Zurück in der Stadt kaufe ich mir in einem Geschäft noch passende Abendgarderobe für unterwegs. John begutachtet alles und sucht für mich aus. Ich bezahle. Dann rollen wir auf unseren Rädern weiter durch die Straßen.
John hat schon vor vielen Jahren die jetzt vor mir stehende USA-Durchquerung gefahren. Deshalb kennt er den Startpunkt und radelt mit mir dorthin. Er fährt mit mir auch noch die ersten Kilometer auf dem Fahrradweg, der mich morgen gen Osten bringen wird. Vor der Herberge trennen wir uns beide und verabreden uns zu einem gemeinsamen Abendessen.
Aufgrund der großen Hitze öffne ich in meinem Zimmer die Fenster. Die Jalousien sind heruntergezogen. Fliegengitter schützen vor Ungeziefer. Die Sonne steht auf dieser Seite. Ich möchte etwas vorschlafen und lege ich mich bei großer Hitze hin.
Um 18.00 Uhr reißt mich mein Wecker aus tiefstem Schlaf. In einer halben Stunde will mich John mit dem Auto abholen. In Windeseile dusche ich, ziehe mich um und stehe kurz darauf freudig wartend vor der Herbergstür.
Pünktlich fährt John vor, nimmt mich lächelnd in Empfang und fährt mit mir zu einem in der Nähe liegenden Italienischen Restaurant. Er meint, dass ich mich darin mehr Zuhause fühle als in einem amerikanischen. Er denkt auch an alles!
Nach unserem Abschiedsessen bringt er mich wieder zurück zur Herberge. Er weiß, dass ich morgen einen schweren Tag vor mir habe und meinen Schlaf brauche. Auch hat sich mein Körper noch nicht an die neunstündige Zeitverschiebung gewöhnt. Ich bin ihm dafür sehr dankbar. Ein letztes Winken dem enteilenden Freund nach – und ich bin wieder allein.
In aller Frühe stehe ich auf. Als Frühstück esse ich Blaubeeren, Bananen und den Saft einer riesigen Kokosnuss. Kurz nach 7.00 Uhr verlasse ich mit dem bepackten Fahrrad die Herberge. Am Startpunkt Ocean Beach Park habe ich Probleme, mein schweres Rad durch den weichen Sand zum Wassersaum zu schieben. Leichte Pazifik-Wellen rollen auf den weißen Sandstrand. Mein Startfoto steht an. Eine junge Frau nimmt mich mit meiner Kamera auf, während ich mit dem Hinterrad leicht in den anrollenden Wellen stehe. Gerade, als sie fertig ist, überspült mich eine hohe Welle bis zu den Knien und jagt mir einen gehörigen Schrecken ein. Während ich mein Fahrrad wieder zum Deich zurückschiebe, klebt der Sand an meinen nassen Laufrädern und verstopft die Bremsen.
Mit völlig nassen Füßen radle ich um 8.00 Uhr bei Sonnenschein, etwas kühler Luft und herrlichem Rückenwind abseits des Autoverkehrs auf dem mir von John gezeigten Fahrradweg parallel zum San Diego River Floodway gen Osten. So fahre ich auf nun schon vertrautem Weg an dem Naturschutz-Feuchtgebiet mit den vielen Wasser- und Watvögeln friedlich dahin. Eine Schlange sonnt sich mitten auf dem Teerweg und lässt mich an sich vorbei fahren. Ich halte und nehme sie aus respektvoller Entfernung auf. Es ist meines Erachtens so etwas wie eine Ringelnatter.
Da ich in diesem Jahr aufgrund der vier Schnee- und Eismonate nicht trainieren konnte, muss ich mich heute an mein schwer bepacktes Rad gewöhnen und alles gut auspendeln.
Nach längerer Zeit bringt mich mein Fahrradweg an die Friars Rd., die glücklicherweise einen Radfahrerstreifen aufweist. Der Straßenbelag ist gut. Meine Postkarten an mein zu Hause gebliebenes Kläuschen kann ich in einem Postkasten versenken. Leider kann ich noch immer nicht telefonieren. Aber irgendwann kriege ich das auch noch raus.
Nach 33 km beginnt sacht die Steigung auf die Rocky Mountains. Es fährt sich sehr gut. Mein Weg führt mich linkerhand auf dem Father Junipero Serra Trail in den Missions Trails Regional Park. Allerhand Wanderer sind darauf unterwegs. Eine kleine Rennfahrer-Gruppe kommt mir entgegen. Links neben mir fließt weit tief unten der San Diego River. Ich befinde mich jetzt schon auf einiger Höhe zwischen den Bergen.
Während ich durch Alpine radle, halte ich an, setze mich in ein spanisches Restaurant und lasse mir etwas zum Essen bringen. Meine Beine schreien nach einer Ruhepause. Und weiter geht es auf erheblich steilerer Straße. In einer steilen Rechtskurve stürze ich fast, weil ich noch zu schwach bin. So schiebe ich einige Zeit bergauf, steige wieder auf und kämpfe mich langsam weiter bergauf. Da passiert es. Im rechten Oberschenkel bekomme ich sehr schmerzhafte Krämpfe. Ich muss absteigen und schieben. Ohne Training solch ein bepacktes Rad die Berge hinaufzufahren, ist tatsächlich eine Zumutung für meinen Körper.
Ich sehne mich nach meinem Campingplatz. Um 16.30 Uhr sehe ich ihn linkerhand. Und um 17.00 Uhr stehe ich in der Anmeldung und erhalte meinen Zeltplatz. Mein Appetit ist mir vergangen.
Mein neues Zelt aufzustellen, bringt so einige neue Erfahrungen mit sich. Aber dann steht es und meine Packtaschen finden sogar auch noch darin Platz.
Als ich mich in meinen neuen schönen Daunenschlafsack setze, die Socken aber nicht ausziehe, bekomme ich sofort kalte Füße. Und sie werden einfach nicht warm. Da dämmert es mir: Ob wohl die Socken bis hierher noch immer nass sind? Und tatsächlich nicht nur nass, sondern auch noch kalt. Mit trockenen Socken habe ich bald kuschelig warme Füße.
Während in meiner Nähe die Frösche um die Wette quaken, sitze ich nun hier in meinen schönen und warmen Schlafsack eingewickelt und möchte nun schlafen. Hoffentlich haben sich meine Beine morgen erholt und tun die Arbeit, die ich von ihnen verlange.
Horror-Fahrt in den Rocky Mountains
Als ich um 6.00 Uhr aufwache, sind meine Zeltwände von innen nass. Ich habe gestern Abend vergessen, die Lüftungsfenster zu öffnen. Als ich mich duschen will, funktioniert die Dusche nicht. Es gibt auch keinen Strom, aber fließendes Wasser und eine ganz brauchbare Toilette. Erst um 8.00 Uhr bin ich mit Frühstücken im Zelt und dem Abbauen und Bepacken meines Rades fertig. Draußen ist es kalt und feucht. Ich habe mir meine wärmsten Wintersachen angezogen. Die Regenjacke schützt über dem neuen, dicken Fließpullover gegen kalten Luftdurchzug.
So fahre ich vom Indianer-Campingplatz. Den Beinen habe ich morgens ordentlich gut zugeredet und ihnen gesagt, dass Krämpfe nichts nützen. Gefahren wird trotzdem, basta! Zuerst geht es noch einige Zeit aufwärts. Links finde ich ein Restaurant, in dem ich ein kalifornisches Omelett und Bratkartoffeln mit Begeisterung verdrücke.
Weiter geht es aufwärts. Aber irgendwann habe ich den höchsten Punkt erreicht und kann nach Pine Valley hinunterrollen. Gleich am Anfang des Ortes sehe ich links eine Bibliothek. Ich halte an, gehe hinein und darf am PC meine Emails aufrufen und beantworten.
Glücklich radle ich weiter und wieder bergauf. Das wiederholt sich noch einige Male. Die Abfahrten werden aber immer länger. Der Rückenwind von gestern bleibt mir treu und wird sogar noch stärker und angenehmer. Plötzlich rast bellend ein weißer Hund auf mich zu. Mit meinem Pfefferspray kann ich ihn schnell wieder vertreiben. Mir zittern alle Glieder, als ich meine Fahrt fortsetze. Diese beißenden Biester!
In Jacumba setze ich mich zum zweiten Mal in ein Restaurant und lasse mir Tomaten- und Putenscheiben mit gemischtem Gemüse vorsetzen. In dieser Gaststätte werde ich sehr eindringlich vor der Passabfahrt gewarnt, weil sich der Wind bald in Sturm wandeln wird und die Abfahrt 6% Gefälle aufweist. Da der Wind von hinten kommt und ich bergab fahren darf, denke ich nur, dass ein Sturm sogar noch besser ist. Dann werde ich noch schneller hinunter und an mein heutiges Ziel kommen.
Sehr gut gesättigt, steige ich ganz fröhlich wieder auf mein voll bepacktes Rad und setze meinen Weg fort. Diese Straße führt parallel zur mexikanischen Grenze gen Osten. Aber von einer Grenze ist überhaupt nichts zu sehen. Polizisten patrouillieren in ihren Autos hin und her. Sie winken und lächeln mir zu. Ich kann es gar nicht erwarten, zur Interstate zu kommen, auf der ich ja meine Zu-Tal-Fahrt genießen möchte.
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