„Komisch“, denke ich, „der sollte doch um 5.00 Uhr schon klingeln.“
Hier ist des Rätsels Lösung: Ich habe vergessen, meinen Wecker der einstündigen Zeitverschiebung anzupassen. Nun muss ich noch einmal anhalten, an beiden kleinen Lowrider-Packtaschen horchen, in welcher sich denn der Wecker befindet. Inzwischen klingelt er schon Sturm. Kurz darauf habe ich wütend das nervtötende und den ruhigen Morgen störende Geräusch abgestellt.
Der schlechte Straßenbelag, auf dem ich mich gestern schon vorankämpfte, setzt sich fort. Stellenweise muss ich sogar schieben. Ich fahre in bergigem Terrain. Für 40 km brauche ich 3 ½ Stunden, bin aber glücklich, die (70) wieder vor mir zu sehen.
Linkerhand liegt ein Anwesen von Apachen. Ist ja nicht weiter schlimm, wenn da nicht drei große und zwei kleine Hunde gewesen wären, die mich beißen wollten. Zum Glück ist schon eine Frau aufgestanden und zu sehen. Ich bitte sie, die Hunde doch zurückzurufen. Sie tut es auch. Aber drei entschwinden ihrer Gewalt und machen sich auf den Weg zu mir. Da erscheint glücklicherweise ein Mann mit einem großen und dicken Knüppel. Er ruft die Hunde zurück. Einer entzieht sich ihm und rast mit eingezogenem Schwanz vor mir über die Straße und nach rechts ins Gebüsch. Die anderen gehorchen und schleichen geduckt mit eingekniffenem Schwanz zurück auf das Grundstück und ins Haus.
Der schlechte Weg lässt keinen Geschwindigkeitsrausch aufkommen. Durch das dauernde Hoppeln mit dem schweren Gepäck auf dem Rad können evtl. die Laufräder Höhen- oder Seitenschläge bekommen und Speichen oder Schrauben brechen. Davon können höchstens Fahrradgeschäfte profitieren.
Über mir kreisen Geier. Aber bei mir hoffen sie vergebens.
Wie eine Erlösung kommt es mir vor, als meine Räder endlich auf dem heiß ersehnten, guten Straßenbelag der (70) dahinrollen. Trotz etwas Gegenwind kann ich schnell vorankommen und erreiche Bylas. Eigentlich möchte ich hier ein zweites Frühstück essen. Eine Gewürzgurke, Sprite und einen Kuchen verleibe ich mir ein. Was anderes gibt es hier nicht.
Mit diesem Geschäftsinhaber komme ich ins Gespräch. Er ist Apache. In fünf Tagen, so sagt er mir, findet in diesem Ort ein großes Apachen-Rodeo statt. Er erzählt mir auch ganz stolz, dass sein Stamm die alten Traditionen pflegt.
Während wir uns unterhalten, kommen weitere Apachen ins Geschäft, kaufen ein und gehen wieder. Den markanten Kopf des einen Indianers hätte ich gern fotografiert. Aber ich wage nicht, ihn danach zu fragen. Dem möchte ich nicht allein nachts begegnen! Ich verabschiede mich und radle weiter. Es fährt sich gut. Höhenmeter kommen kaum zusammen.
Da sehe ich rechterhand aus einem Nebenweg ein Sheriff-Auto kommen. Es fährt nicht auf dem Seitenweg bis auf die große Straße, sondern biegt auf den sehr breiten Grasstreifen in meine Richtung ab und bleibt stehen. Eine junge Frau in Sheriff-Garderobe steigt aus und gibt mir mit winkender Hand zu verstehen, dass ich zu ihr kommen soll. So halte ich an, bleibe stehen und sehe fragend zu ihr. Warum soll ich denn auf dem Gras fahren? Das ist mir unverständlich.
Sie kommt rasch zu mir und versucht, mich von der Straße die Böschung hinunterzuziehen. So schnell, wie sie das will, kann ich mein rechtes Bein nicht über die Stange zurückbekommen. Aber als ich nun endlich bei ihr unten bin, fragt sie mich, ob ich ein dunkelrotes und ein weiß-grünes Auto gesehen habe. Ich verneine und schaue sie mit großen und fragenden Augen an.
Da, plötzlich in diesem Augenblick, kommen von hinten Autos in großer Geschwindigkeit angebraust. Vorneweg ein dunkelrotes, kastenförmiges Kleinauto und dahinter drei Polizei-Autos mit Blaulicht und Martinshorn. Die Frau Sheriff zieht mich schnell noch weiter von der Straße weg. „Beeilen sie sich!“
Aus demselben Nebenweg, aus dem sie auch gekommen ist, erscheint noch ein Polizei-Auto. Der Sheriff lässt sich von ihr alles erklären und rast hinter den anderen hinterher Richtung Osten. Aus ihrem Handsprechgerät kommen Fragen und Anweisungen. Sie hört nicht weiter hin.
Eine Frage brennt auf meiner Zunge. Ich wage es, sie zu fragen: „Sitzt in dem dunkelroten Auto ein Gangster?“
Sie nickt zustimmend mit dem Kopf. Da erscheint von Westen noch ein Polizei-Auto mit Blaulicht und Martinshorn und rast hinter den anderen Autos hinterher.
Ich fragte sie: „Müssen sie nun auch noch hinterher fahren?“
„Nein“, sagt sie. „Bei mir liegt ein toter Mann.“
Ob er der Grund für die Verbrecherjagd ist? Ich weiß es nicht, sondern setze meine Fahrt Richtung Osten fort. Die Frau Sheriff gibt mir ihre besten Wünsche für eine sichere Fahrt mit.
Das war ja aufregend! Noch zweimal sausen Polizei-Autos an mir vorbei und den anderen hinterher.
So radle ich friedlich meines Weges und erreiche mittags Pima. Dort kaufe ich für den Abend und das Frühstück ein und esse den Inhalt von zwei kleinen Müsli-Päckchen, die ich mit einer Flasche Kakao vermische, auf. Es dauert nicht mehr lange, bis ich nach Safford einradle, wo ich mir vornehme, in einem Motel zu übernachten, um meine ganze schmutzige Wäsche zu waschen und mich ordentlich duschen zu können.
Das setze ich sofort in die Tat um. Bald ist alles gewaschen und aufgehängt, ich bin sauber geduscht und im Pyjama.
Morgenrot empfängt mich, als ich die Gardinen auseinander ziehe. Werde ich heute Regen bekommen? Dann möchte ich so früh wie möglich starten, um so weit wie möglich zu kommen.
Um 5.50 Uhr sitze ich am Frühstückstisch und starte um 6.10 Uhr bei Sonnenschein. Es ist nicht so warm wie an den Tagen vorher. So ziehe ich mir noch meine rote Windweste über. Los geht es. Es rollt auf der flachen Ebene gut.
In Salome will mich ein Hund beißen. Zu meinem Glück sehe ich, dass er angebunden ist. In San José werden alle Autofahrer mit Hilfe eines großen Plakats auf das Staatliche Gefängnis aufmerksam gemacht und dass hier niemand anhalten soll. Die Autofahrer dürfen keinen Anhalter mitnehmen.
Schleichen hier vielleicht entflohene Häftlinge herum? Also gebe ich Gas.
Langsam wird es etwas wellig. Und nach ca. 16 km teilt sich die Straße. Mir gehört die (191), auf der ich links gen Osten komme. Es überholt mich ein Auto und fährt vor mir rechts auf den Seitenstreifen. Niemand steigt aus. Das ist nicht normal. Ich mache, dass ich davon komme. Nach ca. 1 km sehe ich in meinem Rückspiegel, dass der Wagen noch immer dort steht.
Vor mir hat sich ein großer Gebirgszug erhoben. Dort hinüber geht mein Weg. Ich habe gut geschlafen und möchte möglichst schnell vorankommen. Eindrucksvolle Felsen stehen linkerhand, die Black Hills. Während meines langsamen Aufstiegs finde ich rechterhand wunderschön leuchtende orangefarbene und kleinblütige Orchideen am Straßenrand. Die nehme ich mit meiner Kamera auf.
Langsam aber sicher fahre ich den Berg Guthrie Peak mit 6.571 Fuß Höhe hinauf. Oben angekommen, erwartet mich eine Baustelle. Zum Glück brauche ich vor keiner Ampel zu warten. Der Verkehr wird davon nicht in Mitleidenschaft gezogen.
Herrlich rase ich nach Three Way in die Tiefe. Dort trinke ich eine große Flasche Sprite aus und kaufe für den Abend ein. Wo ich schlafen werde, ist noch nicht sicher. Eigentlich wollte ich in Three Way zelten. Aber meine Uhr zeigt erst 11.15 Uhr. So entschließe ich mich, über den nächsten hohen Gebirgszug zu radeln und evtl. oben auf dem Berg auf einem der zwei angegebenen Campingplätze zu schlafen.
Die Gegend rundherum ist vollkommen von der Sonne verbrannt und mit ihr auch ganz viele Kakteen. Es sieht traurig aus. Aber mein Blick gilt dem Gebirge vor mir. Zwischen welchen hohen Gebirgszinnen führt wohl mein Weg hinüber?
Langsam komme ich den ersten Absatz hinauf. Es ist Mittagszeit und ich hungrig und durstig. So setze ich mich rechterhand der großen Straße ins Gras, esse und trinke und schaue mir ehrfürchtig das Gebirgsmassiv an, dem ich jetzt die Zähne zeigen werde. Aber so richtig mit Zähne zeigen ist da nichts. Ich hoffe nur im Stillen, fahrend hinaufzukommen.
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