»Man sieht mich immer zweimal! Einmal zum Vorstellen und einmal zum Entschuldigen«
1929, Mutti, Krieg und Unterhose
Zum Thema Mutter! Sie war die gute Seele und der starke Halt, in unserer kuriosen Familie. Dank Ihrer Eltern. Mutti erblickte 1929 das Licht der Welt. Sie erzählte mir oft Geschichten aus der schweren Zeit im Krieg und ich hing mit Elefantenohren an ihren Lippen. Meine Mutter hatte wie damals alle Mütter, das Problem mit der Aufklärung. Nicht nur mit der Aufklärung. Es gab Dinge, über die sprach man nicht! Im Zweiten Weltkrieg groß geworden, lernte Sie früh, wie man Hunger überbrückt und alles in die Suppe schmiss, was nicht niet- und nagelfest im Garten anderer zu finden war. Was ich davon glaubte, war die andere Sache. Da gabs echt manchmal Geschichten, also … Wenn z. B. die Sirenen erklangen und die Kampfbomber schon laut dröhnten, strickte sie in aller Ruhe, die letzte Reihe am Pulli fertig. Dann lief sie auf die Straße, grüßte freundlich den Opa, der gelangweilt in der Haustüre, auf der anderen Straßenseite stand und reihte sich in die gellenden Schreie der anderen davonlaufenden ein. Ab in den nächsten Bunker. Am Klang der fallenden Bomben errechnete Sie die Entfernung der Geschosse und überlegte, ob es sich lohne, den mitgebrachten halb fertigen Strickpulli weiter zu stricken. Oder man diskutierte, während die Bomben rings herum einschlugen, wer den besten Vanillepudding aus dem Nichts machen konnte. Sie verweigerte in der Schule den Hitlergruß und bekam prompt nach damaliger Art die Leviten gelesen. So mit der flachen Hand ins Gesicht oder mit dem Stock auf die ausgestreckten Finger und so Zeug. Ich liebte diese Geschichten, warum, weiß ich nicht. So erzählte sie mir auch, wie die schwarzen Striemen in ihre Arschbacken gelangt waren. Da es damals nur von Opa selbst gebaute Schlitten gab und die mit den Geschwistern geteilt werden mussten, nahm Sie sich eine Plastiktüte und füllte sie mit Stroh. Die Strumpfhosen waren noch, an eine Art Strapse befestigt. An einem steilen Hang spielte sie mit den anderen Kindern im Schnee und dann bretterten sie den Hang auf den Tüten hinab. Aber da gab´s die eine Oma und die konnte die Kinder nicht leiden. Diese Oma wartete eines Tages ab, bis alle Kinder oben am Berg angekommen waren, und schaufelte schnell den Schnee vor Ihrer Haustüre weg und streute Asche. Mutti schoss auf ihrer Tüte den Berg hinab und bremste auf dem blanken Hintern ab. Ihr Hintern muss noch Wochen danach wie Feuer gebrannt haben und der Hass auf die Oma war groß. Aber trotzdem muss es auch eine schöne Zeit gewesen sein, so erzählte sie. Damals waren die Menschen noch füreinander da. Großfamilien wurden nicht als Assipakete angesehen. Wenn ein Kind außerplanmäßig folgte, dann wurde eben eine Kartoffel mehr geschält. Mutter machte auch eigentlich alles richtig, was uns Kinder anbelangte, bis auf einen Aspekt! Sie hatte Hemmungen uns zu erklären, wie der Papa mit der Mama, uns Kinder macht. Man ist ja, wenn man heranwächst, äußerst neugierig, was Bienchen und Blümchen anbelangt. Meine Mutter hatte ihre eigenen Thesen dazu. Wie war ich denn nun entstanden? Die Letzte aus der Viererkette. Unerwartet, urplötzlich, wie von Geisterhand bin ich an der Mustertapete entstanden. Aber bevor ich rausflutschte, gabs noch einen lauten Knall. So sagte sie mir! Mutter trotz damaliger schwieriger Zeiten sehr aufgeschlossen. Nur das Wort Sexualität kam ihr einfach nicht über die Lippen. Sie bekam vom Frauenarzt, eine bunte Pille verschrieben und ihre Vergesslichkeit ließ dann das Wunder geschehen. Sie hatte sogar eine Entschuldigung für ihr Missgeschick. Wie sie mir später erklärte, bekam sie die Pille, weil sie schon schwanger wurde, sobald sie die Unterhose an die Wand nagelte. Dabei schaute ich auf unsere Mustertapete und war entsetzt. Nun gut, ich musste das so glauben und sah diese schreckliche Tapete ab sofort mit Argwohn an. In diesen vier Wänden war ich zur Welt gekommen. Gezeugt in einer Unterhose an der Mustertapete. Da fragt man natürlich auch als Kleinkind nicht nach, wie der Papa dahin gekommen war!
Muttis Verzweiflung und ärztliche Ratschläge
»Hören se' mal Herr Doktor! Also mit dem Kind … ich weiß net so richtig, wie isch datt sagen soll. Aber irgendwatt stimmt net. Manchmaa macht mir datt Petra Angst« Tatsächlich! Mutter hatte recht und verlangte nun schnelle Hilfe von unserem Hausarzt. Doch was sollte der alte Herr noch dazu sagen? Kein Wunder, ich war nicht nur ein Unfall. Der erste Blick meinerseits, nach der Geburt, war eine schreckliche Mustertapete. Zudem schallerten mir die Ohren, weil ich mit lautem Knall zur Welt kam. Sagte Mutter mir später. Angeblich war die Fruchtblase nicht normal geplatzt, sondern explodiert. Ich glaubte eher, dass die Hebamme Mutti zur Sau gemacht hatte, während meiner Geburt, weil ich mich wehrte, das Paradies zu verlassen. Des Weiteren begleitete mich ein seltsames Phänomen. Ich zog Pannen magisch an. Der alte Hausarzt war fast wöchentlich zu Gast bei uns und suchte ständig nach freien Einstichmöglichkeiten für seine Tetanusspritzen. Ob blaue Flecken an den Ellbogen oder ein aufgeschlagenes Knie. Es gab kaum eine Stelle an mir, die nicht mit Blutkruste behaftet war. Heilte die Wunde am Knie ab, schlug ich mit dem Steißbein auf. Nur am Kopf tat sich komischerweise nichts. Ich war nie vom Wickeltisch gefallen oder in der Badewanne ausgerutscht. Nein, auch nicht zu heiß gebadet worden. Beim Stillen gab es keine Probleme, außer, dass Mutter sich wie eine Melkanlage fühlte und oft das Gefühl hatte, wenn die Milch leer war, dass es nun an ihre Blutbahnen ging. Als die festeren Speisen endlich folgten, stellte man zum Entsetzen aller fest, das Kind kotzte Brei. Was nun? Aus Spaß versuchte man ganz weiche Eier. Fand der Opa gut, also musste das auch gut fürs Kind sein. Ich vertilgte fortan halbrohe Eier mit viel Maggi. Salmonellen waren noch nicht erfunden. Mutter ekelte sich oft beim Füttern und musste des Öfteren die Schale abstellen und lief von dannen. Nun musste endlich mal Abwechslung herbei. Aber ich guckte nur nach dem, was die anderen Geschwister auf den Tellern hatten. Man konnte dem Kind doch keine gefüllte Paprikaschote geben! Oder doch? Ich futterte zum Erstaunen aller, kleingemanschte Paprikaschoten. Dann Reis mit Paprikaschoten. Schön scharf das Ganze. Ich lernte das Knattern. Aber alles, was sonst kindgerecht war, mied ich. Was sollte Mutter denn machen? Das waren die 70er! Bis eines Tages ein herrlicher Duft vom Esszimmertisch zu mir schwebte. Ohne gesehen zu haben, was das war, verliebte ich mich in den Duft. Ein Versuch war es Wert. Man hielt mir eine Hähnchenkeule hin. Man staunte. Ab sofort gehörten von jedem Hähnchen die Keulen nur noch mir. Die anderen aus der Familie waren wenig begeistert. Nun musste Mutter mehrere Hähnchen braten, damit alle von den Keulen bekamen. Ich mied nämlich die Bruststücke. Ich mied auch Puten-oder Hähnchenschnitzel. Es musste immer ein ganzer Gockel sein und davon nur das "Geläuf", wie Papa es immer nannte. Papas Hasenzucht war berühmt. Auch der samstägliche Hase dufte wohlig in meiner Nase. So futterte ich denn auch Hase. Aber das war allen egal. Hauptsache ich war zufrieden. Beim Blutabnehmen stellte der Hausarzt keine Mängel fest, denn als ich größer wurde, trank ich ja auch aus der Pfütze und bekam immer ausreichend Vitamine. Komischerweise hatte ich nie Würmer. Keine Läuse, keine normalen Kinderkrankheiten. Als dann mal tatsächlich die Masern kamen, schaute unser Hausarzt komisch. Sollte das Kind sich nun doch normal entwickeln? Nee, eigentlich nicht. Wenn ich zum Arzt musste, klaffte irgendwo eine Wunde oder ich wurde mit einer Knüpfnadel im Auge zum Arzt gefahren. Ich schluckte vorher immer Entschäumer wegen meiner Darmaktivitäten. Das war besser für alle. So auch der Zwischenfall bei der Schluckimpfung. Es hieß ein Stückchen Zucker schlucken. Eine bitterböse Furie in einem weißen Kittel verabreichte diese. Damals war es normal, dass genau für Kinder die schlimmsten Drachen vorstellig wurden. Ich hatte das Gefühl, ich sei beim Bund zur Musterung. Ich hatte vor Angst fast in die Latzhose gemacht, als ich die Tante Doktor sah. Die war ja anders als der Graf-Grob von zu Hause. Den Blick von der Furie würde ich nie vergessen.
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