Sie schaut mich ernst an und meint: „Ich gebe dir einen Tipp, wie du günstig in einem Gebäude in der Nähe schlafen kannst. Rufe diese Nummer an und melde dich an.“
Ich rufe sofort an und buche mich telefonisch ein. Kurz darauf bin ich dort und lege mich sofort nach dem Duschen schlafen. Um 17.00 Uhr weckt mich mein Wecker. Fein angezogen schiebe ich mein Rad mit allen schmutzigen Sachen zum Waschautomaten. Es wird draußen schon wieder dunkel. Starker Wind ist aufgekommen. Wenn mein Trockner fertig ist, gehe ich noch einmal zum Einkaufen und werde zu Abend eine Pizza essen.
Um 4.00 Uhr ruft mich mein Wecker aus tiefstem Schlaf. Ich stehe gut erholt auf. Für das Frühstück habe ich vorgesorgt.
Um 5.00 Uhr verlasse ich das schöne Motelzimmer. Draußen herrschen schon gute Sichtverhältnisse. So nehme ich die (98) Ost unter die Räder. Allerhand Trucks fahren mit großem Lärm an mir vorbei. Aber die Straße ist für uns alle breit genug. Mir kommt keiner zu nahe. Bald geht golden die Sonne auf. Bei dieser angenehm kühlen Temperatur radelt es sich gut. Ich bin wieder Winter mäßig angezogen. Der eisige Westwind kann nun nicht mehr durch meine gelbe Regenjacke pfeifen. Durch den Schiebewind komme ich ganz gut voran. Das Gelände ist platt. Rechts und links wachsen nur Wüsten-Pflanzen.
Aufgrund des eisigen Winters konnte ich ja vor meiner Reise nicht trainieren. In meinen Packtaschen befinden sich aber naturreine Vitamin- und Mineralstoff Preßlinge. Sie helfen meinen Muskeln, sich schneller wieder aufzubauen. Das anfangs schwabbelige Gefühl an meinen Ober- und Unterschenkeln verliert sich. Das lose Fleisch wird in festes – sprich: Muskeln – umgewandelt.
Nun ist dieses störende Gefühl schon verschwunden. Auch meine Armlinge rutschten anfangs schnell hinunter. Aufgrund der wieder stramm werdenden Armmuskeln bleiben sie nun schön oben sitzen.
Gestern wurde ich in der Bibliothek vor den amerikanischen Buggy-Fahrern gewarnt, die bei Glamis in den Dünen fahren wollen und an diesem Tag scharenweise an mir vorbei brausen würden.
Ich bin innerlich darauf eingestellt. Um 6.30 Uhr kommt das erste Auto mit aufgeladenem Buggy an mir vorüber. Zu dieser Zeit befinde ich mich schon in den ersten Randausläufern der noch kommenden Dünenkette. Kleine Blumen streuen bunte Flocken auf den gelben Wüstensand. Ab 7.00 Uhr werden es mehr Autos, die an mir vorbei rasen. Keins kommt mir irgendwie zu nahe. Alle wechseln gleich rüber auf die linke Spur.
Und dann sehe ich die Dünen, auf die ich schon sehnlichst gewartet habe. Die ersten Buggy-Fahrer rasen gleich Hornissen in hoher Geschwindigkeit die Dünen hinauf und hinunter und verbreiteten dabei einen Höllenlärm. – Nichts für mich!
In Glamis kann ich frühstücken. Gerade kommt ein Krankentransporter und holt einen Verunglückten ab. Ein großer weißer Verband ziert seine Stirn. Er liegt auf einer Trage.
Nach einer halben Stunde sitze ich wieder auf meinem Rad. Zuhause habe ich mir 139 km für diese Tagesetappe ausgerechnet. Deshalb bin ich so früh gestartet. Ich möchte noch bei Helligkeit in Palo Verde ankommen.
Hinter Glamis nehmen die Dünen bald wieder ab. Wüsten und Berge bilden meine Kulisse. Im Hintergrund stehen die Chocolate Mountains. Der Name kommt von ihrer Schokoladen-braunen Farbe. Bald tauchen neue Blumen auf. Ein rot blühender und später ein gelb blühender Kaktus müssen unbedingt aufgenommen werden. Später kommen noch andere blühende Sträucher hinzu.
Und dann erreiche ich die „Dips“: Wie in dem Ozark-Gebirge geht es ganz schön steil hoch und runter. Solche Abschnitte dauern so zwischen fünf und zehn Kilometern und wiederholen sich bis Palo Verde. Spaß bringt es mir nicht. Ich kann es leider nicht umgehen. Und außerdem schaffe ich diese ekligen Herausforderungen sehr gut.
Ca. 20 km vor meinem Tagesziel müssen alle Fahrzeuge – auch ich – zur Passkontrolle von Kalifornien. Ganz in der Nähe verläuft nämlich die Grenze zu Mexiko. Polizei-Autos mit der Aufschrift Highway Patrol fahren in großen Abständen hin und her. Wenn sie an mir vorüber oder mir entgegen kommen, winken und lächeln die Polizisten. Mir kann überhaupt nicht passieren.
Meine Unterlagen machen mich auf den Colorado-River aufmerksam. Er fließt in kurzer Entfernung am Highway vorbei. Ab hier gibt es schöne Gemüsefelder, Bewässerungsanlagen und –gräben. Hier können die Farmer gute Ernten erzielen. An einem sehr einfachen Rastplatz, dicht an einem Feuchtbiotop gelegen, genehmige ich mir eine Ruhe- und Essenspause. Meine Beine und mein Magen sind mir dafür sehr dankbar.
Lange dauert es nicht mehr, bis ich Palo Verde erreiche. Nach 113 km bin ich schon um 14.00 Uhr an meinem Ziel. Hier zelte ich als Einzige auf einem privaten Campingplatz. Als Abendessen öffne ich eine Dose mit spanischem Reis.
Ich bin schon um 17.00 Uhr fertig. Eine kleine Katze kommt an mein Zelt. Als Schattenbild verfolge ich sie. Denn hinter ihr geht die Sonne gerade unter. Kurz darauf lege ich mich schon schlafen. Die Sonne brennt noch auf meine Zeltvorderseite. Trotz der geöffneten Lüftungsfenster ist es innen doch recht warm.
Was für ein Glück, dass ich im Flugzeug nach San Diego eine Augenmaske erhielt. Die muss ich mir zum Schlafen vor die Augen binden, weil das Licht vom Office den ganzen Zeltplatz in Helligkeit versetzt. Und das die ganze Nacht! Der Untergrund besteht aus geschreddertem Klein- und Kleinstholz, ist aber schon ordentlich abgebraucht.
Beim Abbauen meines Zeltes sehe ich, dass kein Stöckchen durch die Unterlage gekommen ist. Welch ein Glück! Um 6.30 Uhr starte ich bei Sonnenschein und ohne Wind! Es macht den Anschein, dass es heute noch recht warm werden wird! Es ist der erste Tag, an dem ich in etwas dünnerer Garderobe losfahre.
Nach höchstens 3 km überquere ich eine Brücke. Fröhliches und lautes Gezwitscher dringt an mein Ohr. Rechterhand sehe ich beim Überqueren der Brücke viele schwarze Vögel mit einer goldfarbenen Brust und je einem größeren weißen Fleck auf der Oberseite der Flügel. Sie sitzen in Büschen oder an Reethalmen des Flusses. Die Vögel haben die Größe unseres Eichelhähers. Hoffentlich ist davon ein Foto etwas geworden. Ich komme einfach nicht dicht genug an sie ran. Sie sind sehr hübsch.
Und dann sehe ich in meinem Rückspiegel einen Fahrradfahrer ohne Packtaschen in gelb-schwarzer Garderobe kommen. Wer fährt hier hinter mir her? Ich kann nicht so schnell fahren wie er, gebe aber ordentlich „Gas“. Aus unverständlichem Grund steigt in mir Angst auf. Ein Fahrradfahrer mit vielen Packtaschen wäre mir sehr sympathisch gewesen. Aber dieser?
Glücklicherweise ist das Gelände flach. Ich sause so schnell ich kann dahin. Aber mehr als 26 km/h geben meine Beine nicht her. Der Abstand bleibt. Es werden ca. 4-5 km. Langsam werden meine Beine müde. Der Fahrradfahrer bleibt in ca. 200 m Entfernung immer hinter mir.
Dann sehe ich rechterhand vor mir ein Anwesen, hinter dem glücklicherweise eine Nebenstraße abzweigt. Ich halte rechts den Arm raus und biege ab. Nach ca. 50 m bleibe ich stehen und schaue in meinen Rückspiegel. Der andere Fahrradfahrer fährt weiter, ohne sich nach mir umzudrehen. So drehe ich mich um. Und was sehe ich? Es handelt sich um einen Rennfahrer auf Tagesfahrt mit einem Camelback als Trinkwasserspeicher auf dem Rücken.
„Na, wenn der es gewollt hätte, hätte er mich gleich ein- und überholen können. Aber er wollte heute wohl eine große Schleife fahren.“
Nun ist mir wieder wohler. Mein rasender Puls beruhigt sich langsam. So radle ich weiter und erreiche Ripley, wo ich mir im Geschäft ein einfaches Frühstück kaufe, es draußen an einem Tisch aufesse und mir noch einige Lebensmittel für den Tag und den Abend hole. Mit glücklich vollem Bauch und dem Wissen, dass mir heute nichts mehr passieren kann, setze ich meine Fahrt fort.
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