Reden wir zuletzt noch einmal über die Finanzen, auch wenn der durchschnittliche Luxemburger das sonst nicht tut. Er hat sie einfach und denkt sich, dass er ja auch ordentlich was dafür tut. Schließlich ist das luxemburgische Bruttoinlandsprodukt, gleich nach dem BIP der Fürstentümer Liechtenstein und Monaco, das höchste weltweit.
Eine nicht unwesentliche Rolle für den Wohlstand der Luxemburger ist die Attraktivität ihres Landes für Investmentfonds. So hatten 2010 mehr als 3500 derartiger Fonds ihren Geschäftssitz in Luxemburg. Mit einem Anlagevolumen von mehr als 2 Billionen Euro ist Luxemburg der größte Fondsstandort Europas und der zweitgrößte weltweit (hinter den USA). Zum Thema „Steueroasen“ komme ich bald. Zunächst aber führt mich meine Reise vom souveränen Kleinstaat Luxemburg in die Mikronation Saugeais.
Mikronation? Sie wissen doch, was eine solche ist, oder? Wenn nicht, dann hier die Definition aus Wikipedia: „Als Mikronation, Fantasiestaat oder Scheinstaat werden Gebilde bezeichnet, die wie eigenständige souveräne Staaten auftreten und den Anschein erwecken, mit staatlicher Autorität zu handeln, obwohl bei ihnen Eigenschaften fehlen oder wenigstens stark umstritten sind, welche einen Staat nach Völkerrecht ausmachen.“
Vive la République du Saugeais!
„Mme la Présidente sera heureuse de vous recevoir et de vous accompagner ensuite en République du Saugeais. Avec nos remerciements et nos sincères salutations, …“ Was für eine Ehre, ich habe somit die schriftliche Zusage, von Georgette Bertin-Pourchet, Präsidentin der freien Republik Saugeais, empfangen zu werden und in ihrer Begleitung die Republik zu besichtigen. Ich möge bitte um 14.00 Uhr zum Haus der Präsidentin kommen, Mme la Présidente und eine Dolmetscherin würden mich dort erwarten.
Als ich mich um 5 vor 2 dem Haus der Präsidentin am Stadtrand von Pontarlier im französischen Département du Doubs zu Fuß nähere, steht Mme la Présidente bereits auf dem Balkon ihres Hauses und erwartet mich. Kerzengerade steht sie dort und weist mir mit einer einladenden Geste den Weg zur Eingangstür. „Herzlich willkommen, kommen Sie bitte herein“, mit etwa diesen Worten (natürlich auf Französisch) empfängt mich die äußerst rüstige Dame in den Achtzigern. Ich werde in das Wohnzimmer gebeten, in dem die angekündigte Dolmetscherin schon Platz genommen hat. Das hoffe ich jedenfalls. Im Wohnzimmer fällt mein Blick sofort auf das Portrait der Amtsvorgängerin der Präsidentin, Gabrielle Pourchet, die immerhin von 1972 bis 2005 regierte. „Meine Mutter ist fast 100 Jahre alt geworden. Wir haben hier zusammen gelebt, nach dem Tod meines Vaters, dem ersten Präsidenten der Republik Saugeais.“
Die Geschichte der Gründung der République du Saugeais im Jahre 1947 ist natürlich allgemein bekannt. Louis Ottaviani, der Präfekt des Doubs, kam damals in den vom Ehepaar Pourchet betrieben Abteigasthof in Montbenoît. Die Frage des Wirtes, ob der Präfekt denn einen Passierschein habe, der ihm die Einreise in die Republik Saugeais erlaube, konterte der amüsierte Präfekt mit der umgehenden Ernennung des Herrn George Pourchet zum Präsidenten der aus 11 Gemeinden bestehenden Republik. Und jetzt stehe ich hier also im Wohnzimmer der dritten Präsidentin dieser kleinen, im Jura (zwischen der Schweiz und Frankreich) gelegenen Republik. Aus der wunderbaren Standuhr ertönt in diesem Moment, um fünf nach 2, die Nationalhymne der Republik. Wie gut, dass wir beide direkt vor der Uhr stehen und der Hymne somit den angemessenen Respekt zollen. Aber wo ist denn nun die angekündigte Dolmetscherin?
Mme la Présidente spricht außer Französisch nur noch die Landessprache Sauget, das ich leider noch viel weniger beherrsche als Französisch. Ich verstehe allerdings genug, um zu begreifen, dass wir unser Gespräch ohne Dolmetscherin führen müssen, da diese verhindert sei. Nun, ich kann es schon einmal vorweg nehmen: die nächsten fünf Stunden mit Mme la Présidente werden auch ohne Übersetzerin höchst unterhaltsam. Eine Stunde lang präsentiert mir die charmante Georgette Bertin-Pourchet ein Album nach dem anderen, mit Zeitungsartikeln und Fotos. „Hier, ein Einladungsschreiben von Nicolas Sarkozy an mich. Oder hier, sehen Sie, Valéry Giscard d´Estaing. Meine Mutter traf fast alle Präsidenten der République française während ihrer langen Amtszeit.“ Keine Frage, die République du Saugeais unterhält seit ihrer Gründung hervorragende, ja äußerst freundschaftliche Beziehungen zur Grande Nation.
Um 5 nach 3 erklingt wieder die Nationalhymne aus der Standuhr und etwas später machen wir uns auf den Weg in die Republik. Ja, die Präsidentin wohnt tatsächlich im Ausland, d. h. in Frankreich, ein paar Kilometer von der Landesgrenze entfernt. „Sie haben doch keine Angst, oder?“ Natürlich nicht, warum sollte ich mich denn davor fürchten, in den Kleinwagen der Präsidentin zu steigen? Schließlich ist Mme la Présidente topfit, bis auf ein paar kleinere, unwichtige, möglicherweise altersbedingte Wehwehchen, die sie mir anvertraute, nachdem ich von meinem früheren Berufsleben erzählt hatte. Schon nach ein paar Metern ist klar, dass ich es hier mit einer schneidigen Fahrerin zu tun habe. Beim Überholen wird der dritte Gang schon mal bis 90 durchgetreten, Respekt, Madame!
Vor dem Rathaus in Montbenoît, dem Hauptort der République du Saugeais, wartet bereits der Chauffeur mit der Staatskarosse auf uns. Mme la Présidente parkt mit elegantem Schwung ein und wir wechseln das Fahrzeug. Die Tour durch die Republik kann beginnen. Zuerst geht es bis in den Nachbarort zur dortigen Zollstation. Vor dieser steht auch schon einer der inzwischen vier Zöllner der Republik. Ich habe Glück, denn mit meinem Pass ist alles in Ordnung, wie der Zöllner nach gewissenhafter Prüfung feststellt. Der Mann hat viel zu tun, denn schon hält ein Reisebus an der Zollstation. Die Seniorengruppe im Bus scheint ebenfalls keine verbotenen Gegenstände dabei zu haben (oder es handelt sich bei den vergnügten Reisenden um professionelle Schmuggler). Nach der Kontrolle aller Fahrgäste erhalten diese ausnahmslos ihre Passierscheine für den Aufenthalt in der République du Saugeais!
Unser nächstes Ziel ist die Wurstfabrik Le Tuyé du Papy Gaby in Gilley. Beim Rückwärtseinparken überhört der sehr freundliche Monsieur le Chauffeur leider das immer lauter piepende Warnsignal der Staatskarosse und touchiert ein Mäuerchen. Na ja, der gute Mann hört nicht mehr sehr gut, ist aber ansonsten ein sehr sicherer Fahrer. Das Auto kommt mit einer kleinen Schramme davon und der Chauffeur mit dem Angebot der Präsidentin, in ein paar Jahren ja gegebenenfalls die Ämter tauschen zu können. In der Wurstfabrik werden wir von der Vorgängerin der Präsidentin begrüßt. Genauer gesagt, von einer sehr gut gelungenen Attrappe der früheren Präsidentin. Die jetzige Präsidentin streift ein paar Locken aus dem Gesicht „ihrer Mutter“ und begibt sich dann samt Entourage in die Räucherkammer der Wurstfabrik. Hier erfahren wir – die Senioren aus dem Bus sind inzwischen ebenfalls eingetroffen – von einer Angestellten und mittels einer Multimedia-Präsentation alles Wissenswerte über die hiesige Wurstherstellung. Der Geruch mehrerer Tausend hier hängender Würste macht Appetit. Und tatsächlich, im Verkaufsraum wartet bereits eine Dégustation auf uns. Es ist nicht nur diese Verkostung, die den unabwendbaren Wunsch bei mir hervorruft, eine dieser köstlichen Würste käuflich zu erstehen. „Sie schreiben einen Artikel über uns?“ Der sympathische Pascal (wenn ich seinen Namen richtig erinnere) besteht darauf, dass ich die ausgesuchte Wurst gratis erhalte. „Bitte schicken Sie mir dann das entsprechende Kapitel Ihres Buches per Email.“ Selbstverständlich, lieber Pascal, sehr gern!
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