Es war Abend und der Betrieb eingestellt worden, als Ron den zentralen Gang zu den Registrierungssälen erreichte. Er zog eine Kladde hervor, die die Fälscher im Inferno für seinen Auftrag vorbereitet hatten und machte sich auf den Weg. Unter dem Vorwand, Emma für ein Gespräch vor die Erzengelkommission holen zu müssen, hatte er die zentrale Meldestelle betreten. Es dauerte nur kurz, bis seine Dokumente geprüft waren. Niemand schöpfte Verdacht. Weil die Dienst habenden Engelshelfer aber angeblich nicht wussten, wo sich Emma aufhielt, wurde Ron zunächst in den zweiten Kreis geschickt. Die Angelegenheit war den drei Senioren ausgesprochen lästig, wie Ron urteilte. Er hatte ihr Kartenspiel gestört. Ron wunderte sich über ihren Leichtsinn, maß aber ihre Reaktion eher seinem schlechten Gewissen zu, sie getäuscht zu haben.
Den Aufgang nahm Ron in der Manier eines Treppenläufers. Kraftvoll und ohne jede Pause eilte er stets zwei Stufen gleichzeitig hoch. Im zweiten Ring angekommen, blickte er auf den langen Korridor. Das Büro eines gewissen Professor Bloomfield, in dem er weitere Hinweise über Emmas Verbleib erfahren sollte, war nicht sofort auszumachen. Nacheinander suchte er die Zimmer ab, die von diesem Flur abgingen. Immerzu bot sich ihm das gleiche Bild. Elf Stühle standen im Kreis zusammen, niemand war zu sehen. Dann endlich fand er das Sprechzimmer des Professors. Ron klopfte an, doch niemand antwortete. Auch in seinem Prüfungszimmer war der Prüfer nicht aufzufinden.
Ron vernahm Stimmen. Engelshelfer und Engel saßen in ihrem Aufenthaltsraum und spielten ebenfalls Karten. Sie warteten auf ihren Dienstschluss. Er trat durch die Tür. „Entschuldigt! Aber ich suche Professor Bloomfield.”
„Und wen genau?” Eine Engelshelferin sah auf. Als sie Ron erfasst hatte, lächelte sie entzückt.
„Professor Bloomfield eben.”
„Du bist neu in diesem Kreis, was?”
„Ja, bin ich. Also seid bitte nett zu mir!” Ron setzte eine Portion Charme auf und beschloss, dem zauberhaften Wesen lässiger gegenüberzutreten.
Die märchenhafte Schönheit erhob sich. „Den Gang entlang, rechts, das dritte Zimmer auf der linken Seite.”
„Danke!” Ron warf einen letzten, flüchtigen Blick auf ihre begehrenswerten Weiblichkeiten und war bereits aus der Tür getreten, da war ihm die Engelshelferin gefolgt.
„Warte doch mal! Du! Der Neue!”
Er verharrte. Hatte er etwas falsch gemacht, war sie ihm auf die Schliche gekommen? Die Engelshelferin stand vor ihm und musterte ihn noch intensiver. Sie deutete an, dass sie hier möglicherweise beobachtet werden konnten, nahm seine Hand und zog ihn in einen dunkleren Teil des Korridors. Sie standen sich gegenüber, schweigend, lächelnd, als sie unvermittelt ihre Handfläche auf Rons linke Brust legte. Mit der anderen Hand knöpfte sie sich die beiden obersten Knöpfe ihrer Robe auf. Ihr Brustansatz lag verführerisch im fahlen Licht. Ron wusste es nicht genau, aber so, wie die Dinge lagen, war zu vermuten, dass die süße Engelshelferin ihm soeben ein eindeutiges Angebot unterbreitet hatte. Er registrierte abermals ihre tadellose Figur. Vorsichtig hob er seine Hand, legte sie auf die ihre und gab sich alle Mühe, einen Hauch von Sanftheit in seine Stimme zu legen. „Wie ist Dein Name?”
Die Engelshelferin schwieg. Als seine Handfläche auf ihrer Haut lag, lächelte sie himmlisch auf. Sie war einen Schritt vorgetreten und hatte Rons Handfläche auf ihre Brust geführt. „Es muss wunderschön mit Dir sein,” flüsterte sie. „Um acht, Zimmer vierundzwanzig.” Sie strahlte ihn mit der freudigsten aller Erwartungen in ihren Augen an und entfernte sich langsam mit einem verheißungsvollen Lächeln in ihrem Gesicht, das nur wahre Götter schenken konnten.
Ron schluckte beeindruckt tief durch und schaute vergnügt auf ihren Hintern, mit dem sie lässig liegende Achten in die Luft zauberte. Sein vorfreudiges Grinsen kam ihm selbst reichlich albern vor.
Plötzlich drehte sich die Engelshelferin noch einmal zu ihm herum. „Es liegt in dieser Richtung. Gang rechts. Das zweite Zimmer auf der linken Seite. Ach übrigens! Mein Name ist Silvy. Ich heiße Silvy.” Dann schwebte sie elfenähnlich endgültig zurück in den Aufenthaltsraum.
Ron atmete tief durch. Er war nicht nur angetan von diesem bezaubernden Engelchen namens Silvy, mehr noch schätzte er die Offenheit, mit der hier im Fegefeuer scheinbar bestimmte Bedürfnisse geäußert und gezeigt wurden. Wenn er um acht die Zeit finden würde, wäre diese Frau sicher eine Herausforderung der besonderen Art. Bereits wenige Augenblicke später war er sich sicher. Er würde um acht Uhr Zeit finden müssen, schon allein, um sich nicht ihrem Zorn aussetzen zu müssen, wenn er sie enttäuschte.
Er machte sie auf den beschriebenen Weg und betrat wenig später eine Stube. Auch diesmal hatte niemand sein Klopfen wahrgenommen. Sofort übermannte ihn Erstaunen, als er durch die Tür lugte. Zu seiner großen Verblüffung nämlich saßen gleich zwei Dutzend Professoren beisammen. Alle sahen gleich aus. Alle trugen Tweedanzug, Halbglatze, Vollbart und Hornbrille. Professor Bloomfield war kein Einzelfall. Sie lasen, dösten, spielten Schach und Karten oder sangen in kleineren Gruppen. Etwa zwei Dutzend Kladden und Füllfeder lagen neben der Tür auf einem Tisch. Eine Herde geklonter Intellektueller hatte Ron so gar nicht erwartet. Er erinnerte sich an die Nachfrage der bezaubernden Engelshelferin, wen genau Ron zu sprechen wünschte. Jetzt erst verstand er richtig. Ron schätzte alle Anwesenden ein weiteres Mal ab, klopfte erneut an die Tür und trat in den Saal. „Entschuldigung! Ich suche einen gewissen Professor Bloomfield, der eine junge Frau namens Emma Nielsen im zweiten Kreis geprüft hat.”
Einige der Professoren sahen kurz auf, monierten seine Ruhestörung leise und gingen unbeirrt dem nach, was sie zuvor getan hatten.
Ron wiederholte seine Frage. „Emma Nielsen. Ich suche jenen Professor...”
„Ist ja gut. Ich komme schon. Nur Geduld!” Einer der Männer erhob sich aus seinem Bett und schlurfte zu ihm herüber. „Du meinst diese kleine, freche Göre. Dieses Menschenkind, nicht wahr?”
Ron bestätigte wortlos mit kurzer Geste und lachte innerlich. Emma hatte eindeutig Spuren hinterlassen.
„Was ist mit ihr? Gibt es Zweifel?”
„Nein! Keine Zweifel. Sie soll vor die Kommission. Wissen Sie, wo sie sich aufhält?”
„Heiliger Dreck, Junge! Deswegen bist Du hier? Dachte schon, dass die mich auf ihre Party eingeladen haben. Zwei heiße Weiber, sag ich Dir. Jung, knackig. Und trotzdem alles dran. Die andere, diese Modepuppe! Ich sag Dir. Die hat ein Fahrwerk. Bei der würde ich gern mal unter die Räder kommen. Von der Bettkante würde die keiner schubsen.”
„Erst mal draufkriegen, mein Alter!” Ron trat näher an ihn heran. „Und?”
„Was und?”
„Na, was wohl?”
„Nix und was wohl.” Der Professor schätzte Ron kritischer ab. „Die hatte ihren Einsatzbefehl von ganz oben. Meinst Du, dass ich mir an der die Finger verbrenne? Hab alles so gemacht, wie es in der Akte stand. Wenn es ein Problem gibt, liegt es nicht an mir.”
„Wo sie ist, wollte ich wissen.”
„Keine Ahnung.”
„Und diese Emma Nielsen?”
„Die? Was weiß ich. Im Dritten. Frag die Aufsicht!”
Ron wandte sich ab, um Momente später noch einmal nachzusetzen. „Ach! Wie haben Sie das gerade gemeint? Von ganz oben?”
„Von ziemlich weit ganz weit oben.” Der Professor musterte Ron noch interessierter. „Nimm einen Rat von einer einfachen Ortslehrkraft, Jüngelchen! Solche Weiber schlafen keine Nacht allein. Sie machen nur Ärger. Hol Dir einen runter und vergiss sie!”
Kopfschüttelnd ob seiner eigenartigen Aussagen ließ Ron den Mann stehen und machte sich daran, den Einlass für den Treppenaufgang aufzusuchen. Ohne jede Kontrolle konnte er passieren. Im dritten Kreis angekommen, fiel es ihm leicht, Emma ausfindig zu machen. Die himmlischen Mitarbeiter hatten die Namen aller Prüflinge, die sie in Gruppen eingeteilt hatten, auf einen Zettel geschrieben und an die Türen der Prüfungsräume geheftet. Schon mit dem dritten Anschlag fand Ron Emmas Namen vor. Er sammelte sich, sog tief Luft und trat in das Zimmer.
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