Also saßen wir still bei einand. Ich fühlet mit Freuden, daß du nur schwer deine Scham bezwangst, um den Vater zu wärmen. Verwunderte mich desgleichen, daß ich nur selten von jenseitigen Dingen mit dir gesprochen, da ich doch wußt, wie dein Gemüt der holden Besinnlichkeit geneigt seie. Dann wir sein allezeit bereit, unsre Perlen in ein fremden Schweinkober zu schütten, aber gar selten, den grauen Habit des Alltags von deren Schultern zu ziehen, die aus dem nämlichen Wasserkrug mit uns trinken. Daraus erwächst manch unnütz Einsiedelei, Verschüchterung des Gemüts und wohl auch Dünkel. Indem ich so dacht, strich die sanfte Hand Philosophiae über mein’ Scheitel und wir sprachen, wie doch alle Confession ein Stückwerk seie und, anstatt den Frieden zu vollenden, dem Teufel ihre Blößen erwiese, darein er im Nu sein bösen Willen geußt und so aus Theologia Politicam machet. Und du forschtest in mir, wie es wär, daß Gott sich durch den lieben Doktor Martinum neu erschlossen, und seie gleichwohl nit die Kraft in der Confessio, alle zu zwingen.
Darauf ich: „Solche liegt in keiner Confessio und kann nit.“
Du aber mit Besorgnis: „Vater, Ihr seid doch gut lutherisch?“
„Bin gut lutherisch, weil darinnen die meist Freiheit lieget. Bin lutherisch, wo verlangt wird zu bekennen. Aber Gott liegt in keim Bekenntnis, da sein der Wort zuviel. Dann unsre elementarischen Wort gleichen ganz dem brennend Stroh: ist ein Aufsehen, Funken, Flammen und Schein, du meinst, nu ist aller Finsternis ein End. Und gehst du hin nach einer Weil und schaust, liegt nichts da, als ein verdorret Aschensalz, das der Wind zerbläst. So einer witzig ist, wirft er’s in den Laugenkrug und geht damit baden. Beißt wohl die Haut rein von Staub und Schweiß, dringt aber nit zu Herzen. Sein allzuviel Redner und Bekenner, allzuviel brennend Stroh.“
Du neigtest deine Stirn und dein Blick ruhte am Boden, indem du sprachst: „Wie soll da ein Christenmensch seinen Gott erschauen!“
„Basil, dafür ist keine Practic erfunden.
Der eine steigt auf die Bastei vorm Mühltor und lustwandlet, bis er sich bekömmlich einen Hunger hat angelaufen. Dann geht er heim und setzt sich zufrieden an den Tisch.
Der ander zieht seine Kinder nach sich auf die Bastei und weist ihnen das groß Wasserrad. Hebt an mit Brustton: ,Das hat im Diameter bei zween Dutzend Ellen, und mehr als hundert Kannen kreisen auf ihm, die durch die Kraft des Wassers getrieben werden. Und schütten ihr Wasser all in die groß Leitung, so unter der Stadt hinziehet.“ Da staunen die Kindlein, und der Vater reibt sich seine Nas vor Gelahrtheit und sagt: ,Die Bastei ist eigentlich keine Bastei nit, sunder allein die Aufschüttung, daß man kunnt das Rad in Gang bringen, indem eine rechte Bastei nirgends von wegen eins Wasserrads gebauet wird, sunder von wegen der Fortification. Dieselb Aufschüttung allhie steht aber auf zwölf tausend Erlen- und Eichenpfählen. Erasme, wie heißt nun sollich ein Pfahl auf Latein?“ Fährt der klein Erasmus zusammen, und ein blasser Schröcken reißt seine Lider auf, bringt aber noch zu gutem Glück herfür: ,Palus“. Runzelt der Vater die Stirn und brummt: ,Das ist nit vollkommen, Erasme!“ Stottert der klein Erasmus: ,Palus, paludis …“ und hat auch schon seine Maulschellen. Greinend klaubt er seine Mutzen von den nickenden Grashalmen und leiert herfür: ,Palus, pali, masculini generis, der Pfahl; palus paludis, feminini generis, heißet aber ein stehend Wasser, Sumpf, Teich, See.“ Der Vater fährt nun fort zu erklären, daß hie dereinst der Rotgießer Drehekunst gestanden, so aber nieder gebrannt anno funfzehen hundert und etliche, weiß nit, der Vater aber weiß alls, auf Jahr und Tag. – Geht also auch dieser mit seinen Kindlein heim und desgleichen sehr befriediget.
Der dritt aber steht auf der Bastei. Neben ihm rauschet das Wasserrad eine wundersam Musicam, als die Orgel zu Sant Elisabethen am Ostersunntag. Viel tausend Demanten funklen an den vermoosten Speichen und viel tausend weben ein duftigs Schleiertuch, darein die untergehend Sunn einen bunten Bogen stickt, und eitel Goldglanz ergießt sich aus den Kannen. – Der Dritt läßt seinen trunknen Blick schweifen. Die Oder umgreift die Stadt wie eine Silberspangen den köstlichen Topas. Die schlanken Türm mit blanken Kugeln und Hahnen, drunter das heimlich Gewinkel und Gewirre, spitzgiebelig, gebräunt, und aus jedem Schornstein das behaglich Wölkchen. Alt-Breslau, du liebe Fraue von Schlesien! Und rund umher schlingen die Erlenhain einen huschenden Reigen, ducken sich hie als ein scheues Buschicht, recken sich da in schlanker Zier, und zwischendurch laufen die Weiden, ohn Atem, in silbergrauer Seiden, kugelrund, kurzbeinige, wohllebige Junker. Vom Ufer her aus dem Bürgerwerder summt noch das geschäftig Leben. Dort liegen die langen, schwarzen, schweren Schiff, dort deckt sich der Rechentisch mit Zahlen, dort kreist der Krahn von Ufer zu Fähre, von Fähre zu Ufer. Und der Mühlberg drüben! Über dem steht die blasse Scheiben wie ein weiß Schafwölklein. Er breitet seinen weiten, grünen Chamelotmantel und läßt ihn von den Leinwand-, Garn- und Züchenbleichen hell verbrämen … Da steigt in dem Dritten eine sanfte, wundersame Lieb vom Herzen auf, und ist ihm, als müsset er zu der brausenden Wasserorgel singen. – Sieh, Basil, in dem ist Gott. Die Engel im Lichte haben auch keine andre Lieb. Ist dies ein Confession und kunnts einer in Artikul fassen? Glaub nit. Vermeinest, daß der Mann möcht seliger sein, so er dies kunnt auf latein, griechisch, hebräisch deuten? Glaub nit. Und seines Leibes Notdurft ist gar verstummt. Fast sprengt ihm das singend Glück die Brust. Er trinkt mit Aug und Ohr und mit eim jeden Atemzug Gott, und Gott schlägt durch Aug und Ohr und jeden Hauch aus ihm herfür. Er ist erfüllet ganz. Die rot Sunn, der weiß Mond, und des Ostens dunkeles Blau und der Menschenerd bunts Getrieb strömt auf ihn ein, und aus ihm fleußt Himmel und Erde. Er ist Vater, Sohn und Geist in einem und ist Gott in seinem göttlichen Rausch.“
Du lägest an meiner Schulter und atmetest schwer, als müßtest ein Schluchzen verhehlen. Wir schwiegen lang. Da vernahm ich hinter mir ein leises Sporenklirren und legeten sich leichte Finger auf meine Schulter.
„Mäter Posewang, wollet mir Eure Hand verstatten.“
Und da ich mich erhob, drücket mich der Junker Strör von Gellwitz sanft nieder.
„O, verbleibet in Eurer beliebigen Situation! Ich muß Pardon erbitten, daß ich ohn Euer Permission gelauscht … Ihr erweckt mir fast ein Desir nach Schusterei. – So Ihr wünscht, meine Bibliothek steht Euch offen.“
Ich danket ihm sehr.
„Ihr solltet aber hier nit frieren, Mäter Posewang. Die Affär,“ und er wies hinüber gen Elbing, „ist nimmer so interessant, als sie Comte de Danoub diesen Abend zu machen verstanden hätt. – Kommt mit mir, ich will Euch durch die Torwacht bringen.“
Also geleitet mich der Junker freundlich, half mir die steile Steigen nieder und reichet mir dabei huldvollst die Hand, obwohl er nit jünger ist als ich.
Fand deine liebe Margret noch beim Licht. War froh, das verängstiget Frauenzimmer, da es höret: der Rat wöll alls wieder auf gleich bringen, die Dom-Insul freilich seie sogut als in der Schweden Hand. Sie setzet mir ein Mus für und ging zu den Kindlein schlafen, dann sie war fast müd. Was kunnt ihr auch an der Dom-Insul gelegen sein!
Mir war der Schlaf fern. Schlich hinüber in unsre chimische Küchel, setzet mich in den großen Kissenstuhl am Pulte und dacht bei mir, daß wir beid, du und ich, so viel Jahr neben einander geschustert und du dereinst kaum zu sagen wüßtest, was ich in Herzenstiefen getragen. Dann eine kurze Weil, und ich werd nimmer bei dir sein. Ich habe mein reichlich Stück Arbeit tan und mein Leben nit gespart. So möcht mein Andenken alsbald arm und ärmer werden und nichts davon bleiben, dann ein Achselzucken: ,Ja, er ist ein Schuster gewest, und der vielgerühmt Meister Jakob Böhme hat eine Zeitlang neben ihm geschustert."
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