„Ich kann sie nicht verstehen“, sagte ich. Ich versuchte es mit Deutsch, Englisch und Latein. Plötzlich trat der Typ beiseite und ein etwas größerer trat in mein Sichtfeld.
„Wer sind sie?“, fragte er in Englisch.
„Mein Name ist Rolf Rüdiger Klinger, ich komme aus Deutsch… Germanien“, verbesserte ich mich „und bin Medikus“ antwortete ich auch auf Englisch.
„Ihr seid Medikus?“, fragte er und schaute sich fragend um. „Wo sind eure Begleiter? Eure Unterlagen, eure Utensilien? Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass ihr allein durch die Wüste reist!“
„Wieso allein?“, fragte ich, scheinbar etwas dümmlich aussehend. Ich stand auf, ging zum Zelteingang und schaute hinaus. Genau in das schrecklich schöne Maul eines Kamels. Eine ganze Menge von diesen Tieren mitsamt ihren Reitern war zu sehen. Ansonsten sehr wenig. Das Lagerfeuer war aus, kein weiteres Zelt war zu sehen. Lediglich das kleine Zelt, in dem ich mit dem Mädchen Aynur gelegen hatte. Moment, wo war Aynur? Ich schaute mich im Zelt um. Nichts, absolut nichts war im Zelt. Mein Gesichtsausdruck muss ungefähr dem eines Nilpferdes ähnlich gewesen sein.
„Aber gestern waren Omar und die anderen doch noch da“, sagte ich mehr fragend zu mir. Hatte ich das alles geträumt?
„Mein Name ist Mohamed Wasula Ahmed Turk“, sagte der Hüne. „Wir verfolgen seit fünf Tagen die Entführer meiner Tochter. Habt ihr ein Mädchen bei den Geflohenen gesehen? Erzählt schon, bevor ich euch zu Allah befördere.“ Damit hob er seinen Säbel an meine Kehle und sah überhaupt nicht freundlich aus.
Jetzt wusste ich, warum Omar und seine Kumpels Englisch
Sprachen. Es waren Sklavenhändler!
„Also“, sagte ich, „das war so….“ Ich erzählte, dass ich überfallen und ausgeraubt worden bin, schließlich sollte es ein bisschen glaubwürdig sein. Das ich schließlich nachts auf dieses Lager gestoßen sei. Hier wurde mir geholfen und ja, es wäre ein Mädchen dabei gewesen. Allerdings war das Mädchen sehr schwer krank.
„Wie sah das Mädchen aus?“, fragte Mohamed Wasula.
„Nun, das Gesicht habe ich nicht gesehen, sie war verschleiert. Sie hatte aber ein sehr schönes Kleid mit einer sehr auffälligen Musterung an. Es wäre die Tochter von Omar, so sagte man mir.“
„Dieser hinterhältige Sohn eines Eunuchen“ fuhr Mohamed Wasula hoch. „Was war mit Aynur?“
„Ja, so nannte sie auch Omar“, antwortete ich. „Sie hatte die Seitenkrankheit. Ist euch das ein Begriff?“
„Die Seitenkrankheit!“, rief Mohamed Wasula und wurde etwas bleicher. „Daran stirbt man!“, rief er und schaute mich fassungslos an.
„Ja“, sagte ich, „aber ich habe sie behandelt und sie sollte eigentlich wieder gesund werden, wenn die Operation“, wollte ich sagen, besann mich aber eines Besseren, „die Behandlung erfolgreich war“ sagte ich stattdessen. Mohamed Wasula schaute mich lange an.
„Und wie ging es weiter?“
„Nach der Behandlung von Aynur war ich sehr müde, denn es war sehr, sehr anstrengend gewesen. Das „sehr anstrengend“ betonte ich dabei ausdrücklich. „Ich hatte mich schlafen gelegt, bis ihr mich freundlich geweckt habt. Wo die anderen sind, weiß ich wirklich nicht. Aber sie sagten, sie wollten nach Alexandria. Doch ob es stimmt, kann ich nicht sagen.“
„Nun“, sagte Mohamed Wasula, „wir werden weiter Richtung Alexandria reiten, es ist am nächsten. Eine gute Nachricht habe ich für Euch“ grinste er. „Ihr kommt mit, keine Widerrede!“, sagte er mit einem sehr ernsten Gesichtsausdruck.
Ein Kamel wurde herangeholt und ich sollte aufsteigen.
Oh Gott, auf so einem Flohteppich reiten, das hatte ich noch nie gemacht. Mohamed Wasula zeigte mir, wie es ging und nach kleinen anfänglichen Schwierigkeiten klappte es ganz gut.
Bis zum Abend hatten wir eine gute Strecke zurückgelegt und Wasula meinte: „Morgen Abend werden wir die Stadt Alexandria erreichen. Ich hoffe für euch, Effendi, dass ihr nicht gelogen habt.“
Na toll, ich hatte einen verrückten Vater an der Backe, der mir die Schuld für die ganze Sache gab. Was konnte ich denn dafür, dass er nicht besser auf seine Tochter aufgepasst hatte. Immerhin hatte ich ihr das Leben gerettet. Typisch, Undank ist der Welten Lohn! Es wurde ein Lagerfeuer angezündet.
„Kommt zu mir, Effendi und berichtet mir von euch“, sagte Mohamed Wasula. Ich setzte mich also ans Feuer und erzählte meine frei nach Münchhausen erdachte Geschichte, die sich aber mit der deckte, die ich schon Omar aufgetischt hatte. Anschließend gab es etwas zu essen und zu trinken, was zwar nicht besonders schmeckte, aber sättigte.
„Versucht nicht zu fliehen, Effendi“, sagte Mohamed Wasula. Dabei tätschelte er seinen Säbel und legte sich schlafen. Blödmann dachte ich bei mir. Wo sollte ich den hinlaufen? Müde vom langen Reiten legte ich mich schlafen.
Schon sehr früh wurde ich geweckt.
„Wir wollen weiter“, sagte Mohamed Wasula.
„Ein paar Brötchen und ein weich gekochtes Ei samt Kaffee wären toll“, sagte ich und grinste. Allerdings schaute mich Mohamed Wasula nur an und ging weg.
„Scheint, der Kaffee fällt aus“, sagte ich zu mir und nach einem mehr als kargen Frühstück ritten wir wieder los. Wir waren ungefähr eine Stunde geritten, als plötzlich Mohamed Wasula anhielt.
„Was ist“, fragte ich, „gibt es eine Spur?“
„Nein, schlimmer, einen Sandsturm“, sagte Mohamed Wasula und deutete in Richtung der Sonne. Ich schaute hin und sah nur eine dunkelbraune Wand, die langsam näherkam.
„Wir müssen sofort anhalten und uns schützen“, erklärte Mohamed Wasula. Wie eine Wagenburg wurden die Kamele zum Sitzen gebracht. Die Männer setzten sich neben die Kamele, nahmen Decken und Tücher und schützen sich. Wasula gab mir ebenfalls eine Decke. Einen Sandsturm hatte ich auch noch nicht erlebt.
Wenn ich gewusst hätte, was da auf mich zukam, ich hätte gerne auf diese Erfahrung verzichtet. Unglaublich schnell war er da. Es wehte ein warmer Wind, der ständig stärker wurde und immer mehr Sand heranwehte. Sprechen war nicht mehr möglich. Hätte man es versucht, der Mund wäre in kürzester Zeit voll mit Sand gewesen. Selbst bei geschlossenem Mund hatte man schon ständig Sand im Mund. Meine Augen waren fest verschlossen und tränten trotzdem.
Unglaublich, wie laut es war. Andauernd heulte der Wind und der Sand kam einem vor, als ob jemand mit Schmirgelpapier an einem herumrubbelt. Es war nicht nur unangenehm, sondern tat sogar weh. Man wurde regelrecht unter Sand begraben. Da musste man schon ganz schön aufpassen, dass man nicht lebendig beerdigt wurde.
Das Zeitgefühl hatte ich völlig verloren. War es schon eine Stunde, zwei oder mehr? Keine Ahnung! Durch das ständige Lärmen des Windes wurde ich langsam irre. Ich hielt mir die Ohren zu und hoffte, dass es bald vorbei wäre.
Endlich, nach gefühlten 10 Stunden, ließ der Wind nach und der Sand wurde weniger. Danach Stille, das tat richtig gut. Überall wühlten sich die Männer wieder aus dem Sand. Scheinbar waren sie so etwas gewöhnt. Keine große Sache.
„Nicht der Rede wert, passiert hier öfter“, erklärte mir Mohamed Wasula.
„Ja, war ganz nett, nicht wirklich aufregend“, erwiderte ich und spuckte Sand aus. Mein Mund war trockener als die Wüste Gobi. Überall am Körper war Sand. Ich wog mindestens fünf Kilogramm mehr. Aufstehen und herumhüpfen, abklopfen, das Gewand vom Sand leeren. Mohamed Wasula gab mir etwas Wasser zu trinken. Was für ein Genuss! Anschließend wurden die Kamele befreit und ohne großes Palaver ging es weiter. Das wäre bei uns auf der Titelseite der Bildzeitung gewesen. Hier gab es nicht einmal eine Randnotiz, verrückte Welt!
Ohne viele Umstände ritten wir weiter. Gegen späten Nachmittag, mir tat mein Hinterteil mehr weh, als ich erzählen kann, erreichten wir die Stadt Alexandria. Ein imposanter Anblick. So groß hätte ich sie mir nicht vorgestellt. Überall die hohen Türme und die vielen Häuser. Wahnsinn!
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