2Die rosarote Stadt Petra war die Hauptstadt eines Königreiches, das im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung von den Nabatäern gegründet wurde. Vor langer Zeit Nomaden, später mit dem Ruf, Piraten gewesen zu sein, wurden die Nabatäer Händler und Kaufleute, die auf den alten Karawanenrouten, die China, Indien und Südarabien mit dem Nahen Osten, Griechenland und Rom verbanden, mit Weihrauch, Gewürzen und Seide handelten. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht erstreckte sich das Nabatäische Königreich bis über Damaskus, Nordarabien und Teile der Sinai- und Negevwüste.
Petras wachsender Einfluss und Wohlstand wurde dem Römischen Reich ein Dorn im Auge und im Jahre 106 n. Chr. annektierte Kaiser Trajan das Königreich der Nabatäer und integrierte es in die Römische Provinz Arabien, mit Petra und später Bosra (im heutigen Syrien) als Hauptstadt. Nachdem die Römer aber die alten Handelsrouten unter ihre Kontrolle gestellt hatten und mehr Karawanen über Bosra reisten, verfiel Petra langsam. Das Christentum breitete sich über das ganze Byzantinische Reich aus und erreichte im 4. Jahrhundert auch Petra. Nabatäer wurden getauft, Petra wurde der Sitz eines Bischofs und Kirchen wurden errichtet, gefolgt von Gräbern. Vor der Eroberung der Moslems im 7. Jahrhundert zerstörten diverse Erdbeben die meisten Bauten von Petra. Die Moslems fanden die Stadt bereits fast unbewohnt. Im Mittelalter brachten die Kreuzritter etwas Leben zurück und unter Balduin I. wurden 1116 zwei Schlösser gebaut.
Die lebhaften und präzisen Beschreibungen eines gewissen Sultan Baibar, der Petra 1276 auf seinem Weg von Kairo nach Kerak besuchte, erregten das Interesse eines jungen Schweizer Reisenden namens Johann Ludwig Burckhardt (1818-1897), der zum Islam übergetreten war. Er war der erste Westler in sechs Jahrhunderten, der Petra zu sehen bekam. Die Felsenstadt war von den Europäern vergessen worden. Sie war nur von einem Stamm Beduinen und ihren Tieren bewohnt. Auf seiner Reise von Damaskus nach Kairo, auf dem Weg zur Quelle des Flusses Niger, hörte er die Legenden der sagenumwobenen Ruinenstadt Petra und verkleidete sich als Araber, gab sich als Ibrahim ibn Abdallah aus und erklärte den im Wadi Musa lebenden Beduinen, dass er auf dem Berg mit dem Grab von Aaron eine Ziege opfern wolle. Am 22. August 1812 entdeckte er zwei Gräber und schrieb in sein Tagebuch, dass diese Ruinen sehr wahrscheinlich zur verlorenen Stadt Petra gehören…
Die Busfahrt von Aqaba nach Wadi Musa bei Petra dauert nur zwei Stunden. Wir lernen Marilyn kennen, eine 50-jährige Kanadierin, die in Saudi-Arabien in einem Militär-Camp arbeitet und Krankenschwestern ausbildet. Mit ihr teilen wir nun ein Dreierzimmer im Hotel Twaissi. Von unserer Dachterrasse aus haben wir einen grandiosen Ausblick auf diese wilde Landschaft mit vielen felsigen Bergen. Weil es schon Nachmittag ist, empfiehlt uns der Rezeptionist, zuerst nach «Little Petra» zu fahren, sozusagen als Einstieg.
Wir fahren mit Marilyn in einem Taxi zu dieser kleinen Schlucht, wo die Nabatäer vor bis zu 9000 Jahren schon Räume und Höhlen in die Felsen gehauen hatten. Erst viel später kamen römisch-griechische Einflüsse hinzu, die Wände wurden mit Stuck verputzt und zum Teil bemalt. Diese Felslandschaft ist unglaublich spektakulär, dazwischen grasen malerisch die Schafe und Ziegen des Beduinenstammes, der seine schwarzen langen Zelte vor dem Eingang der Schlucht aufgeschlagen hat. Die Beduinen sind sehr gastfreundlich und laden uns zum Tee ein. Aus der Hauptstadt Petra wurden sie vertrieben. Der Staat hat ihnen neue Wohnungen mit fliessendem Wasser und Elektrizität zur Verfügung gestellt.
Am folgenden Morgen stehen wir um sechs Uhr auf und machen uns auf den Weg zu einer der interessantesten und ältesten historischen Stätten der ganzen Welt. Am unteren Ende der neuen Stadt Wadi Musa stehen wir vor dem Eingang des Siq, der ungefähr einen Kilometer langen, zum Teil nur zwei Meter breiten, aber bis zu 200 Meter tiefen Schlucht. Sie bildet den einzigen Eingang in die ehemalige Hauptstadt der Nabatäer, die sich über ein riesiges Tal erstreckt, das von Felsen und Bergen eingerahmt ist. An der Felswand erkennen wir die Furche für das Wasser, das ausserhalb der Schlucht aus einem Fluss gezapft und in die Stadt geleitet werden musste. Weil es im alten Petra keine Wasserquellen gab, war es für die Römer auch einfach gewesen, Petra einzunehmen; sie haben den Nabatäern die Wasserzufuhr unterbrochen!
Die Pauschaltouristen steigen auf die bereitstehenden Pferde, wir gehen zu Fuss. Es ist äusserst spannend. Hinter jeder Kurve erwarten wir das Al-Khazneh, ein in die Felswand gehauenes Kunstwerk aus dem ersten Jahrhundert vor Christus, das das monumentale Grab für einen nabatäischen König, wahrscheinlich Aretas III., werden sollte und unzählige Touristenprospekte ziert. Endlich erreichen wir diese weltberühmte Fassade, die etwa 40 Meter hoch ist, und halten die Luft an. Mythologische Figuren und nabatäische Götter, verbunden mit dem Kult der Toten, ziehen uns in ihren Bann.
Beduinen wollen uns ihre Esel vermieten, aber wir lehnen dankend ab, weil wir zu Fuss gehen möchten. Wir sind in eine andere Welt gestossen. Wie muss sich wohl Burckhardt gefühlt haben, als er all dies entdeckte? Wir schlendern zum Amphitheater, das vor ungefähr 2000 Jahren, in der Regierungszeit von König Aretas IV., aus dem Felsen gehauen wurde und klettern auf den Ruinen herum. 40 Reihen konnten bis zu 8500 Zuschauern Platz bieten. Ich frage mich, wie wohl weibliche Hoheiten in sicher sehr eleganten Gewändern diese hohen Steinstufen rauf- und runtergekraxelt sind? Das Erdbeben von 336 hat das meiste zerstört und hinterliess ein riesiges Ruinenfeld. Dann steigen wir einen Berg hinauf und klettern über in Felsen gehauene Treppenstufen zu einem grossen Platz, der als bester noch erhaltener heiliger Opferplatz der altertümlichen Welt gilt. Wir befinden uns 1035 Meter über dem Meeresspiegel. Zwei sieben Meter hohe Steinobeliske repräsentieren Dushara und Al’ Uzza, die zwei wichtigsten nabatäischen Götter.
Als wir auf der anderen Seite wieder hinabklettern, kommen wir zum «Grab des römischen Soldaten», das nach dem Jahre 106 in die Felswand gemeisselt worden sein muss. Jetzt sehen wir das einzige freistehende Gebäude von Petra, das Quasr al-Bint , den Palast des Königs. Es sind jedoch nur Säulen erhalten geblieben. Auch die lange gerade Kolonnade ist von Säulen gesäumt. Zweitausend Jahre alte Säulen!
Hier haben die Beduinen grosse Zelte aufgestellt, um die zahlreichen Touristen zu bewirten. In der Nacht sind wir fast erfroren und weil es früh morgens immer noch sehr kalt war, haben wir uns dementsprechend warm angezogen. Jetzt scheint die Sonne wieder über dieser Wüstenstadt. Weil wir anstrengende Besichtigungstouren unternehmen, kommen wir ganz schön ins Schwitzen und geniessen die Annehmlichkeit der Getränkestände.
Es geht nun steil bergauf zum wohl allerschönsten Monument, dem Kloster Ad-Deir , Petras grösstem Monument mit einer 45 x 50 Meter grossen Fassade. Es war ein Tempel oder auch ein königliches Grab und sicher ein sehr wichtiges Pilgerziel. Seit dem 4. Jahrhundert wurde es während der christlich-byzantinischen Ära als Kloster bekannt. Hier auf dem höchsten Hügel haben sich zwei junge Beduinen in einer Höhle eingerichtet. Sie übernachten auf mitgebrachten Teppichen und verkaufen am Tag Getränke und Souvenirs an Touristen. Wir sitzen lange bei ihnen und plaudern, bevor wir uns wieder auf den Weg machen und zurück ins Hotel gehen. Wir waren mehr als 12 Stunden auf den Beinen und haben immer noch nicht alle Sehenswürdigkeiten von Petra gesehen!
Den Abend verbringen wir mit Marilyn im Ali Baba-Restaurant bei einheimischen Köstlichkeiten. In den Gasthäusern wird überall der Video «Jäger des verlorenen Schatzes» gezeigt, weil dieser Film zum Teil in Petra gedreht wurde. Ich bin sehr froh, dass die gesprächige Marilyn bei uns ist, denn Thomas ist sehr introvertiert und verschlossen. In Jordanien gibt es viel mehr Touristen, als ich mir vorgestellt habe. Es ist nicht mehr so ein «Geheimtipp». Jeden Abend sitze ich mit ein paar Gleichgesinnten aus Europa und Australien um den wärmespendenden Ofen und diskutiere. Es sind sehr interessante Leute dabei und ich lerne viel von ihnen. Ausserdem bekomme ich viele Tipps für die Länder, die ich noch vor mir habe.
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