»Sie waren am Wochenende dort zum Spielen verabredet?«
»Ja. Am Sonnabend habe ich mich mit einem Bekannten zum Billardspielen verabredet.«
»Mit einem Bekannten?«
»Mit einem sehr langjährigen Bekannten. Heinz Scholz ist Drechsler. Er stellt auch die Queues her, mit denen die Kugeln gestoßen werden. Wir kennen uns schon seit der Schulzeit.«
»Spielen Sie beide allein?«
Die Frau kam zur Tür herein. Sie trug ein Tablett mit zwei Tassen, einer Kanne und einer Zuckerdose, die sie vor den Männern auf den Tisch stellte. »Kann ich sonst noch etwas bringen?«
»Nein danke, Ruth.« Sie ging wieder hinaus, und der Mann goss umständlich den Tee in die Tassen. Barnaby Kern bedankte sich und nahm zwei Stücke des braunen Kandiszuckers, die er vorsichtig in seine Tasse gleiten ließ.
»Sie fragten, ob wir allein spielten?«
»Ja.«
»Es ist so, dass wir natürlich über die Jahre einige Leute ken-nen gelernt haben, die das eine oder andere Mal mitspielen wollten.«
»Wie war es am Sonnabend. Haben Sie da allein gespielt?«
Blaschke dachte einige Sekunden nach. Dann sagte er: »Am Sonnabend haben wir relativ lange gespielt. Ich bin erst nachts um zwölf dort weggegangen. Die Spieler haben mehrfach gewechselt.«
»Hat ein Thomas Vester mit Ihnen gespielt?«
»Thomas Vester? Ja, der war eine ganze Zeit da und hat auch mit uns gespielt.«
»Woher kennen Sie den Mann?«
»Es war Zufall. Er kam einige Male in die Krone zum Spielen. Irgendwann fragte er, ob er mit uns spielen könne, und wir hatten nichts dagegen. Dann kamen wir ins Gespräch, und er erzählte, dass er im Künstlerhaus in Loschwitz wohne.« Blaschke machte eine kleine Pause, nahm einen Schluck Tee, bevor er fortfuhr: »Als ich erfuhr, dass er in diesem Haus wohnte, wurde ich neugierig.«
»Was hat Sie denn so daran interessiert?«
»In diesem Haus wohnt ein Onkel von mir. Er war mit der Schwester meiner Mutter verheiratet. Die Ehe ging in den Nachkriegswirren auseinander, und wir verloren uns aus den Augen, obwohl wir nur einige Kilometer voneinander entfernt wohnten. Offensichtlich ist er nicht der Mensch, der einer angeheirateten Familie nachtrauert.«
»Und Vester kannte diesen Onkel«, sagte Kern.
Blaschke lachte. »Schlimmer, er ist der Sohn seiner zweiten Frau.«
»Helmut Müller-Karsten.”
»Genau. Wie kommen Sie darauf, Herr Hauptkommissar?«
»Müller-Karsten ist verstorben.«
»Das ist der Lauf der Dinge. Er war ja auch schon über siebzig Jahre alt. Und was hat Thomas Vester mit dem Tod seines Stiefvaters zu tun?«
»Um es gleich vorwegzusagen: Helmut Müller-Karsten ist eines natürlichen Todes gestorben. In seinem Atelier allerdings hat irgendwer gewütet.«
»Ein Einbruch?«
Kern schüttelte den Kopf. »Kein Einbruch. Die Spurensicherung hat keinen Hinweis darauf gefunden.«
»Sie haben Thomas in Verdacht?«
»Na ja, wir können das nicht ausschließen. Ein Bild wurde zerstört und ein Druckstein.«
»Ich weiß nicht. Warum sollte er das tun? Wenn Helmut Müller-Karsten verstorben ist, wird er ohnehin einen gewissen Teil erben. Schließlich leben sie seit Jahren schon zusammen.«
»Einen Teil?«
»Na ja, der Sohn meiner Tante ist in jedem Fall auch erbberechtigt.«
»Ich weiß. Das geht alles seinen Gang. Der ist verständigt. Wie lange war Vester denn am Sonnabend mit Ihnen zusammen?«
»Ich weiß das nicht genau. Er kam mit Martin.«
»Sie kennen Martin Hild?«
»Kennen ist zu viel gesagt. Eine Kneipenbekanntschaft, und über die ging es nicht hinaus. Das trifft übrigens für Thomas Vester natürlich auch zu.«
»Denken Sie bitte noch einmal nach!«
»Ich würde sagen, er kam gegen neun und ging kurz vor mir.«
Barnaby Kern machte sich ein paar Notizen. Den Einbruch bei Falconettis ließ er unerwähnt. Dann bedankte er sich für den Tee und die Auskünfte, übergab Blaschke noch eine Visitenkarte von sich mit der Bitte, ihn anzurufen, wenn ihm noch etwas einfallen sollte, und verabschiedete sich.
Auf dem Weg zurück zum Präsidium in die Schießgasse über-fiel ihn wieder dieses mörderische Sodbrennen, und er verfluchte, sich so schamlos an dem braunen Kandis bedient zu haben. Zu viel Fett, zu viel Zucker und zu viel Kaffee. Der Magen rebellierte. Kleine Sünden, dachte er, bestraft der liebe Gott eben sofort.
Im Präsidium suchte er sofort Lenz auf und berichtete ihm, was er in Erfahrung gebracht hatte. »Du kannst denken, was du willst. Ich habe das Gefühl, dass uns dieser kleine, schmierige Fünfziger mächtig an der Nase her anführt«, sagte Kern.
»Wirst du Moebus sagen, dass du mit diesem Blaschke gesprochen hast und in der Gaststätte Krone warst? Schließlich mischst du dich in seinen Fall ein. Das könnte Ärger geben.«
»Ja, das könnte es.« Barnaby Kern stand auf. »Ich werde es gleich machen, damit es nicht von hinten an ihn herangetragen wird.«
Er traf Hauptkommissar Günter Moebus in seinem Dienstzimmer in einer Besprechung mit den Kommissaren Leistner und Carmen Jacobi. »Ich will dich nicht stören, Günter, aber ich habe mit dir etwas zu besprechen.«
»Komm doch rein!«
»Nein, nein. Unter vier Augen.«
Moebus erhob sich demonstrativ und sagte: »Wir sind ohnehin fertig.« Carmen Jacobi und Fritz Leistner standen auf. Die Frau nickte Kern noch einmal zu und lächelte. Dann gingen sie aus dem Zimmer.
»Hast du ihn geknackt?«, fragte Barnaby Kern, als die beiden Kommissare gegangen waren.
»Nein. Ich musste ihn laufen lassen. Das Alibi scheint wasserdicht zu sein. Wir prüfen noch.«
»Ich will mich nicht in deinen Fall einmischen, Günter«, sagte Kern. »Aber ich werde das Gefühl nicht los, dass mit diesem Kerl etwas nicht stimmt. Er ist schmierig in seinem Aussehen und aalglatt in seinen Antworten. Er versucht, mit uns zu spielen.«
»Das tut er wohl. Und er ist recht erfolgreich.”
»Ich war vorhin draußen bei der Kneipe in Blasewitz, die Vester genannt hat, und habe anschließend mit einem ehemaligen Anwalt gesprochen, der ganz in der Nähe wohnt.«
Moebus atmete schwer durch. Es war ihm anzumerken, dass ihm das nicht passte. Er kannte Kern schon seit vielen Jahren. Sie waren zwar nicht befreundet, schätzten sich aber gegenseitig. Deshalb sagte er wohl nichts.
»Ich sage dir das, weil ich keinen Streit zwischen uns will. Andererseits möchte ich mir doch gern ein Bild von dem Mann machen.«
»Warum?«
»Weil man immer etwas dazulernen kann. Ich habe schon allerlei erlebt und dachte, es könne mich nichts mehr überraschen. Betrüger, Päderasten, Mörder, Zuhälter und Geldwäscher. Alle haben versucht, mich aufs Kreuz zu legen. Und keinem ist es letztlich gelungen. Thomas Vester ist von einer Schmierigkeit, die ich sonst nur bei Politikern kennengelernt habe.«
»Na, na …«
»Dass du ihn laufen lassen musstest, ist der beste Beweis da-für.«
Als sie sich trennten, war für Kern klar, dass er sich künftig aus den Ermittlungen zu Vester heraushalten würde. Auf dem Weg erinnerte er sich an den Rat eines jüngeren Kollegen. Sie hatten sich vor zwei Jahren in Berlin getroffen, wo Barnaby Kern Gastvorlesungen an der Freien Universität gab. Lasse Larsson war Mitglied der siebten der acht Berliner Mordkommissionen, und der gab ihm bei einem Arbeitsessen einen Geheimtipp. »Ich lege für jeden Fall ein Piktogramm an. Andere nehmen eine große Tafel, auf der sie Verbindungen anlegen. Der Vorteil von den Piktogrammen ist, dass du erst einmal in aller Ruhe die Verbindungen der einzelnen Personen des Falles anlegen kannst, und mit jedem weiteren Tag, mit jeder weiteren Person kannst du das Piktogramm erweitern. Wenn du die Verbindungen mit Linien herstellst, bilden sich schnell die Handlungsabläufe heraus.«
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