In den Schwimmrümpfen war zur Stabilisierung des Schiffes ganz unten eine ordentliche Ladung Blei eingearbeitet. Damit lag das Schiff ruhiger und konnte nicht so schnell kippen. Es war mit das Teuerste am Schiff gewesen. Woher Ibrahim das Metall hatte, wollte ich gar nicht wissen.
Die Rümpfe waren hervorragend gelungen. Zwar aus Holz, aber Glasfasermatten waren wohl schlecht in dieser Zeit zu bekommen. Ganz zu schweigen von dem Kunstharz. Das Schiff war voll ausgerüstet und beladen, es fehlte nur noch der blinde Passagier.
Am Nachmittag wurden zwei Truhen gebracht. Ich verstaute sie unter Deck und holte alle wichtigen Sachen aus meinem Zelt. Das Zelt ließ ich stehen, hängte ein Schild mit: „Bin bald wieder da“ an den Eingang. Das sollte die Leute beruhigen. Ich blieb nun auf dem Schiff. Es war schon später Nachmittag, als eine vermummte Gestalt auf das Schiff kam. Es war Rosa. Mit Krücken hatte sie den ganzen Weg hierher gemacht, um nicht aufzufallen. Rasch brachte ich sie unter Deck und schloss die Luke.
„Ich war sehr vorsichtig“, sagte sie. „Niemand wird mich die nächsten Tage vermissen, denn ich besuche angeblich eine Freundin im Nachbarort.“
„Das klingt gut“, antwortete ich und zeigte ihr das Schiff. „Leider müssen wir uns ein Bett teilen“, sagte ich. „Aber es ist breit genug für uns.“
Sie strahlte mich an, sagte aber nichts.
Ich lächelte zurück und meinte: „Sollte doch kein Problem sein oder?“
„Wenn es in Ordnung ist, würde ich dich gerne Rolf nennen“, sagte Rosa plötzlich, „ist einfacher.“
„Das geht in Ordnung, Rosalinde“, sagte ich grinsend. „Lass mich deine Wunde noch mal ansehen, Rosa“.
Die Wunde sah ganz gut aus. Vorsichtig cremte ich sie mit einer Heilsalbe ein und verband sie mit frischen Tüchern. Wir legten uns nach einem kleinen Mahl früh schlafen, denn ich wollte sehr früh aufbrechen.
Am nächsten Morgen, der 8. Tag des 12. Monats des Herrn, es war der Tag, wo wir abreisen wollten, passierte es. Ich war sehr früh wach und bekam mit, dass sich immer mehr Wachen in der Nähe vom Schiff aufhielten. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, machte sich bei mir breit.
Es war noch nicht richtig hell, aber in einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen und dann war garantiert an Abreise nicht mehr zu denken, da die Wachen das verhindern sollten. Die Wachen hatten das Emblem des Statthalters und damit konnte ich mir denken, was sie wollten. Nein, ich hatte andere Pläne. Ich weckte Rosa und sagte ihr, dass es Ärger gibt.
„Bleib hier unter Deck, ich mache den Rest.“
Vorsichtig, damit niemand durch Geräusche auf mich aufmerksam wurde, schlich ich über das Deck, löste die Halteseile und stieß das Schiff ab. Langsam driftete es vom Ufer weg. Keiner schien darauf zu achten.
Als ich so drei Meter gewonnen hatte, setzte ich meine „Schnellsegelsetzmaschine“ in Gang. Ein schweres Gegengewicht sauste nach unten und zog das große Hauptsegel nach oben. Der Wind griff ins Segel und blähte es auf. Glück gehabt, es wehte ein ordentlicher Wind.
Durch den Lärm aufmerksam geworden, kamen die Wachen herangelaufen und riefen: „Halt im Namen des Statthalters von Alexandria, kommt sofort zurück.“
Na klar Mann, ich dachte nicht im Traum daran. Im Gegenteil, ich setzte das Vorsegel und nahm Fahrt auf. Der Katamaran lag prima im Wasser und die Geschwindigkeit, mit der er durchs Wasser glitt, war für diese Zeit sicher ein neuer Rekord. Als ich nach vorne schaute, bekam ich es mit der Angst, denn die Hafeneinfahrt war links und rechts mit Bogenschützen besetzt. Meine einzige Chance bestand darin, in der Mitte zu bleiben und schnellstmöglich durchzufahren.
Wenn die Wachen auf die Idee kamen, mit Brandfeilen zu schießen, hätte ich ganz schlechte Karten. Ich band das Ruder so fest, dass der Katamaran den Kurs beibehalten würde. Schnell kam die Durchfahrt näher und der erste Pfeilhagel prasselte auf das Schiff nieder. Da ich Schutz in der Kajüte gesucht hatte, war ich in Sicherheit. Der Katamaran erreichte die Durchfahrt und fuhr schnell hindurch. Als ich herausschaute, waren Pfeile im Segel stecken geblieben, aber es waren keine Brandpfeile dabei. Sie hatten das Segel zum Glück nicht groß beschädigt.
Als ich zurückblickte, sah ich zwei große Schiffe, die die Verfolgung aufnahmen. Sollen sie, dachte ich, bei der Geschwindigkeit, die mein Schiff erreichen würde, waren diese lahmen Pötte keine Gefahr.
Mein Schiff sah aus wie ein Igel. Überall steckten die Pfeile. Ich entfernte die Pfeile vorsichtig, so hatte ich eine ganze Menge an Munition. Ein Bogen konnte ich mir selber bauen. Da ich überstürzt aufbrechen musste, hatte ich nicht alles bekommen, was ich eigentlich haben wollte. Eine Waffe hatte ich nicht und was viel wichtiger gewesen wäre, ein Kompass. Aber ich hatte nirgends so etwas gefunden. Ich wusste jetzt auch nicht, ob es zu dieser Zeit schon einen Kompass gab. Ja, etwas Magnetit und schon wäre ein Kompass eine Kleinigkeit. So blieb mir nichts anderes übrig, als in Küstennähe zu segeln.
Wenn mich meine grauen Zellen nicht im Stich ließen, mussten wir eine ganz schöne Strecke zurücklegen. An Afrikas Küste entlang und dann war die Frage, segelten wir quer durch bis Richtung Italien und dort Richtung Venedig? Anschließend müssten wir über die Berge Richtung Deutschland. Man könnte natürlich auch bis Gibraltar segeln, an Spanien, Portugal, Frankreich, Niederlande vorbei und endlich Deutschland erreichen. Die erste Route war wesentlich kürzer. Allerdings mussten wir dann wieder ein neues Fortbewegungsmittel finden.
„Du kannst herauskommen“, rief ich Rosa zu. Sie kam heraus und setzte sich neben mir ans Ruder.
„Das Schiff braucht einen Namen“, sagte sie.
„Wie wäre es mit „Good Hope“, antwortete ich. „Das heißt gute Hoffnung auf Deutsch.“
„Das klingt gut“, sagte Rosa. „So machen wir es.“
Wir hatten eine ordentliche Geschwindigkeit drauf und fuhren ungefähr 200 bis 300 Meter vom Ufer entlang.
Rosa schaute zurück und sagte: „Dort sind Schiffe hinter uns her.“ Ich schaute zurück. Die beiden großen Schiffe hatten alle Segel gesetzt, doch sie fielen langsam zurück. Gegen meine kleine Rennmaschine hatten sie einfach keine Chance.
„Mach dir keine Sorgen, bis heute Mittag, sind sie weit weg. Die können uns nicht einholen.“
Als ich das gesagt hatte, hatte ich das Gefühl, als wenn Rosa erleichtert war. Aber ich beachtete es nicht weiter. Ich straffte die Segel und das Schiff kam auf der einen Seite langsam aus dem Wasser, aber es war trotzdem gut ausbalanciert. So segelten wir Richtung Westen. Hoffte ich zumindest, da ich nur nach der Sonne gehen konnte.
„Wo kommst du eigentlich her und wie hat es dich nach Alexandria verschlagen?“, fragte Rosa.
Ja, ich hatte befürchtet, dass diese Frage kommen würde. Was sollte ich sagen? Das ich aus der Zukunft komme? Ich entschloss mich, noch nicht die Wahrheit zu sagen, sondern erzählte ihr die Geschichte, die ich bisher erzählt hatte. Nur schmückte ich sie ein bisschen mehr aus. Da ich meine Frau und Kind in Germanien verloren hatte, wollte ich eben in der Ferne mein Glück suchen, was aber nicht geklappt hätte. Deshalb wollte ich wieder zurück nach Germanien. Rosa schien die Geschichte zu glauben und mir machte es ein schlechtes Gewissen, sie so angelogen zu haben. Aber was blieb mir übrig?
Der Tag verging ereignislos. Am Strand sahen wir hin und wieder ein paar Ansiedlungen, ein paar Menschen, aber ansonsten nur Sand und das Wasser vor uns. Die Schiffe hinter uns waren verschwunden. Rosa hatte uns etwas zu essen gemacht und es war später Nachmittag, als ich mich entscheiden musste. Fuhren wir weiter, bestand die Gefahr, irgendwo gegen zu fahren. Ankerten wir, bestand die Gefahr von den Schiffen eingeholt zu werden, falls sie uns noch verfolgten. Es wurde sehr schnell dunkel, deshalb lenkte ich das Schiff näher ans Ufer, blieb aber noch weit genug davon entfernt. Der Ankerstein glitt ins Wasser und das Segel wurde eingeholt. Ich bereitete den Start für den nächsten Morgen vor. Alles sollte schnell gehen.
Читать дальше