Patrick setzte sich auf. »Zu Befehl euer Ehren! Kann ich sonst noch etwas für dich tun?«
Kai riss der Geduldsfaden. Er packte Patrick am Kragen und zog ihn auf die Füße. Dann zischte er ihn an. »Du hast genug für mich getan. Aber krieg dich jetzt endlich wieder ein. Wenn es dir hilft, ich fühle mich auch beschissen!«
Patrick hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit so einer Antwort. Doch so wie es aussah, war Kai dafür, ab jetzt mit offenem Visier zu kämpfen. Dann fiel ihm ein, dass der Kampf seit gestern beendet war. Er hatte ja zu Gunsten von Kai aufgegeben. Doch der fühlte sich anscheinend nicht als großer Sieger. Seine unausgesprochene Frage wurde prompt beantwortet.
»Du hast im Schlaf geredet.« Kai ließ Patrick los. Der Junge war wieder auf der Erde angekommen und verstand, was er sagte.
Doch auch er konnte Blicke deuten. »Keine Angst, ich werde ihr nichts von dem Ganzen erzählen.«
Patrick sah ihn an und quälte sich mühsam ein Lächeln ab. »Da wärst du auch ganz schön dumm!«
Kapitel 9
»Pinnacles im Sonnenuntergang!« Hetty lehnte sich seufzend in ihrem Queen Size Bett zurück. Es schien Ewigkeiten her, dass sie das letzte Mal durch diese wunderbare Ansammlung von Kalksteinen gegangen war.
»Na ja, so ungefähr vor sechs Monaten als Conny und dann noch ein Vierteljahr früher als Hetty.« Ihr Verstand hatte anscheinend gerade eine lang verschollene Ganglie ihres Langzeitgedächtnisses freigeschaufelt und protzte nun mit seinem Wissen.
Sie nickte. Ja, damals hatte sie davon geträumt, irgendwann einmal mit Kai dorthin zu fahren. Doch in der Zwischenzeit waren so viele einschneidende Dinge passiert, dass sie diesen Plan vollkommen aus ihrer Erinnerung gestrichen hatte.
Doch jetzt konnte sie endlich nachholen, was sie sich damals gewünscht hatte. Hetty lächelte in sich hinein. Was Kai wohl zu ihrem Vorschlag sagen würde, sie wollte mit einem Camper dorthin fahren?
Am Vormittag hatten sie darüber gesprochen, dass nun endlich die Möglichkeit da war, auf Reisen zu gehen. »Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um Westaustralien in Angriff zu nehmen. Momentan haben wir keine Sonderaufträge und mit Dolly ist jetzt glücklicherweise jemand auf der Farm, der sich um Simon kümmert, wenn Patrick nicht zur Verfügung steht. Also sollten wir uns so schnell es geht auf die Socken machen, bevor noch irgendetwas dazwischenkommt.«
Hetty nickte. »Hast du schon Ansprechpartner, die wir aufsuchen können?«
Kai runzelte die Stirn. »Oben bei Exmouth habe ich keine Probleme, da ist ja eine Militärbasis, aber im unteren Bereich kenne ich niemand Relevanten.«
Grinsend meinte Hetty. »Na, dann sollte ich wohl Wuffy anrufen!«
Der erstaunte Gesichtsausdruck von Kai war Gold wert. »Wer ist Wuffy?«
Lachend erklärte Hetty. »Winifred, der westaustralische Gouverneur. Das ist der Kosename, dem ihm seine Frau Geraldine gegeben hat. Ich habe dir doch erzählt, dass ich von ihnen erfahren habe, was mit meinem Camper passiert ist.«
Kai konnte ein Lächeln nicht zurückhalten. »Da war doch auch noch die Geschichte mit der Erpressung, oder?«
Hetty nickte und grinste in sich hinein, was Kai zu der Frage veranlasste. »Wie ich dich kenne, hast du dir den ganzen Film, den Conny gedreht hat, angesehen, oder?«
Hetty wirkte kein bisschen verlegen. »Na ja, ich musste schließlich erfahren, ob da noch irgendetwas Aussagefähiges kommt. Selbstverständlich habe ich behauptet, ich hätte nur den Anfang gesehen.«
Sie runzelte die Stirn. »Vermutlich ist kein Mensch auf der Welt begeistert, wenn er erfährt, dass es einen Film gibt, der ihn in voller Aktion mit allem drum und dran zeigt. Und noch weniger, wenn er weiß, dass man jedes Detail davon gesehen hat. Da ist es egal, ob man Gouverneur oder einfach nur Mister oder Misses XY ist, das ist für jeden peinlich und entwürdigend.«
Kai nickte. Conny hatte mit diesem Film das absolute Druckmittel in der Hand gehalten. Nur hatte sie leider das Pech gehabt, sich mit den falschen Leuten anzulegen. Denn die Frau des Gouverneurs stammte aus einer italienischen Familie und ihr Bruder hatte alles auf die Beine gebracht, was Autofahren konnte, um Conny dingfest zu machen. Natürlich war es an und für sich nicht seine Absicht gewesen, dass sie bei der Verfolgungsjagd tödlich verunglücken sollte, aber weder er, noch sonst jemand, hatte dieser Frau auch nur eine Träne nachgeweint.
Für Hetty waren die Folgen gravierender gewesen, denn Conny hatte beschlossen, sie und ihre deutsche Herkunft als neues Alias zu benutzen und damit das funktionierte, musste Hetty natürlich vorher von der Bildfläche verschwinden. Allerdings schaffte es auch nur die, soviel Glück zu haben, dass sie statt einem schön ausgestanzten Loch in der vorderen und hinteren Hirnhälfte, nur einen Streifschuss abkriegte. Das hatte zwar für eine viermonatige Amnesie gesorgt, aber inzwischen war alles wieder beim Alten.
Kai sah Hetty fragend an. »Hast du den beiden eigentlich schon Bescheid gegeben, dass du dein Gedächtnis wiederhast?«
Hetty schüttelte den Kopf. »Aber das gibt mir jetzt einen wunderbaren Vorwand, um mich bei ihnen zu melden.«
Was sich dann im ersten Moment, als gar nicht so einfach herausstellte. Denn selbstverständlich hatten die beiden eine Geheimnummer und Winifreds Sekretär stellte nicht einfach jemand Unbekannten zum Gouverneur durch. Der blockte gekonnt, aber rigoros ab und wenn man nicht die richtigen Schlüsselworte sagen konnte, dann fiel der Zettel, dass man angerufen hatte, so wie es aussah, vom Tisch aus direkt in den Papierkorb.
Kai hatte das Ganze stirnrunzelnd zur Kenntnis genommen und beim Abendessen erklärt. »Da muss ich morgen wohl mal an einigen Strippen ziehen, um die Nummer zu erfahren.«
Patrick fragte kurz nach. »Um was geht es denn? Du hast doch sonst Zugang zu allem und jeden?«
Nachdem ihm Kai den Sachverhalt erklärt hatte, nickte er und während die anderen nach dem Essen in der Bibliothek zusammensaßen, war er in einer Ecke mit seinem Laptop beschäftigt.
Eine halbe Stunde später stand er auf, kam zu der Sitzgruppe und reichte Kai einen Zettel, auf dem eine Telefonnummer stand. »Ich würde es mal da probieren!«
Mit einem leisen Schmunzeln nahm er dessen perplexe Miene zur Kenntnis. Tja, es war nicht sonderlich schwierig gewesen, das Telefonverzeichnis der Behörde zu knacken.
Kai hatte sich rasch wieder gefasst und machte in dem großen Buch über Patrick, das sich bereits im Speicherprogramm seines Gehirns befand, einen neuen Eintrag, während er sich bedankte. Dass der Junge ein richtiges Computergenie war, hatte ihm Hetty oft genug erklärt und er selbst auch schon festgestellt, aber nun hatte er zusätzlich die Bestätigung dafür bekommen, dass er sein Können, wenn es nötig war, auch jederzeit ohne sonderliche Skrupel einsetzte.
Während Hetty im Nebenraum telefonierte, stupste er Patrick an. »Ich weiß ja, dass man dich mit Geld nicht kaufen kann, aber wenn ich mal wieder in so einer Richtung deine Hilfe bräuchte, darf ich mich dann an dich wenden?«
Patrick stellte wieder einmal fest, dass Kai keinerlei Problem damit hatte, wenn ihm jemand bei etwas überlegen war. Er musste nicht überall der Beste sein, das hatte er gar nicht nötig. Es genügte ihm nur zu wissen, welches Rädchen er in Bewegung setzen musste, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Und soeben war auch er endgültig in den großen Bausatz mit eingegliedert worden.
Denn selbstverständlich konnte er auf diese Frage nur eine Antwort geben und die war. »Wenn du etwas von mir brauchst, musst du es nur sagen, ich bin immer für dich da.«
Kai musterte die blauen Augen, die momentan ohne versteckte Gefühle auf ihn gerichtet waren und einfach nur offen und ehrlich dreinsahen. Das hier war der eigentliche Patrick, zwar raffiniert und clever, aber trotzdem ein unwahrscheinlich liebenswerter Junge. Einer von der raren Sorte Menschen, auf die man sich im Notfall blind verlassen konnte. Jemand den man einfach gern haben musste, ob man wollte oder nicht.
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