Hab euch alle treu geliebet, sunderlich dich, mein Basil, und dann sollet ich gar verklungen sein und in des kleinen Joachim Gemüt vielleicht vor alle Zeit verstummen? So dacht ich in der Stille der chimischen Küchel bei mir: Ist ein Leben so gering? Hat nit da und dort ein schönes Licht gebrannt in allen meinen Jahren, das auch eines Enkelsohnes Brust kunnt erleuchten? Nit also, daß meines Lebens Lichtkranz sunderlich seie und merkwürdig – er brennt abseits vom Hochaltar. Aber gleichwohl ist ein jeds Lichtlein aus Freud und Kümmernis gezogen. Und ob ich nun gleich weiß, daß jeder Mann sein eigner Wachszieher sein muß, so fällt doch der Apfel nit weit vom Stamm. Und meine Art und Folge kunnt in künftigen Nächten je und je einen Trost aus meinem Licht gewinnen. Dann auch ich hab mannigsmal geglaubt, es brenn die Höll unter meinen Füßen und ihre Flammen müsseten mich verzehren, war aber nur das Feuer, bei dem mein Wachs ist lauter gesotten.
Also beschloß ich meines Lebens Krön vor dir zu entblätteren, wie einem herbstlichen Baum geziemt. O, wie sie fallen die Blätter alle!
Wäret einst grün und derselb Wind, so euch vom Ast fegt, flüsterte um euch wie ein süßer Buhl, daß ihr vor Wonne bebtet! Ihr schaukelt im Falle noch eine Weil her und hin, als trügen euch die Träum. Und dann liegt ihr still auf den toten Brüdern, selber nur ein Bett und Estrich vor die andern, so noch am Aste hangen eine Zeitlang. Und dann kummt der Schnee, der deckt alls zu.
Mußt eine Wochen verrinnen seither.
Drei Nächt deiner Wache sein dahingezogen, vor mir ist ein leeres Blatt gelegen und ein blütenweißer Kiel, ohn Tintenmakel, kein Schwanenfittich kunnt einen reineren geben. Mein Fäßlein war bis an den Rand mit dem dunklen Safte gefüllt, der wunderlich ist wie der erst Wille Gottes. Ist doch ein jeder Tropf darinnen gleich einem Cosmus in seim Urgrund und Chaos. Der Möglichkeiten so in ihm ruhen – endlos viel; ruhen nirgend mehr. Der Tropf hängt sich an den Kiel, ein Federzug, das Blatt ist kein Blatt mehr. Es hat sein elementarisch Wesen entäußert, sein papieren Eigentum verlorn, ist hörig worden und ein Knecht. Ihm ist eine Stimm auferlegt. Die muß es tragen. Und gleichet darin ganz dem irdischen Menschen, der seine Sinne tragen muß, damit Gott und der Welt Herre schreiben. Und ergreifst du das gezeichnet Blatt, so erfüllen dich die Zeichen, was liegt dir am Papier. Also tritt ein Fremdling in dein Gadem, was suchst du bei ihm? Fürderst die Zeichen. Was liegt dir dran, ob er gegessen oder getrunken hab, ob er von Prag oder Dräsn kummt? (Wird aber die letzt Trumpet erschallen und alle Wesen herfürlocken, es werden die Zeichen sein, so auf ihnen ruhen, die werden alsdann sprechen. Drum eben hab nit Angst, mein Sohn Basil: Gott wird das Papier nit ansehn, so es gleich grau und grobkörnicht war, Gott siehet nicht den Leib, noch die Erdenkrum, die an ihm hanget. Sündern allein was aus Not und Freud, aus Irrtum und Erkenntnis, was aus Laster und Reinheit vor Zeichen ist dir erwachsen. Das bleibt in Zeit und Ewigkeit dein Teil und ist die Stimm, so dir vom Leben auferlegt ward, ist die Entäußerung deines elementarischen Wesens in ihm selbst. – Darum mißtraue denen Auctoribus und Scribenten, die nit acht haben auf den schwarzen Tropf, so ihr Kiel aus dem Fäßlein zeucht, die desgleichen vermeinen, das Papier seie geduldig. Dann wer die Mittel vor nichts achtet, der schätzet auch die Zeichen gering. Die Zeichen aber schreien nach dem Gewissen.)
Saß in den dreien Nächten harrend vor dem Pult. Das unbeschrieben Blatt wuchs vor meinen Augen in die Weite, umfloß mich wie ein erstaunlichs Gefild, darauf ein großer Himmel ruhet. Das Gefild war von reifen Ähren übergüldt. Indem ich meinen Blick schweifen ließ, erhob sich ein Sturm. Das wogend Rauschen schwoll allumher, und aus den Wogentalen tauchten Stein um Stein: ein Totenacker, über dem das Korn wallt. Durch den Sturm aber ging die gewaltig Sehnsucht, bitter, heftig, voll drängender Not, bis sich der quellend Wunsch an ihm selbst entzündt und zum Wortblitz erstarret. Der Blitz stand über dem weiten, brausenden Feld, und aus ihm rief der Donner, daß es unter meinen Füßen wanket und ich vom Fieber geritten ward. „Erwachet!“, allso riefs. Barst Stein um Stein. Daraus hob sich meines Lebens Näh und Fern und schrie mich an: „Joachim, sieh mich! Joachim, nun zittere du!“
Endlos tobet das Gedräng. Sie stampfeten die gülden Saat nieder unter ihrem wilden Getrampel, stürmeten also herbei, all meines Lebens Gestalten aus Näh und Fern, in bunten Kasack en, in grauen Säcken, in schwarzen Talaren. Hoben ihre Faust wider mich auf und brülleten: „Hast midi schmählich verleugnet! Hast mich aufn Mist geworfen! Hast mir ein Luglarven umtan!“ Waren ihrer wenig, so mich freundlich grüßten und mir zuwinkten! Ich stand inmitten: ein Feldhauptmann, den die losen, rottierend Haufen um Sold anschreien, er aber weiß, seine Truhen sein hohl wie Pauken. Wußt mir nit Rat wider mein eigen Leben, das nah und näher brausete. Und wie die Schwalb vor dem Wetter duckend über den Boden huscht, so tauchten meine gespreizten Händ nieder ins Korn, rauften je eine Handvoll Halm und schwangen sie denen entgegen: „Sehet mein gülden Korn! Ihr sollt mirs nimmer zertramplen!“ Und die reife Frucht lösete sich aus den geschwungnen Ähren; war wie ein Goldregen über meines Lebens Gestalten allen. Hagelte in ihre Herzen. Also erstarrete die drangvolle Woge vor mir, türmet sich hoch und sank zurück. Ergoß sich über das weite Feld und jeglicher Stein verschlang das Seine. Es reckten sich die Halm neu. Ein leiser Kornduft und Schmack der satten Erd wallet drüber hin.
Erhob sich die Stimm in meinem Herzen, so immer bei mir gewest, wenn mich des Lebens Mühsal fast übermannet, und sie klang über das weite Feld hin: „Ich will euch rufen, jeden an seinem Feierabend!“ Aus den Steinen scholls dawider: „Wir hören!“
So ich meines Vaters, Pätzke Pausewang, gedenk, jucket midi jetzund noch Buckel und Hinterleder, gleichwohl mein Haar grau ist. Wer meine Mutter Sibylla ist gewest, des hab ich keine entschieden Kund. Fraget ich meinen Herrn Vater nach ihr, sähe er mich unter einer finstern Stirn starr an und knurret: „Laß die Toten ruhn, grüner Fant!“ Weiß allein, daß sie eines freien Mannes Kind war und die einzig Tochter auf der Wolfshufen zu Erlau im Kurkreis. Auf besagter Hufen, wo ich geborn, ist jedoch das grundherrlich Privilegium eines Wirtslehens gelegen. Hing also immer eine Stangen aus mit dem Krug daran. Kehrten alle Kaufleut ein, so von Leipzig und Dräsn Pfeffer, von Breslau Garn und Leinwand führeten. Die Leipziger riefen meinem Vater: ,He, Krüger!' – die von Breslau: ,Ho, Kretschmer!' – so einer aus Franken kam:
,Schenk, hallo!' – zog einer gar mit Welschwein, Bozner und Traminer gen Krakau, kunnt ich den ,Tabernario!‘ rufen hörn. Derhalben ich glaubet, mein Herr Vater seie auf der ganzen Welt bekannt, indem ihm jeglichs Land einen andern Titul verliehen.
Er aber stand breit und gespreizet unterm Tor, als wurzelten seine Sohlen im Boden. Es strammten sich seine starken Waden, seine verschlungnen Arm preßten sich für die breit Brust und sein Gesicht ward puterrot. Also maß er einen schreienden Kaufmann vom Käpplein bis zum Fürschuh.
„Pätzke Pausewang bin ich benamset, du Leipziger Pfeffersack, du Breslauer Ellenschinder! Kannst he und ho deine triefenden Mähren auf der Landstraß fürdertreiben! Hie ist die Wolfshufen, da gilt keins andern He und Ho dann das mein. Auf Dräsn und Leipzig ist noch ein gut Stück, da kunnt dir He und Ho in der Gurgel dörren!“
Sprang also der Kaufmann von seim Gaul, lüftet er’s Käpplein und bat um Herberg, dann reichet ihm mein Herr Vater die Hand und wies die Knecht an, das fahrend Gesind zu versorgen; er führet den Kaufmann in die Stub, bot ihm den Willkomm, fraget ihn zierlich nach der ehrbaren Zunft zu Leipzig und Breslen und rief nach einigem Verweilen den Altknecht Kilian, empfahl ihm den höflichen Gast. Bestund aber einer mit grobem Unflat auf seim Herbergsrecht, so mußt ihm das Baurenloch gnügen, wohin mein Vater das gehrend Gesindel und die Vagabondie wies; und bekam selbiger, was ihm zustund: ein saures Weinlein und Roggenbrot. So verfuhr mein Herr Vater auch dazumal noch, als die Wolfshufen schier gänzlich den Stolpener Pfaffen gehöret.
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