Während dieser zu Boden stürzte, wirbelte Lucius schon herum, um den nächsten Angreifer abzuwehren – einen muskulösen Mann, der ihn um fast anderthalb Köpfe überragte. Lucius wollte ihn angreifen, doch er fand keine Lücke in dessen Deckung. Klirrend prallten ihre Klingen aufeinander, einmal, zweimal. Der Mann sprang auf ihn zu, mit erhobenem Schwert.
Lucius machte einen Schritt rückwärts, stolperte, als er gegen einen Körper stieß, der reglos am Boden lag. Er konnte sich nicht mehr halten! Einen Moment lang drehte sich die Welt taumelnd um ihn. Er stürzte zu Boden, umklammerte dabei sein Schwert. Bei den Göttern, er wollte nicht sterben! Nicht hier, im blutigen Staub. Er wollte sich aufrappeln, aber sein Gegner war direkt über ihm, hob schon das Schwert für den letzten Schlag, der sein Leben auslöschen würde.
„Gefangene hier rüber!”, brüllte jemand hinter ihnen. „Nur die Unverletzten!”
Der hochgewachsene Soldat trat ihm mit Wucht auf die Hand – ein jäher Schmerz, der ihm Tränen in die Augen trieb. Lucius ließ das Schwert los. Im nächsten Moment packte ihn der Mann am Arm und zog ihn auf die Beine. Lucius wollte sich aus dessen Griff winden, aber sein Gegner war stärker, zog ihn zwischen den Kämpfenden hindurch und hielt ihm dabei das Schwert an die Kehle.
Lucius gab die Gegenwehr auf, nicht nur die Klinge an seiner Kehle bedrohte ihn, er musste einem weiteren Schwert ausweichen, dann einer Streitaxt und immer wieder den durch die Luft wirbelnden Armen von Kämpfern auf beiden Seiten.
Weiter vorn, etwas abseits von den Kämpfenden, hinter einem schwankenden Banner des Kaisers ein Wagen, dessen Wände aus Holzgittern bestanden. Mehrere Rebellen und zwei Rebellinnen befanden sich darin, die Gesichter blut- und dreckverschmiert. Sie schrien, zerrten an den hölzernen Stäben des Wagens.
Der Soldat schleifte ihn dorthin und noch immer spürte Lucius das kalte Metall an seiner Kehle, von dem dieser grässliche Geruch nach Blut ausging. Sich losreißen? Nein – eine falsche Bewegung und der Soldat würde ihm den Hals aufschlitzen.
Mehrere Soldaten bewachten den Wagen, einer von ihnen musterte Lucius von Kopf bis Fuß. Dann nickte er knapp. Zu dritt öffneten diese Bastarde die Gittertür des Gefährts und stießen ihn hinein, ehe sie die Tür erneut schlossen und mit einer Kette sicherten.
Der Soldat, der ihn hergeschleift hatte, drehte sich um und verschwand zwischen den Kämpfenden. An den Wächtern des Wagens war mit Sicherheit kein Vorbeikommen. Am liebsten hätte Lucius vor Wut geschrien, doch aus seiner Kehle kam nur ein heiserer Laut. Einer der Rebellen im Wagen ließ sich an der Gitterwand herabgleiten und verbarg das Gesicht in den Händen. Die ältere der beiden Frauen machte es ihm nach, sie beugte sich über ihn, legte eine Hand tröstend um seine Schultern.
Was für ein Mist! Hier drinnen waren sie zwar vor den Kämpfen sicher, aber gefangen. Was hätte er dafür gegeben, weiter kämpfen zu können – auch wenn er damit sein Leben aufs Neue riskiert hätte. Immer wieder wurden weitere Gefangene herangeschleppt, Männer und Frauen, die allesamt entwaffnet worden waren. Schon bald war der Wagen so überfüllt, dass sich niemand mehr setzen konnte. Der Geruch nach Schweiß, Staub und Blut wurde übermächtig; in der Enge wurde es noch wärmer, als der Tag ohnehin schon war. Lucius stand mitten in dem Gedränge, ratschte sich die Haut am Arm an den Metallschuppen der Rüstung eines der Gefangenen auf. Ein flaues Gefühl erfüllte seinen Magen. Wo würden die Soldaten ihn und die anderen Gefangenen hinbringen?
II
Dieser Bastard drückte seinen Kopf wieder in das eiskalte, trübe Wasser. Severin fand kaum die Zeit, Luft zu holen. Verdammt, es reichte nicht! Schon nach kurzer Zeit brannte seine Lunge und der Drang, den Mund zu öffnen, wurde übermächtig. Er versuchte sich aus dem eisernen Griff zu befreien, der ihn festhielt, ihn weiter nach unten drückte. Vergeblich. In seinem Inneren brodelte die Wut, ohnmächtige, brennende Wut. Sein Kopf ruckte hin und her, es half alles nichts. Luft! Das Wasser drang ihm in Nase und Ohren.
Endlich, als schon die Todesangst mit ihren gierigen Klauen nach ihm griff und ihm war, als ob Eis durch seine bis eben noch brennenden Adern fließe, zog der Gefängnisscherge seinen Kopf mit einem groben Ruck aus dem Wasser.
Mit einem japsenden Laut sog Severin die ersehnte Luft in seine Lungen, während das Wasser über sein Gesicht lief, den Hals hinunter bis in den Kragen seiner Tunika.
Der bärtige Mann, der ihm gegenüber saß, lächelte maliziös, als ob er Gefallen an dieser grausigen Vorstellung fand. Er gab dem anderen ein Zeichen und dieser blieb schweigend neben Severin stehen.
„Also, was ist nun? Wo lagern die Rebellen ihre Waffen? Wirst du es uns endlich sagen? Und wo sammeln sie sich als nächstes und von wo wollen sie angreifen? Wer sind die Anführer? Rede endlich!”
Diese und noch mehr Fragen prasselten auf ihn ein. In Severins Geist blitzten Bilder auf von dem unterirdischen Versteck der Rebellen, so wie es ihm beschrieben worden war und er es sich vorstellte: Eine Höhle am Fuß des Gebirges im Norden, der Eingang so unscheinbar, dass er für eine einfache Felsspalte gehalten werden konnte. Dort lagerten sie einen ganzen Haufen Waffen und noch andere Gerätschaften. Oftmals diente die Höhle auch als Unterschlupf und Versammlungsort, denn in ihrem Inneren war sie ziemlich geräumig.
Vor seinem inneren Auge sah er auch die Gesichter mehrerer Anführer – tapfere Männer und Frauen, die kampferfahren waren und strategisch vorgingen. Einige von ihnen kannte er. Doch von dem Versteck in der Höhle hatte er nur aus zweiter Hand erfahren. Er selbst war nicht dort gewesen und auch der Weg war ihm nicht bekannt.
Severin schüttelte den Kopf. „Nein! Ich weiß das alles nicht!”
„Das ist eine Lüge, das möchte ich wetten. Aber wie du willst.”
Ein weiteres Zeichen an den Schergen neben ihm und die Folter begann aufs Neue. Er hätte nie gedacht, dass er das kühle Nass einmal so hassen würde. Dieser verdammte Kerker!
Später, als sie ihn zurück in die stinkende kleine Zelle brachten, deren Boden mit schimmelndem Stroh bedeckt war, lag dort eine Gestalt zusammengekrümmt in der Ecke. Bisher war Severin allein in der kleinen Zelle gewesen, mit einem weiteren Gefangenen hatte er nicht gerechnet.
Der Wächter schlug die schwere Tür zu und schob knirschend den Riegel vor. Das wenige Licht, welches durch das kleine vergitterte Fenster drang, reichte kaum aus, um die Zelle auszuleuchten. Vorsichtig näherte Severin sich dem am Boden liegenden Mann, der sich nicht rührte. Er trug Sandalen und eine helle, völlig verdreckte Tunika, die an den Ärmeln blutig war, dazu einen schlichten Stoffgürtel. Was hatten die mit ihm gemacht?
Vorsichtig drehte Severin ihn auf den Rücken, da riss der Mann die dunkelbraunen Augen auf und zuckte zurück.
Severin hob beschwichtigend die Hand. „Nur die Ruhe, ich werde dir nichts tun. Ich bin genau so gefangen wie du.”
Vorsichtig setzte sich der Andere auf. Severin betrachtete ihn genauer. Das Gesicht mit den dichten schwarzen Augenbrauen war von einem dunkleren Hautton als sein eigener und voller blauer Flecke, einer davon unter dem rechten Auge. Die Nase leicht schief; vielleicht eine alte Verletzung? An einem Unterarm hatte der Mann eine lange Narbe, die schon älter zu sein schien. Bartstoppeln bedeckten die untere Hälfte seines Gesichts. Bei dem kurzen schwarzen Haar war nicht recht zu erkennen, ob es einfach nur völlig zerzaust oder von Natur aus lockig war. Auf jede Fall war es ziemlich schmutzig. Darunter ragten Ohren hervor, die oben leicht spitz zuliefen.
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