Und die Düdelinger Spieler und ihre Fans wollten die Stadien der illustren Gegner kennenlernen. Denn welcher Kicker aus der Kleinstadt Düdelingen hatte schon jemals im Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand, im Estadio Benito Vilamarin in Sevilla oder im Karaiskakis Stadion in Piräus gespielt? Außer dem ehemaligen Bundesligaspieler Marc-André Kruska kannte ich bisher jedenfalls keinen einzigen Aktiven, und der durchaus bekannte deutsche Trainer Dino Toppmöller hatte das in seiner Spieler-Karriere wohl auch nicht geschafft.
Und während mir Herr Goergen gerade erläutert, wie ungewohnt und aufwändig es für die paar ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder war, die ganzen Reisen zu organisieren („Mailand hat dafür einen Haufen fest angestellter Mitarbeiter, bei uns habe ich mich mit zwei Helfern zum Beispiel darum gekümmert, 900 Fans aus ganz Luxemburg nach Mailand transportieren zu lassen“) kommt eine junge Frau vorbei und reicht uns je eine Dose Leopard Natural Power Drink. „Das ist auch eine gute Geschichte“, erläutert schmunzelnd Herr Goergen. „Nachdem wir 2012 in der zweiten Qualifikationsrunde für die Champions League Red Bull Salzburg aus dem Wettbewerb werfen konnten, meldete sich der kleine Power Drink Hersteller Leopard bei uns als möglicher Sponsor. Leopard besiegt Red Bull, sozusagen auch hier ein David gegen einen Goliath. Nun, der Deal kam zustande, wobei unser Hauptgeldgeber allerdings die kleine Firma Leopard inzwischen gekauft hat.“
Jetzt wird es endlich Zeit, in die Fankurve zu gehen. Max ist dort nicht der einzige Trommler. Ein freundlicher älterer Herr hat eine Trommel dabei, die dem berühmten Manolo zur Ehre gereicht hätte. Die knapp zwei Dutzend Köpfe zählende Fangruppierung hat somit schlagkräftige Unterstützung, die nur einmal kurz unterbrochen wird, als dem Senior-Trommler ein Schlägelkopf vom Schaft abrutscht. Und wohin rollt der Kopf? Genau in Richtung der Security. Dieses Attentat auf den einzigen weit und breit sichtbaren Sicherheitsmann wird von meinem Sitznachbarn lakonisch mit dem Ausruf „Hooligan-Angriff!“ kommentiert. Und es kommt noch dicker.
Aus der Würstchenbude qualmt es und umgehend erschallt es hinter mir: „Achtung, Pyro vom Grill!“ Die Jungs und das einzige Mädel hier haben Humor, grüßen auch brav die Handvoll Fans des Gegners und werden nur ein einziges Mal ein klein wenig unartig. Der Linienrichter hat direkt vor uns ein ganz klares Foul an einem Düdelinger nicht angezeigt und wird prompt mit einem Slogan bedacht, aus dem ich das Wort „Blinder“ heraushören kann. Da die berechtigte Empörung auf Luxemburgisch erfolgt, setzt angesichts der ausbleibenden Reaktion des Schiedsrichter-Assistenten umgehend die Diskussion unter meinen neuen Freunden ein, ob der Mann denn überhaupt die Landessprache verstünde.
Lassen Sie mich hier auch gleich einmal mit dem Vorurteil aufräumen, dass Fußballfans ungebildet seien. Geraldine an meiner rechten Seite ist nicht nur bildhübsch, sondern auch intelligent. Sie arbeitet als Immobilienmaklerin für Sotheby´s, wurde gerade von der Regierungspartei DP aufgefordert, bei den Gemeindewahlen zu kandidieren („das ist schon eine große Ehre“) und hat mit ihren 28 Lenzen auf jeden Fall noch eine große Karriere in der Politik vor sich, wenn sie erst einmal den Jungliberalen entwachsen ist. „Jetzt wird er eingewechselt, mein Freund.“ Tatsächlich, nach überstandener Verletzung darf er heute wieder ran, Dominik Stolz, der ehemalige Zweitligaspieler des SV Sandhausen. „Schau mal hier, das Tor, das er in Mailand geschossen hat.“ Geraldine zeigt mir auf ihrem Smartphone den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleichstreffer ihres Freundes. Düdelingen ging in der 49. Minute sogar mit 2:1 in Führung, bevor die hohen Favoriten den Spieß noch umdrehten und am Ende mit 5:2 gewannen. Geraldine war selbstverständlich auch mit in Sevilla (3:0 für Betis) und in Piräus (5:1 für Olympiakos). Glauben Sie jetzt aber bitte nicht, dass Düdelingen alle Spiele verloren hat. Das letzte Spiel (zu Hause gegen Betis Sevilla) endete 0:0!
Dann wird auch noch Ibrahimovic eingewechselt (Sanel, nicht Zlatan) und der alte und wahrscheinlich auch neue Meister der BGL Ligue siegt mit 2:0. Nach dem Spiel trifft man sich in der Turnhalle. Alles ist so familiär, dass es auch für Dino Toppmöller scheinbar völlig normal ist, einem unbekannten deutschen Reiseschriftsteller ein paar Fragen zu beantworten. „Was wollen Sie denn nun von mir wissen“, fragt er mich, nachdem ich wohl etwas umständlich angefangen habe, mein Projekt zu erläutern. Ja, gute Frage, Herr Toppmöller, natürlich, was will ich eigentlich von ihm wissen? Na, ein paar Fragen fallen mir dann ganz spontan doch ein. So erfahre ich, dass Dino Toppmöller zwar kein Luxemburgisch spricht, es aber nach einigen Jahren im Großherzogtum immerhin gut versteht. Die Kabinensprachen seien Französisch und Deutsch, die prominenten Gegner der Europaliga seien sehr respektvoll und überhaupt nicht überheblich mit den Düdelingern umgegangen und viel Zeit habe er jetzt auch nicht mehr, weil er nach Hause zur Kommunion müsse. Zeit für ein Foto von uns beiden hat der Meistertrainer aber dann doch noch. Zuletzt gratuliere ich Dave Turpel zu seinem überlegten Kopfballtor zum 2:0, fahre beschwingt mit der Bahn zurück nach Luxemburg-Stadt und werde leider erst später im Internet lesen, dass es ebenjener Dave Turpel war, der in Mailand den 2:1 Führungstreffer erzielt hatte. Was für ein herrlicher Nachmittag und Abend!
Würstchenbude im Stadion des F91 Düdelingen
Das Großherzogtum Luxemburg könnte man auch als das Herz Europas bezeichnen. Es ist daher so richtig nach meinem Geschmack. Ein Schmelztiegel ganz Europas mit äußerst liebenswerten Luxemburger Eigenarten. Wie antwortete mir doch Joe Heintzen seinerzeit in seiner Antwortmail auf meine Bitte um ein Treffen: „Vorab mal eine Bemerkung zum Arbeitstitel von Ihrem neuen Werk: « Klein, aber (nicht immer) fein » : Da dürfen Sie, was Luxemburg anbelangt die Worte zw. den Klammern ruhig beiseitelassen, weil wir sind immer fein und nett und umgänglich.“
Die allermeisten Luxemburger sind außerdem erfreulich polyglott. Neben der Landessprache Luxemburgisch sprechen sie Französisch und Deutsch. Und da jeder fünfte Einwohner portugiesische Wurzeln hat, hört man auf den Straßen und in den entsprechenden Kneipen ganz viel Portugiesisch. Ein Abend in einer der portugiesischen Sportbars hinter dem Bahnhof ist besonders dann zu empfehlen, wenn ein Spiel von Benfica Lissabon live übertragen wird. Da wird man schon einmal von einem kleinen älteren Mann mit Glatze animiert, an dessen Freudentänzchen teilzunehmen, wenn Benfica gerade wieder ein Tor erzielt hat. An diesem Abend endet das Spiel 5:1 und bietet somit genügend Anlässe für Tänze statt Fado.
Nur ein paar Fußballfelder entfernt auf der anderen Straßenseite ist die Rotonde, mein hiermit nicht mehr ganz so geheimer Geheimtipp für einen sonntäglichen Brunch, eine abendliche Musikveranstaltung oder einfach nur für ein geruhsames Abhängen draußen im Hof an einem lauen Sommerabend.
Da der gemeine Luxemburger ungern mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, sondern lieber im eigenen Blechhaufen (hier allerdings häufig in sehr edlem Blech), plant man, mittels der Einführung des Nulltarifs im staatlich betriebenen öffentlichen Verkehr Luxemburgs zum 1. März 2020 die Bürger zum Umsteigen auf Bahn oder Bus zu bewegen. Luxemburg wird damit der erste Staat weltweit, der den landesweiten Nulltarif (außer im kommunal betriebenen öffentlichen Nahverkehr oder in der ersten Klasse der Bahn) einführt. Das klingt nach einer guten Idee, wobei: „Schüler, Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger, alle Bedürftigen fahren sowieso schon umsonst. Und alle Anderen, so auch Sie als Tourist, zahlen für ein Tagesticket für ganz Luxemburg gerade einmal 4 Euro. Das ist doch auch jetzt schon sehr günstig. Und wir befürchten, dass einige Kolleginnen und Kollegen, die bei der Fahrkartenkontrolle, im Fahrkartenverkauf oder der Kundeninformation tätig sind, entlassen werden könnten, wenn dann der Nulltarif kommt. Ich bin ja bald in Rente, aber meine junge Kollegin hier, die könnte es treffen.“ Die sehr freundliche Dame am Informationsschalter in Luxemburg-Stadt ist auf die Pläne der Regierung gar nicht gut zu sprechen. Schon wenn ich nur an die Preise für den ÖPNV bei uns in der Region Hannover denke (für ein Tagesticket unserer Region zahle ich mehr als das Doppelte als in Luxemburg für ein Tagesticket für ein ganzes Land), dann kann ich die Argumente der netten Düdelingerin durchaus verstehen. Ja, unser Gespräch ist sehr unterhaltsam, da erfahre ich u. a. auch, dass ich am Nachmittag in den Wohnort meiner Gesprächspartnerin fahren werde. Bei aller Ablehnung der Nulltarif-Pläne erhalte ich aber dann doch die Zustimmung, dass der öffentliche Nahverkehr attraktiv und preiswert sein muss, um ein ernsthaftes Angebot für den Verzicht auf die ständige Nutzung des Autos zu sein. Komisch eigentlich und für mich nicht nachvollziehbar, dass so viele Luxemburger nicht jetzt schon auf die Idee kommen, ihr Auto in der Garage zu lassen.
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