Jetzt lachte Ralf. „Was für eine Räubergeschichte! Sie wusste, wer du warst, und sie wusste, dass du sie nicht erkanntest. Sie baggerte dich an und fütterte dich mit Drogen. Dabei ist sie minderjährig und du bist ihr Chef und fast doppelt so alt wie sie.“ Nach einer Pause fragte er: „Wollte sie Geld von dir?“
Serenus schnappte nach Luft: „Geld? Fragst du mich, ob sie sich prostituierte?“
„Sie könnte dich auch erpressen. Sie erzählt niemandem, was ihr alles zusammen getrieben habt, aber ihr Schweigen kostet eine Kleinigkeit.“
„Red doch keinen Unsinn! Wenn jemand etwas davon erfährt, fliegen wir beide.“
„Dann wollte sie wohl einfach ihren Spaß haben.“ Ralf verstellte seine Stimme und sagte: „Seht ihr den älteren Herrn dort drüben. Schaut mal, wie er uns anstarrt. Das ist mein Chef. Glaubt ihr, ich kriege ihn rum?“
Serenus lachte: „Etwa so wird es wohl gewesen sein.“
„Und jetzt? Hast du Gefühle für sie?“
„Um ehrlich zu sein, ich schmachtete sie schon vorher ein wenig an. Doch auf der Party war ich richtig verrückt nach ihr.“
„Aber wie wirst du dich jetzt ihr gegenüber verhalten? Falls sie dich noch einmal versucht zu verführen, was tust du dann?“
„Für mich ist es ein Entweder-Oder. Ich vergesse das Ganze und lasse meine Finger von dem Mädchen, das heißt, wir tun beide so, als ob nichts gewesen wäre. Oder wir fahren beide voll aufeinander ab und gehen bis zum Letzten. Eines von beidem.“
„Sie ist doch erst, nein, noch nicht einmal siebzehn! Was hat denn ein über dreißig Jahre alter Mann von einer Beziehung mit einem Teenager?“
„Was hat er von einer Beziehung mit zwei Teenagern?“, lachte Serenus.
„Ich kann dir gerade nicht folgen“, erwiderte Ralf etwas unwirsch.
„Yvette ist zwei Teenager: eine brave Schülerin, der man die Unschuld glaubt, und eine Partynudel, die Drogen nimmt und Männer abschleppt.“
„Na ja. Wahrscheinlich wird gar nichts passieren. Es wird bei dem einmaligen Ausrutscher bleiben“, seufzte Ralf und es hörte sich fast wie Bedauern an. „Aber du musst auf dich aufpassen, Serenus. Ich rufe dich nächstes Wochenende wieder an, wegen der Fortsetzung“, schloss er das Gespräch.
Yvette machte es ihm leicht. Sie kam in sein Büro, begrüßte ihn und fragte: „Passt es dir um halb vier? Heute ist Dienstag, da gehen wir doch immer zusammen in die Cafeteria.“
„Genau. Apfelkrapfen und heiße Schokolade. Abgemacht!“
Er sah sie ein paar Sekunden lang an und musterte ihr Gesicht. Sie war wieder seine stille Schönheit und hatte nichts mit Miss Sexy vom Planet Motion gemein. Aber bevor sie sich umdrehte, um sein Büro wieder zu verlassen, legte sie den Zeigfinger an ihre Lippen.
Als Serenus am Nachmittag in die Cafeteria kam, saß sie schon an einem Tisch und wartete auf ihn. Er holte sich einen Kaffee und eine Laugenbrezel mit Butter und setzte sich ihr gegenüber. Wieder betrachtete er sie, konnte sich aber nicht vorstellen, dass er diese Yvette nackt auszog und ihre Brüste mit Eiswürfeln abrieb. Gleichzeitig wusste er mit größter Sicherheit, dass er sie, wenn sie sich ihre andere Haut überzog, wieder genauso heftig begehren würde wie vor drei Tagen und sie ihn auch. Und das letzte Detail würden sie dann auch nicht mehr auslassen.
„Ich möchte etwas mit dir besprechen“, unterbrach Yvette seine Gedanken. „Es ist wegen meines Rotationsplans. Ich bin zwar erst sechs Wochen bei euch in der Administration, aber ich beherrsche die Fakturierung auf SAP schon jetzt. Heute sagte selbst die Teamleiterin zu mir, dass sie mir nichts mehr beibringen könne. Aber meine nächste Rotation ist erst zum ersten Juli vorgesehen. Ich habe jedoch gehört, dass im Dialyse-Ambulatorium zwei Sekretärinnen ausgefallen sind. Dort wären sie sicher froh, wenn ich einspringen würde, vor allem jetzt, wo ich auf SAP abrechnen kann.“
„Die Idee ist genial. Die Pflegedienstleitung wird dir die Füße dafür küssen. Hast du schon mit Schwester Jacqueline gesprochen?“
„Soviel ich weiß, ist Schwester Jacqueline diese Woche noch im Urlaub. Die Idee kam mir am Wochenende. Andererseits gefällt es mir gut bei euch in der Administration und ich gehe nicht gerne fort.“
Serenus hatte Yvettes Absicht sofort durchschaut. Solange sie in seiner Nähe war, wären sie beide der ständigen Versuchung ausgesetzt, oder zumindest ihren Fantasien. Das wollte sie mit der Versetzung ins Dialyse-Ambulatorium verhindern, denn dieses befand sich außerhalb des Krankenhauses, in einem anderen Teil der Stadt.
„Und wohin führt dich die Rotation im Juli?“, fragte er interessiert.
„Dann komme ich für vier Monate in die Klinikleitung zu den Chefarztsekretärinnen.“
„Das passt ja alles bestens zusammen. Ich kann dir nicht wirklich etwas entgegenhalten. Leider...“, seufzte er.
„Wenn ich mit der Lehre fertig und volljährig bin, bewerbe ich mich einfach in deinem Bereich“, tröstete ihn Yvette und strahlte ihn an.
❖
Als das nächste Jahr anbrach, verliebte sich Serenus ernsthaft und folgenreich. Er hatte die Frau schon oft beobachtet, wenn er Ralf und Walli nach Feierabend im Bermuda getroffen hatte. Aufgrund ihrer äußeren Erscheinung und ihrer Verhaltensweisen hielt er sie für sein weibliches Pendant. Die anderen Frauen im Bermuda trugen mehr Schmuck und mehr Make-up, rochen schwerer und süßer, gingen auf höheren Absätzen. Die Persönlichkeit dieser Frau strahlte sowohl Sicherheit und Ruhe als auch eine gewisse Verlorenheit aus. Sie schien nicht so viele Leute zu kennen, dafür führte sie mit ihren Freundinnen lange und ernsthafte Gespräche, wozu sie eine Zigarette nach der anderen rauchte. Als er eines Tages beobachtete, wie sie vergeblich nach einer Zigarette in ihrem leeren Päckchen suchte, verlangte er beim Barmann ein neues, trat zu ihr und bot ihr eine daraus an. Das Päckchen trug er von da an immer bei sich. Seither schenkte sie ihm jedes Mal ein Lächeln, wenn er ins Bermuda kam.
Das große Ereignis jener Tage bestand darin, dass Ralfs Schwester sich einen lang gehegten Traum erfüllt und endlich ihr eigenes Lokal eröffnet hatte. Sinnigerweise nannte sie es ganz einfach und schlicht Wallis Bar . Nun feierte Serenus seine After Work-Partys dort, so dass er erst nach einigen Monaten wieder einmal das Bermuda betrat. Er war alleine unterwegs und früher dran als sonst. Die meisten Gäste würden erst in einer Stunde kommen. Er nahm sich eine Tageszeitung, setzte sich an die Bar und begann zu lesen.
Er hörte die Frau nicht kommen und erschrak daher, als sie sich zu ihm setzte und ihn ansprach: „Welch schöne Überraschung nach so langer Zeit. Ich habe dich vermisst! Warst du verreist?“
Er erklärte ihr die Sache mit Wallis Bar , welche sie auch kannte, in der sie aber bisher nur einmal gewesen war, weil ihre Bekannten eben nicht dort, sondern im Bermuda verkehrten. Sie wusste, wer Ralf war, weil sie beide zufällig für dieselbe Firma arbeiteten, hatte jedoch nie mit ihm zu tun gehabt, denn sie war in der Forschung tätig. Sie hatte in Biochemie oder Mikrobiologie promoviert, was Serenus ohnehin nicht unterscheiden konnte. Ihr Spezialgebiet war ein bestimmtes Virus und sie kannte jedes Atom und jede Bindung in der molekularen Struktur seines Erbgutes auswendig. Am Computer zeichnete sie neue chemische Substanzen, die exakt zur Struktur des Virus passten, so dass sie andocken und damit die Fortpflanzung des Virus blockieren konnten. Wenn sie ein solches Molekül entworfen hatte, versuchte sie, es im Reagenzglas herzustellen. Damit sich die einzelnen Gruppen von Kohlenwasserstoffen zu dem vorausberechneten Molekül zusammenfügten, waren zahlreiche chemische Reaktionen notwendig, die bei Minustemperaturen von hundert Grad und kälter abliefen. Das konnte einen Monat oder auch ein Jahr dauern. Wenn der vermutete Wirkstoff fertig war, überprüften die Kristallographen im Elektronenmikroskop, ob das Molekül auch tatsächlich die gesuchte Form besaß.
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