Meine fehlenden Kenntnisse der Regenbogenpresse gleichen die Damen vor mir mit profundem Wissen locker aus. Kaum öffnen sich die Türen der Staatskarossen, da nennt schon die eine oder andere der Kennerinnen umgehend den Namen der aussteigenden königlichen Hoheiten, auch wenn wir die meisten von ihnen nur kurz von vorn oder der Seite sehen und ansonsten dann nur noch von hinten (schließlich laufen die gekrönten Häupter ja gemessenen Schrittes in die Kathedrale hinein und nicht auf uns zu). Der belgische König Philippe mit seiner Frau Mathilde, die ehemalige niederländische Königin Beatrix, die dänische Königin Margrethe II., König Harald V. aus Norwegen mit seiner Frau Sonja, König Karl XVI. Gustav von Schweden mit Frau Silvia, Alt-König Juan Carlos mit Frau Sophia, Fürst Albert II aus Monaco, Prinzessin Anne aus dem Vereinigten Königreich, Prinz Hassan aus Jordanien und sogar der Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein mit seiner Frau Sophie – die Damen vor mir zeigen keine Schwäche und erkennen sie alle. Tief beeindruckt vom Wissen der Expertinnen schieße ich ein paar Fotos und nehme einige Videos auf.
Aber es kommt ja noch besser. Luxemburgisch hin oder her, ich verstehe genug dieser reizenden Sprache, um zu begreifen, dass meine unbekannten Freundinnen ihre Zelte hier jetzt abbrechen, um sich an einen Ort zu begeben, an dem gleich der Trauerzug mit dem Sarg und der großherzoglichen Familie vorbeikommen muss. Also nichts wie los, dorthin, wo schon so viele andere Menschen warten. Na gut, den Trauerzug sehe ich schließlich dann nur aus der dritten oder vierten Reihe. Aber dafür haben die vor mir stehenden Massen die Royals nicht live gesehen, und wann bekommt man schon einmal solch eine Gelegenheit.
Die Trauerfeier schaue ich mir dann mit allen denjenigen, die keinen Platz in der Kathedrale bekommen haben, beim „public viewing“ auf der Place d´Armes an. Und wieder werde ich sehr angenehm überrascht, denn die Feier wird auf Luxemburgisch, Französisch und Englisch abgehalten. Auch hier reichen meine Sprachkenntnisse aus, um zu verstehen, dass Großherzog Jean ein liebevolles Familienoberhaupt war und obendrein ein vielseitig engagierter, großherziger Mensch, der sein Amt sehr diskret und zurückhaltend ausgeübt hat. Und, so möchte ich hinzufügen, es war während seiner Amtszeit von 1964 bis 2000, dass Luxemburg den Wandel vom Industrie- und Agrarstaat zum Dienstleistungszentrum vollzog, mit einem besonderen Augenmerk auf Europa. Im Stadtteil Kirchberg mit Gebäuden für das Europäische Parlament und dem Gerichtshof der Europäischen Union kann man sich persönlich davon überzeugen (allerdings ist genau dort momentan auch eine riesige Baustelle).
Überhaupt ist es eine (kann man das über eine Trauerfeier sagen?) sehr sympathische Feier mit wenig überschüssigem Pomp und Gehabe, dafür sehr passenden kurzen Liedern und Musik in den unterschiedlichsten Arten von gregorianisch bis zum Luxemburger Volkslied. Die Luxemburger haben ihn wohl sehr gemocht, ihren Großherzog Jean, und wenn mein Eindruck nicht völlig trügt, dann muss er – so sagen es mir die liebevoll trauernden Gesichter der Menschen um mich herum, in seinem langen Leben vieles richtig gemacht haben. Fast ein Jahrhundert Luxemburg werden heute zu Grabe getragen: Jean Benoit Guillaume Robert Antoine Louis Marie Adolphe Marc d´Aviano von Nassau, seine Königliche Hoheit Jean, Großherzog von Luxemburg, Herzog von Nassau, Prinz von Bourbon-Parma, Pfalzgraf bei Rhein, Graf zu Sayn, Königstein, Katzeneinbogen und Diez, Burggraf von Hammerstein, Herr von Mahlberg, Wiesbaden, Idstein, Merenberg, Limburg und Eppstein!
Trauerzug mit dem Sarg des Großherzogs Jean
In Düdelingen kommt die Pyrotechnik vom Grill
Nach Europa will nun wirklich nicht jeder! Genauer gesagt: nicht jeder Fußballverein hat das Ziel, an der UEFA Europa League teilzunehmen. Was für eine Schande wäre es doch zum Beispiel für Real Madrid, Bayern München, Juventus Turin oder den FC Chelsea, sich nicht für die Champions League zu qualifizieren, sondern nur in der Europaliga spielen zu können. Äh, Chelsea? Na gut, das Spielzeug von Roman Abramowitsch ist vielleicht kein besonders gutes Beispiel, aber Sie verstehen schon, was ich meine. Andere Vereine, wie Eintracht Frankfurt, sind begeistert und begeistern andere von dieser Liga. Nun, bei all der Euphorie, die die wackeren Spieler aus der Main-Metropole bei Ihrem Weg bis ins Halbfinale gegen, Sie ahnen es schon, besagten FC Chelsea, in Deutschland „für Europa“ entfacht haben, ist ein wahres Fußballwunder bei uns möglicherweise ein klein wenig untergegangen. Mit einem Wort: F91 Düdelingen.
Mit Max vom F91 Düdelingen-Fanclub habe ich mich per Nachrichten-App verabredet. „Wir treffen uns eine halbe Stunde vor Beginn des Spiels.“ Wunderbar, da kann ich mir dann das Spiel des F91 gegen Victoria Rosport im Jos Nosbaum-Stadion in einem standesgemäßen Umfeld anschauen: in der Fankurve. Vor dem Stadion sind zwei Kassen offen. An der einen steht schon jemand, die andere ist frei. Wie soll ich da Max bloß finden, bei dem riesigen Andrang? Ich schreibe ihm schnell eine Nachricht, dass ich schon angekommen bin (45 Minuten vor Spielbeginn) und erhalte wenig später die Antwort: „Wir sind schon drin.“ Noch pünktlicher als ich, der gute Max. Das dort muss er sein, der junge Mann mit der Trommel und dem Megaphon. Ja, er winkt mir zu, als ich mich zögernd nähere. Offenbar hat er in mir umgehend den älteren Typen erkannt, der sich an den Fanclub wandte und um Gesprächspartner bat, die ihm aus erster Hand etwas über die unglaubliche Erfolgsgeschichte des amtierenden luxemburgischen Meisters und (leider inzwischen bereits ausgeschiedenen) Teilnehmers der Europaliga 2018/19 erzählen können.
Natürlich kennt man sich im beschaulichen Düdelingen und umgehend stellt mich Max einem Vorstandsmitglied des Vereins vor, Herrn Goergen. So schnell geht das hier, um mit einem Vereinsoffiziellen ins Gespräch zu kommen. Etwas ketzerisch frage ich den für ein Vorstandsmitglied noch sehr jugendlich wirkenden Herrn Goergen, warum sich F91 denn nicht für die Champions League qualifiziert hat, sondern bereits in der ersten Qualifikationsrunde gegen die ungarische Fußballgroßmacht Vidi FC Szekesfehervar ausgeschieden ist. „Ja, da hatten wir viel Pech, eigentlich hätten wir die Spiele für uns entscheiden können. Aber das Ausscheiden hatte was sehr Gutes, denn somit nahmen wir an der Qualifikation zur Europaliga teil.“ Und da drehte der F91 Düdelingen so richtig auf. Zuerst warfen die Luxemburger den kosovarischen Vertreter FK Drita Gjilan aus dem Wettbewerb. Na gut, mögen Sie jetzt denken, das heißt ja nicht allzu viel. Gemach, denn in der zweiten Runde war Legia Warschau an der Reihe. Nach einem 2:1-Auswärtssieg in Polen reichte ein 2:2 im heimischen Rückspiel. Derartig vorgewarnt, hätte der frühere Champions League-Teilnehmer CFR Cluj sich vielleicht ein wenig ernsthafter vorbereiten sollen. Nun, nach einem 2:0 Heimsieg konnten sich die Düdelinger sogar noch eine 3:2 Niederlage in Rumänien erlauben. Das Wunder war vollbracht!
„In Cluj hatten wir das erste Mal einen eigenen Koch dabei. Cluj war der Meinung, dass in Luxemburg nicht alles zu ihrer Zufriedenheit verlaufen war, und wir haben tatsächlich Drohungen erhalten.“ Herr Goergen will mich doch nicht etwa auf den Arm nehmen? „Wahrscheinlich hat der Koch dann die Mannschaft mit Judd mat Gaardebounen (so nennt man die luxemburgische Spezialität geräuchertes Schweinefleisch mit dicken Bohnen) gedopt?“ Über meine selbstverständlich völlig ernstgemeinte Frage kann Herr Goergen nur lachen. „Nein, nein, unser Koch ist Italiener!“ Eigentlich gut passend, denn somit hätte der Mann auch gleich für die ersten Gäste der Gruppenphase der Europaliga kochen können: Am 20.09.2018 kam niemand Geringeres als der AC Mailand nach Luxemburg. „Wir haben wegen der UEFA-Regularien diese Spiele nicht hier in Düdelingen, sondern im Nationalstadion in Luxemburg-Stadt austragen müssen, auch wenn das ebenfalls nicht viel moderner ist als unser Stadion.“ Wahrscheinlich hatte das italienische Starensemble aber einen eigenen Sternekoch dabei, denn wie lässt sich sonst erklären, dass die tapferen Düdelinger Kicker nach großem Kampf mit 1:0 geschlagen werden konnten? „Das Medieninteresse war natürlich enorm, Fernsehteams aus Italien, Deutschland, und, und, und… Alle wollten uns kennenlernen!“
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