Serenus stand gegen die Squashwand gelehnt und beobachtete eine Gruppe von bunt glitzernden marsianischen Bunnys. Sie hielten pralle Luftballons am Mundstück fest und nahmen in Minutenabständen einen Zug vom Inhalt, was ihnen großes Vergnügen zu bereiten schien. Eine von ihnen war eine vollkommene Schönheit. Ihr Gesicht war mit metallischer Körperfarbe bedeckt und von einer silbernen Kraushaarperücke eingefasst. Sie trug weiße Kleidung. Die winzigen Shorts und das elastische Trägerhemdchen stellten ihre Schultern und Schenkel, ihre Lenden und Leisten zur Schau. Serenus fühlte auf der Stelle ein heftiges sexuelles Begehren nach der Unbekannten. Sie schaute immer wieder in seine Richtung und schickte ihm winzige vertrauliche Signale. Die Mädchen ihrer Gruppe tuschelten miteinander und verließen wenig später den Raum. Sollte er ihnen hinterhergehen oder lieber abwarten, ob er ihnen auf einem anderen Dance Floor wiederbegegnete?
Doch nach wenigen Minuten kehrte die junge Schönheit zurück, brachte einen Ballon und zwei Becher mit, stellte sich vor ihm hin und bediente ihn. Zuerst bot sie ihm Lachgas an und dann Orangensaft mit Wodka, wieder den Ballon und nochmals den Drink. Serenus beugte sich zu ihrem Ohr und fragte sie: „Kennen wir uns? Wie heißt du?“
Sie hielt sich den Zeigfinger an die türkis bemalten Lippen. War er nicht genau einem solchen Mund schon einmal begegnet? Wieder reichte sie ihm das Gas und den Drink.
„Sprichst du kein einziges Wort mit mir?“, hakte er nach. Sie schüttelte den Kopf auf eine Art, die keine Einwände duldete.
„Aber was kann ich denn dann von dir bekommen?“, lachte er hilflos.
Sie öffnete ihr winziges Handtäschchen aus weißem Teddy und nahm ein Döschen heraus. Als sie es öffnete, sah er, dass es zwei Sorten Pillen darin gab. Die einen waren hell und eckig, die anderen dunkel und rund. Sie nahm eine von jeder Sorte und steckte sie ihm in den Mund. Dann reichte sie ihm den Becher und beobachtete ihn. Als er geschluckt hatte, schenkte sie ihm einen anerkennenden Blick. Jetzt öffnete sie ihre Lippen, stellte sich auf die Zehen und begann ihn zu küssen. Dabei hielt sie in der einen Hand den Luftballon und in der anderen den Becher. Serenus hatte seinen ausgetrunken und weggeworfen. Er umschlang ihre Taille und sie ließ sich schmachtend in seine Umarmung fallen.
Er betrachtete das Platingesicht aus der Nähe, die türkisfarbenen Lider, den gleichfarbigen Mund, die Schicht aus glitzerndem Sternenstaub auf ihren Schultern. In einem Videoclip würde sie jetzt das Mikrophon nehmen und zu singen anfangen. In seinem Griff war das knappe Hemdchen hochgerutscht. Er fasste sie mit beiden Händen unter den Achseln und legte die Daumen auf ihre Brustwarzen. Sie löste sich sofort von ihm und tippte mit dem Finger auf ihr Handgelenk, dorthin, wo sie sonst ihre Armbanduhr trug.
„Ich soll mich gedulden und dir Zeit lassen?“, fragte er sie in ihr Ohr. Sie bejahte mit einem Kopfnicken.
Sie inhalierten den Rest aus dem Ballon und teilten sich die letzten Schlucke aus ihrem Becher. Gegen die Squashwand gelehnt, heftig knutschend, ließen sie eine Stunde verstreichen, vielleicht auch nur eine halbe. Schließlich nahm sie seine Hand und zog ihn mit sich fort. Offenbar wusste sie, wann und wo sie ihre Freundinnen finden würde. Sie führte ihn durch zwei oder drei Hallen, durch einen Korridor und eine weitere Treppe hinunter. Sie befanden sich auf einem unterirdischen Tennis-Court, auf dem in dieser Karfreitagnacht getanzt wurde. Ihre Freundinnen waren nicht mehr unter sich, sondern es hatten sich ihnen einige Typen angeschlossen, so dass Serenus und seine Miss Sexy nicht mehr das einzige Pärchen waren.
Jetzt wollte sie mit ihm tanzen und so blieben sie lange auf dem Dance Floor, wo sie sich immer wieder umarmten und küssten. Später steckte sie ihm nochmal zwei Pillen in den Mund, die er mit einem Schluck aus dem Bierbecher eines Fremden hinunterspülte. Längst hatte er das Rätselraten aufgegeben, warum ihm seine neue Bekanntschaft so vertraut vorkam. Er konnte sich nicht an ihr satt sehen und nicht genug bekommen von ihrer Haut und ihren Berührungen.
Die synthetischen Neurotransmitter, die er in den letzten Stunden geschluckt hatte, flackerten durch sein Nervensystem und vervielfältigten die Anziehungskraft des Mädchens. Er taumelte durch einen Traum aus Licht und Dunkel, aus Klang und Tanz, aus Wunsch und Lust. Wenn er in seinem Leben schon einmal so erfüllt gewesen war, dann war es so lange her, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte. Die stumme Namenlose vermittelte ihm eine Absolutheit, als ob sie die aus all seinen intimen Erfahrungen extrahierte Essenz sei.
Als Planet Motion seine maximale Entfernung von der Erde erreichte, entfernte sich Serenus mit seiner Schönen im Arm von ihrer Clique. Wie ferngesteuert durchschritten sie die Katakomben und Schächte, bis sie zur Backstage-Lounge gelangten, wo sie sich mit seinem VIP-Pass Einlass verschafften. Die Zone erwies sich als ein Labyrinth aus vielen stillen Räumen und ruhigen Bars, wo sanfte Musik gespielt wurde und wo sich kaum Menschen aufhielten.
Ganz zuhinterst, in einem Raum voller Schränke, Apparate und Gerätschaften, ließen sie sich auf ein ausrangiertes Sofa fallen und zogen sich gegenseitig die Kleider aus. Als sie nackt waren, gab es auf einmal einen schrecklichen Lärm, es rumpelte und klirrte, weil hinter ihnen eine große Maschine eine neue Ladung Eiswürfel ins Auffangbecken spie. Serenus ergriff zwei Handvoll Eis und begann, seine nackte Geliebte damit einzureiben. Sie führte seine Hände, denn sie wollte, dass er ihre Brüste gefrieren ließ.
Zuerst atmete sie schwer vor Erregung. Aber bald begann sie laut zu stöhnen und unverständliche Silben zu stammeln. Ihre Stimme verriet sie sofort und Serenus hielt inne. Endlich erinnerte er sich an das ovale Gesicht mit den grünen Augen, das die Maske aus Platin und Türkis unkenntlich gemacht hatte. Es fiel ihm nicht leicht, sie sich als die natürliche junge Frau vorzustellen, die er insgeheim als „meine stille Schönheit“ bezeichnete. Er ließ seinen Blick langsam über ihren Körper wandern und jetzt erkannte er sie an der vollkommenen Harmonie all ihrer Körperteile und -merkmale wieder.
„Yvette! Wie alt bist du? Bitte verrate es mir!“ Er bat sie mit seiner sanftesten Stimme darum.
„Siebzehn“, antwortete sie mit einem Hauch von Trotz, „siebzehn, in ein paar Wochen.“
Sie nahm seine Hände und führte das Eis zu ihren Brüsten zurück. Serenus würde Yvette niemals zurückweisen und das sagte er ihr auch mit genau diesen Worten.
Als sie auf den Platz vor den Adenauer-Sporthallen traten, war es bereits heller Tag. Er führte sie zu einem Taxi und sie stiegen hinten ein. Sie schmiegte sich an ihn und neigte ihr Ohr zu seinem Mund. Serenus sagte wieder mit seiner sanftesten Stimme: „Komm mit zu mir nach Hause. Wir kiffen ein bisschen und machen Liebe.“
Am Ostermontag rief er Ralf an und beichtete ihm, welchen Sünden er in der Karfreitagnacht erlegen war.
„Sie ist wirklich erst siebzehn und du hast es vorher nicht gewusst?“ fragte Ralf ihn ungläubig.
„Ich wusste vor allem nicht, wer sie war. Ich erkannte meine eigene Azubi nicht. Wir knutschten die ganze Nacht wie wild miteinander, aber ich kam einfach nicht darauf.“
„Und sie gab während Stunden keinen einzigen Laut von sich? Ist das wahr?“ bohrte Ralf weiter.
„Genau so war es. Erst als wir nackt auf dem Sofa lagen und sie zu stöhnen begann, hörte ich zum ersten Mal ihre Stimme. Da war mir sofort alles klar und da sagte sie mir auch, dass sie siebzehn sei. Siebzehn, in ein paar Wochen.“
„Aber du hast doch nicht mit ihr geschlafen?“, fragte Ralf.
„Es fehlte nicht mehr viel. Es war tatsächlich nur das letzte Detail, das wir ausließen.“
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