Nein, mein Lieber, aber so etwas habe ich schon lange nicht mehr gehört.«
Hetty grinste. »Wo hast du denn das her?«
Simon runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern. »Habe ich irgendwo gehört.«
Dann drehte er sich zur Verkäuferin um und fragte. »Haben sie keine Süßigkeiten für die kleinen Kinder da?«
Während er sich einen Lolly geben ließ, war er heilfroh, dass seine Tante nicht noch länger nachgebohrt hatte. Irgendwie war ihm bewusst, dass es sein Vater und Kai wahrscheinlich nicht toll gefunden hätten, wenn er erzählte, dass er den Ausdruck bei ihnen aufgeschnappt hatte. Das gehörte zu ihren Männergeheimnissen und wenn er wollte, dass sie ihn mit einbezogen, dann musste er auch schweigen können. Simon grinste, als er den Lutscher schleckte. Und es machte viel mehr Spaß, auch Geheimnisse zu haben.
Das Wetter war noch schön und Dolly und Hetty beschlossen, dass Simon sich eine Belohnung verdient hatte, weil er so tapfer durchgehalten hatte. Also gingen sie zum North Quay und stiegen in die Fähre, denn damit zu fahren war das zweitliebste, was der Kleine mochte. Und da auch Hetty nichts lieber tat, als auf einer Fähre durch die Gegend zu schippern, war es auch für sie ein gelungener Abschluss des Tages.
Es dämmerte schon, als sie am Riverside-Quay ausstiegen und neben den Knotenskulpturen aus Stein die Treppe hinaufgingen, die zum Durchgang zur Elizabethstraße führte, wo ihre Bushaltestelle lag.
Hetty hatte diese Engstelle schon immer toll gefunden, denn auf einer Seite waren hier uralte Mauerteile und auf der anderen als interessanter Kontrast ein neugebautes modernes Gebäude. Der schmale Durchgang führte leicht um eine Kurve und als ihnen ein Mann entgegenkam, zog Hetty Simon zur Seite, um den Weg freizumachen.
Dolly sog entsetzt die Luft ein, als sie plötzlich eine Pistole auf sich gerichtet sah und Hettys Nackenhaare stellten sich auf, als sie den Ernst der Situation erkannte. »Geld her, aber schnell!«
Es machte keinen Sinn, hier lange zu diskutieren. Sie waren natürlich unbewaffnet, weit und breit war niemand in Sicht und laut um Hilfe zu rufen, hätte schlimme Folgen haben können. Und wie hieß es doch immer? Es ist nur Geld. Also öffneten sie beide ihre Taschen und übergaben das Bargeld und, auf ein Winken mit der Pistole hin, auch ihre Kreditkarten.
Simon hatte erstaunt zugesehen und seinen Mund gehalten, da er nicht wusste, was das hier bedeutete. Aber als der Mann zu Dolly sagte »Den Schmuck auch«, und als die nicht gleich reagierte, drohend hinzufügte »Nun mach schon, du dumme Pute«, da fand er, dass es angebracht war, etwas zu sagen. »Meine Oma ist keine dumme Pute.«
Dabei hatte er sich von Hettys Hand losgemacht und war vor den Mann hingetreten. Der warf einen kurzen Blick auf den kleinen Knirps, der die geballten Fäuste in die Hüften gestemmt hatte und ihn böse ansah und knurrte. »Hau ab, du Hosenscheißer!«
Und damit seine Aufforderung auch Geltung hatte, gab er Simon einen solchen Schubs, dass dieser stolperte und hinfiel. Bis zu diesem Moment war Hetty der Meinung gewesen, der Kerl wäre es nicht wert, dass sie sich aufregte. Kreditkarten konnte man sperren lassen und das bisschen Bargeld war das Risiko eines tödlichen Schusses nicht wert.
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