Prima, das Wasser wurde aufgefangen und füllte unsere Spülwassertonne und unsere Duschtonne. Leider hörte es nicht auf zu regnen, im Gegenteil, es wurde richtig unangenehm. Da ich kein Ölzeug hatte, war ich sehr schnell bis auf die Knochen nass. Das war nicht nur unangenehm, sondern es war auch kalt. Hoffentlich erkälte ich mich nicht, dachte ich so bei mir. Da es scheinbar der Anfang von einem Sturm war, überlegte ich nicht lange. Wir mussten sehen, dass wir in Küstennähe kamen. Ich änderte den Kurs auf Richtung Nord. Wenn ich alles richtig berechnet hatte, so müsste die Küste von Kreta oder Griechenland bald auftauchen. Hoffte ich wenigstens. Dort könnten wir in eine Bucht fahren und waren etwas geschützt.
Wenn ich daran dachte, mit dem Schiff im Sturm und ich als Hobbysegler, na dann gute Nacht. Ich war bisher immer nur bei schönem Wetter gesegelt. Sturm, das kannte ich nur aus dem Fernsehen. Jetzt war es leider Realität. Die kündigte sich mit Donner und Blitzen an. Auch das noch, Gewitter! Mein Mast war bestimmt der perfekte Blitzableiter. Der Wind nahm zu. Ich musste das Hauptsegel einholen, sonst würde der Mast brechen oder das Schiff umkippen. Weder das eine noch das andere war gewünscht. Rosa wollte helfen.
„Bleib drinnen“, sagte ich. „Binde alles fest, was lose ist.“
Wir werden viel Glück brauchen, um das zu überstehen, dachte ich, sagte es aber Rosa nicht. Schließlich wollte ich sie nicht beunruhigen. Das Einholen des Segels war ein Kraftakt gewesen, ich sollte mehr für meine Kondition tun. Nachdem ich das Segel gesichert hatte, war nur das Vorsegel noch gesetzt. Das benötigte ich, um das Schiff noch steuern zu können. Aber wenn der Wind noch stärker würde, musste ich das auch einholen. Allerdings waren wir dann ein Spielball der Wellen.
Die hatten inzwischen ganz schön an Höhe gewonnen. So um die vier bis sechs Meter erreichten die wohl. Bisher machte der Katamaran das alles ohne Probleme mit. In Gedanken dankte ich Ibrahim für seine gute Arbeit. Wir machten immer noch gute Fahrt, nicht mehr so wie vorher, aber wir kamen noch voran. Wenigstens brauchte ich mir um Piraten keine Sorgen zu machen. Die hatten schließlich genauso mit dem Sturm zu kämpfen wie wir.
Der Sturm legte nun richtig los. Gewitter, Donner, Regen und der Wind machten mich ganz schön fertig. Aber am schlimmsten waren die Wellen. Rauf und runter und dann kam eine Welle einfach übers Schiff. Da ich mich festgebunden hatte, konnte ich wenigstens nicht über Bord gehen. Aber ich kam mir vor, als ob ich in der Waschmaschine im Vollwaschgang war. Sehen konnte ich außer Wasser nichts. Ich hatte das Ruder festgebunden und hoffte, dass die Richtung einigermaßen stimmte. Wasser, nichts als Wasser. Und die Krönung, von oben auch Wasser. Ab und zu wurde ich von dem da oben auch noch fotografiert. Wahrscheinlich lachte sich der Knabe oben gerade Tränen aus den Augen, die hier unten als Wasserladungen ankamen.
Es regnete mittlerweile, als ob jemand ständig Badewannen auskippt. Kann man auch im Regen ertrinken, fragte ich mich? Mir war gelinde gesagt, arschkalt. Wie lange sollte das weitergehen? Der Mast knackte ab und zu. Bleib bloß stehen, drohte ich ihm, sonst wirst du zu Feuerholz verarbeitet.
Ich weiß nicht, wie lange ich da gesessen habe, aber irgendwann flaute der Wind ab. Blaue Hände und Lippen zeugten von einer erstklassigen Unterkühlung. Mann war mir kalt! Nur konnte ich gar nicht so schnell zittern, wie mir kalt war. Rosa kam und schickte mich unter Deck. Das sagte sie so, dass keine Widerrede möglich war. Ich zog meine nassen Klamotten aus und wickelte mich in Decken ein. Trotzdem war mir kalt und ich war völlig fertig. Ich merkte nicht mehr, wie ich einschlief.
Als ich wieder aufwachte, war es hell. Wie lange hatte ich geschlafen? Was war mit Rosa? Ich stand auf, zog mir schnell was über und ging heraus. Rosa hatte sich am Ruder festgebunden und in eine Decke eingehüllt war sie eingeschlafen. Ich weckte sie zärtlich und küsste sie.
„Komm, geh in die Kabine und schlafe dich aus, ab jetzt bin ich wieder da.“
Rosa schaute mich an, dann rief sie plötzlich: „Rolf, schau!“
Ich drehte mich um und sah Land. Wir waren in der Nähe der Küste. Wir waren vielleicht noch 500 bis 600 Meter entfernt. Ich wusste nicht, welches Land es war. Das konnte Griechenland sein, aber eventuell auch eine Insel von Griechenland. Vielleicht Kreta, aber es konnte genauso gut Sizilien sein. Schließlich wusste ich nicht, wie weit der Sturm uns vom Kurs abgetrieben hatte. Aber egal, endlich wieder Land in Sicht. Allerdings bestand auch die Gefahr, dass wir von irgendjemand angegriffen würden.
Damit wir endlich mal ausschlafen und uns von den Strapazen des Sturms erholen konnten, wollte ich eine kleine Bucht finden und dort versteckt ankern. Ich setzte das Hauptsegel und wir segelten näher an Land. Vorsichtig segelten wir am Ufer entlang. Der Abstand zum Land war auf gut 100 Meter geschrumpft. So konnten wir Einzelheiten entdecken.
Nach der Vegetation zu urteilen, könnte es Griechenland oder Kreta sein. Im Geschichtsunterricht hatte ich nicht besonders gut aufgepasst. Aber wenn meine grauen Gehirnzellen sich nicht irrten, war 1148 hier das „Byzantinische Reich“. Es müsste zurzeit oder demnächst der vierte Kreuzzug gegen Konstantinopel im Gange sein. Allerdings wusste ich jetzt nicht genau, ob auch Kreta und Griechenland davon betroffen waren. Ich hatte keine Lust, mich irgendwo einzumischen. Als ich so vor mich hin grübelte, fiel mir plötzlich noch etwas ein.
Ich war am 03. August 2017 in Hurghada ins Flugzeug gestiegen, am 03. August 1148 aufgewacht. Anschließend fast vier Monate in Alexandria gewesen und nun mit dem Katamaran hier im Mittelmeer unterwegs. Wir hatten Dezember! Wir hatten heute den 18. oder 19. Dezember. Kurz vor Weihnachten. Aber was viel schlimmer war, wir hatten Winter. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Wenn wir weiter Richtung Norden fuhren, würde uns der Winter erwischen. In Norditalien, Deutschland lag wahrscheinlich Schnee. Ich hatte weder Kleidung oder war dafür ausgerüstet.
Doch dann fiel mir der kleine Beutel von Rosa ein. Geld war ja da. Wir konnten also alles kaufen. Nun mussten wir uns entscheiden, wollten wir an der Küste Richtung Norden weitersegeln, so würden wir bald an Land weiterreisen müssen. Wir würden in Venedig überwintern müssen, bevor wir den Weg Richtung Deutschland in Angriff nehmen konnten. Oder segelten wir weiter Richtung Westen?
Dann hatten wir noch sehr lange Wasser vor uns. Das wollte ich nicht allein entscheiden. Aber erst einmal sollten wir uns einen Tag erholen, denn der Sturm hatte uns ganz schön geschafft. Es brachte nichts, weiter nach einer Bucht zu suchen, da wir bisher keine gefunden hatten. Also warf ich den Ankerstein. Die Sonne stand hoch am Himmel. Es musste so um die Mittagszeit sein, schätzte ich. Wir machten uns etwas zu essen und legten uns beide schlafen. Ich hoffte, dass hier nicht ausgerechnet heute jemand durch die Gegend segeln würde.
Als ich wieder wach wurde, war es noch hell oder war es schon wieder hell? Nach meinem Hunger zu urteilen, hatten wir durchgeschlafen. Rosa war immer noch im Traumland. Ich weckte sie nicht, sondern schlich nach draußen. Das Wetter war ruhig und sonnig. Nach dem Sonnenstand war es vormittags. Welcher Tag heute war, keine Ahnung. Man merkte erst jetzt so richtig, wie einem eine Uhr fehlte. Vor allem, wenn sie auch noch das Datum anzeigte. Nirgends war ein Schiff zu sehen, kein Mensch weit und breit. Prima, dachte ich, ging unter Deck und duschte ausgiebig. Das Wasser war zwar nur lauwarm, aber es war hervorragend. Anschließend bereitete ich Frühstück. Rosa war zwischendurch wach geworden und ging ebenfalls duschen. Wir frühstückten gemeinsam. Es ging uns beiden wieder gut. Das war die Hauptsache. Alles andere zählte in diesem Moment nicht.
Читать дальше