Kapitel 6.
Ich hatte das Schiff überprüft und es war gut durch den Sturm gekommen. Keine Schäden waren zu sehen. Wasser war etwas in den Rümpfen, ob nun durch den Sturm oder durch andere Umstände, wusste ich nicht. Es war auch nicht viel, aber ich schöpfte so viel wie möglich heraus. Mann, wie gerne hätte ich jetzt einen Schlauch gehabt, dann wäre es etwas bequemer gewesen.
Nach getaner Arbeit setzte ich mich mit Rosa zusammen und erklärte ihr, welche Möglichkeiten zur Weiterreise wir hatten. Wir versuchten, eine Lösung zu finden. Es gab da einiges zu beachten und zu bedenken. Wenn wir Richtung Venedig fuhren, waren wir in ein paar Tagen da, könnten überwintern und im Frühjahr weiter Richtung Deutschland reisen. Sollten wir weiterfahren Richtung Westen, waren wir mindestens zwei bis drei Monate unterwegs, bis wir an der Küste von Deutschland ankamen, wenn das Wetter mitspielte. Es gab für beide Optionen ein Für und ein Wider. Irgendwie kamen wir nicht voran. Doch die Entscheidung wurde uns abgenommen. Es war so gegen früher Nachmittag, als Rosa plötzlich rief: „Rolf, schau Schiffe!“
In der Richtung in die Rosa zeigte, sah ich langsam eins, zwei und noch mehr Schiffe am Horizont auftauchen. Langsam wurden sie größer und es wurden sechs Schiffe. Als ich dann sah, unter welcher Flagge die Schiffe fuhren, wurde mir doch etwas mulmig. Es war die Flagge des Statthalters von Alexandria.
„Ich glaube ich spinne“ entfuhr es mir. Die waren nicht hinter mir her, dazu war ich zu unbedeutend.
Ich schaute Rosa an und fragte sie: „Wer bist du wirklich?“
Rosa war verlegen und sagte: „Lass uns schnell wegfahren, ich erzähle dir dann alles, bitte!“
Da waren sie wieder, diese treuen Dackelaugen. Ich holte den Ankerstein ein und setzte die Segel. Wir nahmen Fahrt auf und fuhren Richtung Westen.
„Und nun die Wahrheit“, sagte ich unabsichtlich etwas schroffer, als ich es beabsichtigt hatte.
„Mein Name ist Rosalinde Teuber, ich bin auch aus Germanien, mein Vater war ein reicher Händler, handelte mit Teppichen, er kaufte und verkaufte. Auch dem Statthalter von Alexandria verkaufte er besonders schöne Stücke. Es lief hervorragend. Aber irgendetwas musste passiert sein. Mein Vater wollte eines Abends Hals über Kopf aus Alexandria abreisen. Was genau vorgefallen war, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Wir kamen nicht weit. Am Stadtrand wurden wir von der Wache des Statthalters aufgegriffen und eingesperrt. Mein Vater wurde zwei Tage später öffentlich vor meinen Augen hingerichtet. Mir wurde selbst da nur mitgeteilt, es ging um den Sohn vom Statthalter. Der war wegen der Sache mit seinem Sohn äußerst verärgert und bestrafte meinen Vater mit dem Tod.
Der Besitz meines Vaters, seine beiden Truhen mit den Edelsteinen und den Goldstücken, wurde vom Statthalter einbehalten. Mir als angebliche Mitwisserin wurden dreißig Stockhiebe auf die Fußsohlen gegeben und anschließen wurde ich als Sklavin auf dem Basar verkauft.
Mein neuer Besitzer war ein reicher Ägypter. Er war hässlich, aber reich. Damit ich nicht fliehe, hatte ich Ketten an den Füßen. Meine Aufgaben bestanden darin das Haus sauber zu machen und nachts hatte ich ihm zu Diensten zu sein. Ich habe es reglos über mich ergehen lassen.“
Rosa liefen bei der Erzählung die Tränen über die Wangen. Es musste für sie schwer sein, über diese Dinge zu reden.
„Irgendwann hatte er mich über, da ich nur wie ein Stück Holz im Bett war, wie er sagte. Also wurde ich weiterverkauft. Mein nächster Herr bezahlte wesentlich weniger für mich, da ich nicht mehr „unbenutzt“ war. So wurde ich noch dreimal weiterverkauft. Immer musste ich meinen Herren nachts zu Diensten sein.
Bei meinem nächsten Herrn lernte ich Siri kennen. Auch eine Sklavin, so wie ich. Sie erklärte mir, was ich im Bett besser machen könnte, damit es schneller geht. So würde ich weniger Leiden. Siri war froh, dass ich jetzt da war. So musste sie nicht mehr so oft dem Herrn zur Verfügung stehen. Ich lernte von ihr eine Menge, was den Beischlaf angeht.“
Das konnte ich nur bestätigen, dachte ich, sagte aber nichts. In Gedanken dankte ich Siri für die hervorragende Ausbildung.
Rosa erzählte weiter: „Unser Herr starb und so wurden wir von einem neuen Herrn übernommen. Er war der oberste Verwalter für die Palastküche. Dadurch hatte er freien Zugang zum Palast, zumindest in den unteren Trakt für die Dienstlichen. Er erzählte bei einem Essen, dass er für Freunde gab, von meinem Vater. So erfuhr ich, dass der Statthalter meinen Vater hinrichten ließ, weil sein dreizehnjähriger Sohn über eine Teppichbrücke meines Vaters gelaufen war. Diese rutschte auf dem polierten Marmorboden weg und der Sohn brach sich ein Bein.
Der Statthalter war darüber so aufgebracht, dass er meinen Vater beschuldigte, Teppiche minderer Qualität für teures Gold an ihn verkauft zu haben. Darauf stand selbstverständlich der Tod. Mein Vater musste also wegen eines Bengels sterben, der zu blöd zum Laufen war. So kam ich auf den Gedanken, mich an den Leuten zu rächen.
Mein Herr hatte keine Angst, dass ich weglaufen würde. Ich hatte keine Fußketten mehr. Siri und ich wurden so weit gut behandelt. Ab und zu mussten wir einkaufen gehen. Dabei kam ich an unserem alten Haus vorbei. Mein Vater hatte ein Versteck für alle Fälle angelegt. Dort war der Beutel versteckt, den du jetzt hast. Er ist allerdings jetzt nicht mehr so voll. Ich konnte dank Siri den Beutel holen.“
„Lass mich raten, du hast die Steine in Gold eingetauscht?“, fragte ich.
„Ja, aber nicht alle. Mein Vater hatte viele Kaufleute und Goldschmiedeleute gekannt. Heimlich traf ich einen Freund meines Vaters. Allerdings musste ich feststellen, dass es mit der Freundschaft nicht weit her war. Er tauschte mir ein paar Steine und gab mir wesentlich weniger Gold, als sie wert waren. Aber das war mir egal. Es sollte ja nur zu einem Zweck reichen. Denn nach der Sache würde ich wahrscheinlich ebenfalls hingerichtet werden, wenn sie schiefging.“
„Du machst mich neugierig“, sagte ich.
„Mithilfe von einem anderen „Freund“ konnte ich ein paar Leute bezahlen, die für Gold alles machen. Sie sollten mit mir heimlich in den Palast eindringen und Vaters Kisten wiederholen. Denn ich wollte nicht, dass der Statthalter die Sachen bekommt. Außerdem wollte ich seinem Sohn eine Lektion erteilen.“
„Und wie bist du in den Palast hereingekommen, an den ganzen Wachen vorbei?“
„Das war das Leichteste. Ich klaute den Schlüssel zum Diensttrakt von meinem Herrn, als er mit Siri beschäftigt war. Wir sind rein und prompt ging fast alles schief.“
„Was passierte?“, fragte ich voller Spannung.
„Wir, das waren vier Männer und ich, haben uns eingeschlichen. Durch belauschte Gespräche meines Herrn wusste ich, dass die Truhen von meinem Vater in einem kleinen Lagerraum standen. Der Inhalt war wohl als nicht besonders wertvoll beurteilt worden und deshalb standen sie mehr oder weniger frei zugängig im Lagerraum. Wir schnappten Sie und brachten sie nach draußen.
Alles ging glatt, bis wir kurz vor dem Tor waren. Dort wurden wir von dem Sohn des Statthalters überrascht. Er hatte mit Pfeil und Bogen Schießübungen gemacht. Er fing sofort an nach der Wache zu schreien und schoss mir einen Pfeil in mein Bein. Ich schrie auf und meine Männer machten sich mit den Truhen aus dem Staub. Mit einem Schrei riss ich den Pfeil aus dem Bein und wollte ihn dem Sohn vom Statthalter, der jetzt auf mich zulief, in den Arm rammen. Der wich aus und der Pfeil bohrte sich in seinen Hals. Röchelnd brach er zusammen. Ich bin so schnell, wie ich konnte geflohen. Fast hätten mich die Wachen erwischt. Aber ich entkam nach einer wilden Verfolgungsjagd in den Gassen von Alexandria.“ Rosa schwieg.
Nun konnte ich mir denken, warum der Statthalter hinter ihr her war. Nicht ich war das Ziel, sondern sie. Sie hatte den Sohn des Statthalters schwer verletzt, wenn nicht sogar getötet.
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