„Weißt du das denn nicht?““ fragt der Schulze und sieht achtsam nach dem Leutnant hinüber. Der aber ißt ruhig weiter und kümmert sich um nichts als um seine Spiegeleier und die Brotflöckchen, die er über den Teller treibt. „Das steht doch alles im Hypothekenbrief.““
„Aber, Schulze““, sagt der Förster fast flehend, „wir wollen uns doch nicht erzürnen, alte Leute, wie wir beide sind.““
„Wie können wir uns da erzürnen, Kniebusch?““ fragt der Schulze erstaunt. „Du bekommst, was geschrieben steht, und so alt wie du bin ich übrigens auch noch lange nicht.““
„Meine zehntausend Mark““, sagt der Förster mit zitternder Stimme, „die ich dir auf deinen Hof gegeben habe, waren gutes Friedensgeld – über zwanzig Jahre habe ich gespart, ehe ich sie zusammenhatte. Und am vorigen Zinstage hast du mir so einen Lappen gegeben – er liegt noch daheim in der Schieblade, nicht eine Briefmarke, nicht einen Nagel habe ich mir dafür kaufen können …““
Kniebusch kann sich nicht helfen, und es ist dieses Mal nicht nur das schwache Alter, es ist auch ehrlicher Kummer, der ihm die Tränen in die Augen treibt. So sieht er den Schulzen Haase an, der langsam die Hände zwischen den Knien reibt und grade zur Antwort ansetzt, als die scharfe Stimme vom Sofa her befiehlt:
„Förster!““
Der Förster fährt herum, jäh aus seinem Kummer und aus seinem Flehen gerissen. „Zu Befehl, Herr Leutnant?““
„Geben Sie mir mal Feuer, Förster!““
Der Herr Leutnant ist mit seiner Esserei fertig. Er hat die letzte Spur von Fett von seinem Teller aufgetrocknet, die Neige vom Kaffee getrunken – nun liegt er, bequem ausgestreckt, mit seinen Schmutzstiefeln auf dem Haaseschen Kanapee, hat die Augen geschlossen, aber eine Zigarette zwischen den Lippen und verlangt Feuer.
Der Förster gibt es ihm. Als der Leutnant den ersten Rauch einzieht, öffnet er die Lider und sieht grade in das nahe, tränende Auge des Försters. „Na, was denn?!““ sagt der Leutnant. „Ich glaube gar, Sie heulen, Kniebusch?““
„Es ist nur der Rauch, Herr Leutnant““, antwortet Kniebusch verlegen.
„Na, denn ist es ja gut““, sagt der Leutnant, schließt die Augen wieder und wirft sich auf die Seite.
„Ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich mir dein ewiges Meckern anhöre, Kniebusch““, sagt der Schulze, als der Förster wieder zu ihm zurückkommt. „Zweihundert Mark hast du nach dem Hypothekenbrief zu kriegen. Und das vorige Mal habe ich dir schon einen Tausendmarkschein gegeben, und weil du nicht rausgeben konntest, habe ich ihn dir ganz gelassen …““
„Nicht einen Nagel habe ich mir dafür kaufen können!““ wiederholt der Förster verbissen.
„Und diesmal will ich auch nicht so sein. Ich habe mir schon einen Zehntausender für dich parat gelegt, und ich will wieder nicht so sein: du sollst mir auch nichts rausgeben müssen, trotzdem zehntausend so viel sind wie deine ganze Hypothek …““
„Aber, Schulze!““ ruft der Förster. „Das ist doch alles lauter Spott und Hohn! Du weißt ganz gut, daß diese zehntausend noch viel weniger sind als die tausend vor einem halben Jahr! Und ich habe dir mein gutes Geld gegeben …““
Der Kummer bricht ihm fast das Herz.
„Aber was geht das mich an!““ ruft jetzt auch der Schulze Haase ärgerlich. „Habe ich dein gutes Geld schlecht gemacht? Da mußt du dich an die Herren in Berlin wenden, ich habe doch keine Schuld daran! Geschrieben ist geschrieben …““
„Aber es muß doch nach der Gerechtigkeit gehen, Schulze!““ bittet der Förster. „Ich kann nicht zwanzig Jahre gespart und mir nichts gegönnt haben, daß du mir jetzt einen Arschwisch dafür gibst!““
„So?!““ sagt der Schulze giftig. „Sagst du das, Kniebusch? Und wie war’s im Dürrejahr damals, als ich das Geld nicht zusammenkriegen konnte – wer hat da gesagt: ›Geschrieben ist geschrieben‹?! Und wie war es, als die fetten Schweine achtzehn Mark der Zentner kosteten und ich sagte: ›Das Geld ist zu teuer, du mußt etwas nachlassen, Kniebusch!‹ – Wer hat mir da geantwortet: ›Geld ist Geld, und wenn du nicht zahlst, Schulze, laß ich pfänden.‹ – Wer hat das gesagt?! Bist du das gewesen, Kniebusch, oder war’s ein anderer?““
„Aber das war doch etwas ganz anderes, Schulze““, sagt der Förster ziemlich kleinlaut. „Damals waren es kleine Unterschiede, aber heute ist es doch so, daß du mir überhaupt nichts geben willst. Ich verlange ja nicht, daß du mir den vollen Wert ersetzt, aber wenn du mir statt der zweihundert Mark zwanzig Zentner Roggen geben wolltest …““
„Zwanzig Zentner Roggen!““ Haase bricht in ein schallendes Gelächter aus. „Ich glaube, Kniebusch, du bist verrückt geworden! Zwanzig Zentner Roggen, das sind ja über zwanzig Millionen Mark …““
„Und sind noch nicht annähernd das, Schulze, was du mir zahlen müßtest““, beharrt Kniebusch. „Im Frieden waren’s meistens dreißig Zentner.““
„Ja, im Frieden!““ sagt der Schulze ganz aufgebracht, da er merkt, der Förster läßt sich nicht einfach abspeisen, sondern will ihm ernstlich an den Beutel. „Aber jetzt haben wir keinen Frieden, sondern die In-fla-ti-on – und da muß jeder für sich selber sorgen. Und nun will ich dir sagen, daß ich deine ewige Meckerei überhabe, Kniebusch. Im Dorf klatschst du auch ewig über uns rum, und neulich hast du beim Bäcker gesagt, wieso der Schulze Gänsebraten essen kann, wo er seine Zinsen nicht ehrlich bezahlt. (Red nicht, Kniebusch, das hast du gesagt, ich erfahr alles.) Aber nun radle ich morgen nach Meienburg, und mit dem Anwalt schicke ich dir die Zinsen, genau zweihundert Mark, wie es sein muß, und die Kündigung von der Hypothek bekommst du dazu, und zu Silvester kriegst du dann dein Geld wieder, genau zehntausend Mark – und wieviel du dir dann dafür kaufen kannst, das soll mir egal sein. Ja, das tue ich, Kniebusch, denn ich habe es satt mit dir, dein ewiges Gejammer um deine Ersparnisse. Ich tue es und ich mache es …““
„Das werden Sie nicht tun, Schulze Haase““, kam eine scharfe Stimme vom Sofa her. „Und es wird auch so gehen.““
Der Leutnant saß wieder aufrecht, völlig wach, die noch qualmende Zigarette im Mundwinkel.
„Sie werden am Letzten dem Förster seine zwanzig Zentner Roggen geben, und wir werden jetzt einen Wisch aufsetzen, daß Sie sich auch weiterhin, solange dieses Dreckgeld umläuft, zu der gleichen Zahlung verpflichten …““
„Nee, Herr Leutnant, das schreibe ich nicht““, sagt der Schulze entschlossen. „Zu so was können Sie mich nun doch nicht kommandieren. Sonst ja, aber dies nicht. Wenn ich das dem Herrn Major erzähle …““
„… gibt er Ihnen einen Tritt in den Hintern und schmeißt Sie raus. Oder stellt Sie auch als Verräter an die Wand, möglich ist das alles, Schulze. – Mann Gottes!““ rief der Leutnant lebhafter, sprang auf, ging zum Schulzen und faßte ihn am Rockknopf. „Sie wissen doch, worum es geht, und Sie altgedienter Mann wollen dabei noch schnell vor Toresschluß an den Schweinereien von den Brüdern in Berlin profitieren! Schämen Sie sich was, Schulze!““
Er drehte sich um, ging an den Tisch, nahm sich eine neue Zigarette. Er kommandierte: „Feuer, Förster!““
Kniebusch, tausendfältig erleichtert, sklavisch dankbar, stürzte herzu. Er flüsterte, indes er den Leutnant mit Feuer bediente: „Es müßte auch geschrieben werden, daß die Hypothek nicht gekündigt werden darf. Sonst zahlt er mich jetzt mit dem Dreckgeld aus – und es ist doch all mein Erspartes!““
Das Mitleid mit sich selbst überwältigte ihn, die Freude über den unerwarteten Retter machte ihn noch weicher: Förster Kniebusch weinte schon wieder.
Angewidert sah es der Leutnant. „Kniebusch, altes Waschweib““, sagte er. „Hau ab – sonst rede ich kein Wort mehr. Glaubst du, es geht mir um dich?! Du und deine filzigen Kröten – ihr seid mir ja soo egal. Es ist um der Sache willen, die Sache muß sauber sein.““
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