Der als Erstes aufgestanden war, sagte in Englisch: „Halt!
das ist weit genug. Bleibt stehen.“ Wie befohlen blieb ich stehen und schon sprudelte es aus mir heraus: „Mein Name ist Rolf Rüdiger Klinger, ich komme aus Deutschland. Das Flugzeug muss abgestürzt sein, ich habe nichts anzuziehen, mir ist kalt und ich bin durstig. Können sie mir helfen?“
„Effendi“, sagte er, lies dabei sein Säbel sinken, „kommt ans Feuer und wärmt euch.“ Er sagte etwas in einer fremden Sprache, ich nahm an, es war arabisch, zu seinen Begleitern. Sie ließen ebenfalls die Säbel sinken. Einer ging in ein kleines Zelt. Das sah ich erst jetzt, als ich langsam ans Lagerfeuer ging.
Ahh – das tat gut, endlich Wärme. Der im Zelt verschwunden war, kam mit einem über den Arm gelegten Hemd oder so etwas Ähnlichem und gab es mir. Es war ein sackähnlicher Ganzkörper etwas, wie alle Ägypter es trugen. Genauso wie die Männer, die hier am Lagerfeuer saßen. Ich glaube, es heißt „Gallabea“ oder so ähnlich.
„Zieht es an und setzt euch zu uns ans Feuer, Effendi“, sagte der freundliche Ägypter. Ich nahm einfach an, dass er Ägypter war.
„Trinkt diesen Tee und erzählt uns, was passiert ist.“
„Danke für eure Hilfe“, sagte ich und nahm dankbar den heißen Tee, nachdem ich das „Hemdchen“ anhatte. Der Tee war in einem einfachen Tonbecher und schmeckte gut. Ein Kaffee wäre mir jetzt lieber gewesen, aber der Tee tat es auch.
„Mein Name ist Mohamed Omar Tambuk“, sagte mein Retter. Dabei legte er die rechte Hand auf seine Brust und verneigte sich leicht.
„Mein Name ist Rolf Rüdiger Klinger“, antwortete ich.
„Ihr kommt aus Europa, Effendi?“, fragte Omar.
„Ja, um genau zu sein, aus Deutschland“, antwortete ich.
„Deutschland?“, fragte er mit einem komischen Gesicht. „Seid ihr schon lange in Ägypten?“, fragte Omar.
„Nein, noch nicht lange“, antwortete ich und trank einen Schluck Tee.
„Sind die Kriege in Europa noch?“, fragte Omar.
„Welche Kriege?“, fragte ich erstaunt.
„Vor vierzehn Tagen war noch alles normal“, antwortete ich und schlürfte an meinem Tee. Omar schaute mich sehr komisch an.
„Nun, ich meine die heiligen Kreuzkriege, die die Gläubigen gegen die Ungläubigen führen. Die auch hier bei uns lange Zeit gewütet haben, jetzt sind sie aber Richtung Persien unterwegs.“
Ich verstand nur Bahnhof. Was meinte Omar damit? Die Glaubenskriege waren doch schon lange vorbei. Meinte er etwa die? Oder den Krieg im Iran? Afghanistan? Syrien?
„Ihr müsst entschuldigen“, sagte ich, „ich habe länger keine Nachrichten gesehen.“ Omar schaute seine Begleiter an und lachte.
„Hat man euch auf den Kopf geschlagen, als ihr ausgeraubt wurdet, Effendi?“
Ich muss ein selten doofes Gesicht gemacht haben, den Omar und seine Freunde lachten, bis ihnen die Tränen kamen.
„Ich weiß nicht, was passiert ist“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Kann mich an nichts mehr erinnern. Weiß nur noch, dass ich hier irgendwo aufgewacht bin. Wo sind wir hier eigentlich?“
„Das ist die Wüste vor der Hafenstadt Alexandria“, sagte Omar. „Wir kommen aus Kairo.“
„In Kairo war ich auch schon“, antwortete ich, „die Pyramiden und das ägyptische Museum.“
„Museum?“, fragte Omar, „was ist das?“ Jetzt schaute ich ihn fragend an.
„Nun, wo alle Kunstschätze aufbewahrt werden.“
„Was!“, sagte Omar ziemlich erstaunt. „Ihr durftet in die Schatzkammer vom Pharao?“
Jetzt dreht er durch, dachte ich. Pharao! Klar doch, den blöden Reisenden ein bisschen auf den Arm nehmen. Doch irgendwie sagte er das sehr glaubwürdig.
„Mir ist schlecht, ich habe Kopfschmerzen und ich weiß nicht einmal, welcher Tag heute ist“, sagte ich und hatte ein flaues Gefühl im Magen.
Er überlegte und sagte dann: „Heute ist der 3. Tag des 8. Monats im Jahr des Herrn 1148 nach eurer Zeitrechnung, Effendi“.
Dem Zug, der mich in diesem Moment von hinten überfuhr, während ich unter einer bimmelnden Kirchenglocke saß und dem Klang eines Presslufthammers lauschte, der das Datum in meinem Kopf hämmerte, war ich völlig ausgeliefert. Ich saß wie versteinert. Nur langsam kam ich in die Wirklichkeit zurück.
„Das ist doch ein schlechter Scherz“, flüsterte ich und fast wäre mir der Teebecher aus der Hand gerutscht. Wenn das Datum stimmte, war ich in der Vergangenheit. Wie sollte so etwas gehen? Das war unmöglich! Gut, da war dieses komische Licht gewesen und ich hatte auch schon einige Filme gesehen, wo so etwas klappte. Aber das waren Hollywoodfilme und keine Wirklichkeit. Und wenn es wahr wäre, warum ausgerechnet in diese Zeit? Aus dieser Zeit hatte ich einmal ein paar Bücher gelesen, aber mich sonderlich nie ausführlich mit dieser Zeit und den Umständen, geschweige denn mit den Gepflogenheiten und Lebensumständen auseinandergesetzt.
Nachdem ich mich wieder etwas gefangen hatte, sagte ich: „Na klar, der 3. August 1148. Nun mal Butter an die Fische. Wo ist die versteckte Kamera?“ Ich schaute mich lächelnd um. Jeden Augenblick irgendwo das Schild „Verstehen sie Spaß“ zu entdecken. Verdammt gute Schauspieler, dachte ich. Verziehen keine Mienen. Ich sah ein paar Zelte und Kamele, sonst nichts. Sehr beeindruckend, die Kulisse, dachte ich bei mir.
Das Datum kreiste immer noch in meinem Kopf, als Omar sagte: „Ich verstehe den Sinn eurer Sprache nicht. Wir Reisen nach Alexandria um einen Medikus aufzusuchen“.
Das brachte mich wieder zurück in die Gegenwart.
„Einen Medikus?“ echote ich. „Ich bin ein Medikus.“ War ja richtig, nur dass ich zurzeit nicht als Arzt arbeitete, aber das sagte ich nicht.
„Ihr seid Medikus, Effendi?“, fragte Omar erstaunt.
„Ja, ich bin Medikus“ ich hatte gelesen, dass Arzt früher so hieß.
„Oh, das ist gut“, sagte Omar.
„Seine Tochter Aynur bedarf der Hilfe“, sagte sein Begleiter. Er hieß glaub ich Hazem Hasan. Die Vorstellung der Namen war irgendwie an mir vorbeigegangen.
„Wo ist eure Tochter und was hat sie für Beschwerden?“, fragte ich nun ganz in meinem Element.
„Der mit uns reisende Baader Mohamed Ben Nerva meint, sie hat die Seitenkrankheit“, sagte Hazem Hasan.
„Seitenkrankheit? Ach ja – kann ich deine Tochter mal sehen?“, fragte ich. Seitenkrankheit, so hatte mein Professor in der Vorlesung uns beigebracht, wurde früher die simple Blinddarmentzündung genannt. Wir Studenten hatten sie immer „Bockwurstkrankheit“ genannt, weil der entzündete Blinddarm so prall wie eine Bockwurst aussah. Wie konnte der Baader zu dieser Zeit eine Appendizitis, Pardon, Seitenkrankheit erkennen? Wenn es wirklich die Zeit war, die sie mir genannt hatten. Ich ging immer noch von einem schlechten Scherz aus.
Wir gingen zu einem Zelt. Im Zelt war es dunkel, sodass man so gut wie nichts sehen konnte. Irgendjemand war im Zelt, denn ich hörte ein Stöhnen.
„Meine Tochter ist 13 Jahre alt, sie hat starke Schmerzen in der Bauchseite, hier“, sagte Omar und zeigte auf die rechte Bauchseite.
„Ich brauche Licht, sonst kann ich sie nicht untersuchen.“
Omar holte eine Fackel und ich konnte nun genug sehen. Ich schaute das Mädchen an, es war sehr dünn, hatte einen unregelmäßigen Atem. Die Stirn war sehr heiß und schweißbedeckt, zudem war ihr Gesicht verschleiert. Hohes Fieber vermutete ich. Ein Druck in die Bauchseite, loslassen und das Mädchen schrie auf. Die Bauchdecke fühlte sich auch sehr hart an. Das könnten zugegeben Symptome einer erstklassigen Blinddarmentzündung sein. Aber ohne genaue Blutuntersuchung konnte ich es nur vermuten. Es gab schließlich genug andere Krankheitsmöglichkeiten.
Sie trug ein sehr schönes Kleid mit einem außergewöhnlichen Muster. Passte irgendwie gar nicht zu den sonst so ärmlich gekleideten Männern, aber ich dachte mir nichts dabei, da ich andere Probleme hatte.
Читать дальше