Die Liebesglut überkam beide wie eine himmlische Gabe. Beide umschlangen sich heiß. Prickelnd wallte das Blut. Eine Liebesglut sprang von Seele zu Seele. Ihre Lippen fanden sich zum heißen Kuss. Karl zitterte. Zum Fliehen war es zu spät. Das Unbekannte im Weib lockte mit tausend Zungen. Wie sich wehren gegen das Abenteuer? Ihre süße Weiblichkeit hatte sein Herz entflammt. So hatte das heilige Verlangen ihn besiegt. Langsam begannen sich beide zu entkleiden. Noch scheu, aber voller Begierde ertastete Karl ihre straffen Brüste, ihren purpurnen Leib. Bei jeder Bewegung spürte er ihre Nacktheit, ihre samtweiche Haut, ihre wohlgeformten Glieder. Bereitwillig schob sich Margot ihm schmeichelnd entgegen. Wie eine Droge zauberte die Berührung ihrer Haut ein jubelndes Gefühl von Glück herbei. Das Verlangen nach körperlicher Vereinigung mit dem anderen Geschlecht, wuchs ins Unermessliche. Getragen vom Urtrieb der Sexualität, umarmten sie sich zitternd und bebend. Ihr weiblicher Schoß öffnete sich, und ihre erhitzten Leiber genossen die Süße des hingebungsvollen ineinander Aufgehen …
Karl erwachte nach einem kurzen, aber tiefen Schlaf. Er blickte an die nackte, kalkweiße Schlafzimmerdecke. Aus der Küche drang Geschirr klappern. Er streckte knackend die Glieder und gähnte. Es war kurz vor halb fünf.
Jäh kam die Erinnerung an die vergangene Liebesnacht, erregte ihn noch einmal der Zauber des Schäferstündchens, die heiße Umarmung mit Margot. Die Schwarze Rose, das wunderbare Mädchen mit den Brombeeraugen, hatte ihn mit warmer Zärtlichkeit umschmeichelt und damit erreicht, dass er ihr nicht widerstehen konnte. Ihr Werben und ihr anmutiges Drängen zur Laube und ihr liebestolles Plaudern hatten seinen Geist für Minuten eingehüllt, in dessen Folge er ihr bedenkenlos gefolgt war. Gleichzeitig war er von der Begierde beseelt gewesen, das geheimnisumwitterte Liebesspiel auszuprobieren und vom Baum der Erkenntnis zu naschen.
„Warum”, sagte er vor sich hin, „sollte ich mir dies nicht eingestehen. Es war faszinierend, die samtweiche Haut eines so jungen Weibes zu fühlen, ihren Leib in Begierde zu spüren und den Akt in höchster Lust und mit jeder Faser des Körpers zu genießen. Sollte ich diese Nacht mit der plötzlichen, unkontrollierten Eingebung bereuen; habe ich wider menschlicher Vernunft gehandelt, die uns Menschen zur Kontrolle über unser Handeln gegeben ist? Oder habe ich mich sogar mit Schimpf beladen, weil ich mit einer Jungfer geschlafen habe, die ich nicht liebe, aber gewiss sehr gern habe?”
Scham ergriff ihn plötzlich. Irgendwo rumorte es in ihm: ,Du hast schamlos an Margot gehandelt; du hast ihr etwas vorgegaukelt, was es deinerseits nicht gibt: die Liebe’. Beklommen dachte er an eine zukünftige Begegnung und auch an Briefe. In diesem Augenblick fiel Karl ein Spruch ein, den er einmal von Frauen der Konservenfabrik gehört hatte: „Unter dem Gürtel ist kein Verstand!”
Karls Mutter hatte auf Zehenspitzen das Schlafzimmer betreten. Geräuschlos zog sie den Fenstervorhang zurück. Bernsteinfarbenes Licht fiel herein. Karl richtete sich auf und rief leise: „Guten Morgen!” Seine Mutter setzte sich für einen Augenblick auf die Bettkante, strich über sein Haar und sagte im vertrauten Ton, aber mit gedämpfter Trauer in der Stimme: „Guten Morgen, mein Junge! Du bist heute Nacht spät nach Hause gekommen. Hast du denn schon ausgeschlafen?”
„Du hast recht, es war sogar sehr spät, aber meine innere Uhr hat die Zeit zum Aufstehen exakt gemessen, so dass ich pünktlich erwacht bin.”
„Und wer hat dich aufgehalten?”
„Margot Irrgang.”
Ein mildes Lächeln huschte über ihr Antlitz. Sie gab Karl einen sanften Stoß in die Rippen und meinte: „So so, mit der Margot warst du noch zusammen. Hoffentlich kommen mir keine Klagen ins Haus, du Milchbart, du!”
„Klagen – warum?” Da begriff er, was sie meinte.
„Um Gottes willen, male den Teufel nicht an die Wand!” Um seine Verlegenheit zu überspielen, glitt er schnell aus dem Bett und hatte sich bald gewaschen.
Am Frühstückstisch verspürte Karl zum ersten Mal keinen Hunger. Während er sich die einzelnen Bissen in den Mund schieben musste, stand die Mutter am Fenster. Ihr Gesicht verriet ihren Schmerz. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Daraus sprachen die Angst und die Bitternis des Abschieds.
Karl hatte Mitleid mit ihr. Die Frauen hatten ein bitteres Los gezogen. Sie wurden auf eine verdammt harte Probe gestellt. Die Männer zogen in den Krieg, vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Die Frauen aber sollten in Demut alle Lasten des harten Lebens und der Familie tragen. Wer tröstete die Mütter und Frauen? Wer gabt ihnen in dieser Kriegszeit inneren Halt und Liebe?
Karl starrte verlegen und nachdenklich vor sich hin. Das Schicksal und das Vaterland forderten die Männer zum Handeln heraus; das war Gesetz. Und er vertraute auf Mutters Kraft, ihren Fleiß und ihre Energie, während Vater und er im Krieg die vaterländische Pflicht erfüllten.
Die Zeit war herangekommen. Karl musste sich verabschieden. Er ging zu den Geschwistern ins Schlafzimmer. Plötzlich standen Tränen in Mutters Augen. Axel, das vierjährige Brüderchen, schlug die Augen auf und blickte verwundert hoch. Schon streckte er seine Ärmchen der Mutter entgegen. Sie hob ihn hoch, presste ihn an sich. Axel drückte ihr ein Küsschen auf die Wange. Erstaunt verzog er sein Mündchen und fragte: „Warum weinst du?”
„Weil dein Bruder in den Krieg muss”, entgegnete die Mutter mit gebrochener Stimme. Axel verdrehte die Äuglein und überlegte.
„Da geht unser Karli ja zum Papa”, platzte er stolz heraus.
Verdutzt blickte Karl zur Mutter. Sie zuckte mit den Schultern. Plötzlich begriff Karl die Logik des kleinen Burschen. In seiner Vorstellung war der Papa im Krieg – so wurde ihm die Abwesenheit des Vaters erklärt, und wenn auch der große Bruder in den Krieg muss, geht er zum Papa. So einfach war das.
Karl packte danach seinen Persil-Karton mit den persönlichen Sachen und rief den Geschwistern „Auf Wiedersehen” zu. Die Mutter begleitete ihn mit finsterer Miene bis zum Hoftor. Dort umarmte sie ihn noch einmal. Karl spürte das Zittern ihrer Glieder, als sie sagte: „Hör zu, Karl, sei niemals waghalsig. An der Front kann das tödlich sein. Und komm zurück!”
Wehmütig verließ Karl mit gesenktem Kopf die Mutter. Jeder Schritt die Straße entlang wurde zur Qual. An der oberen Ecke der Allee drehte er sich noch einmal um und winkte.
Mit Herzklopfen durchschritt er seinen Heimatort. Im Tal zwischen den Hügeln, dem Grün der Bäume und den fruchtbaren Feldern, lagen die Wurzeln seines bisherigen Lebens. Hier erfuhr er Schmerz und Leid, hier erlebte er Frohsinn und das Glück seiner Jugend; hier wurde sein Fühlen und Denken durch das Elternhaus, die Schule, das Evangelium, die Hitlerjugend und die Lehre geprägt. Noch einmal blickte er auf die hellen und dunklen Häuser, auf die liebevoll gepflegten Gärten und auf die lichten Gehölze. Hier hatte er als Knabe Bäume erklettert, Schluchten abenteuerlustig durchstöbert oder im Hochsommer in verbotenen Wasserbecken gebadet. Hier hatte er oftmals barfuß und glücklich die Feldwege im schnellen Lauf durchmessen. So war er zu einem jungen Mann herangereift, der nun seine sorglose Kindheit hinter sich ließ und einem neuen Lebensabschnitt entgegen ging. Wird er die wunderbare Heimat in ihrer einzigartigen Vielfalt noch einmal erblicken? Wird er vom Grund des Tales in klaren Nächten jemals wieder am samtenen Nachthimmel das Sternenglühen, ihr Funkeln und Glitzern erschauen dürfen?
War es nicht erstaunlich und voller Zauber, wie in den Gärten oder am Bachesrand ungezählte Blumen in ihrer Vielfalt erblühten und sich dort Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Käfer am Nektar erfreuen. Ja, die Natur hielt Wundervolles für das Auge und das Herz bereit. Unsere heilige Mutter Erde ist wirklich schön und voller zauberhafter Überraschungen. Überall auf den Hügeln oder im Tal findest du beim Spazierengehen oder Wandern Erbauliches für Geist und Seele.
Читать дальше