„Ja, aber Beth, mir geht es doch nicht schlecht!“
Ich startete einen letzten kläglichen Versuch, sie abzuwehren. Aber mir ging es doch wirklich nicht schlecht. Eigentlich sogar gut! Also, es gab mit Sicherheit andere Menschen, denen es um einiges schlechter ging. Vielleicht sollte das Universum, oder wer auch immer, lieber denen Energie schicken, die sie wirklich brauchten, und sie nicht mir unnötig aufdrängen.
„Ok, das ist jetzt nicht unser Thema, jetzt gehen wir erst mal Tennis spielen.“ Ohne es zu einer weiteren Diskussion kommen zu lassen, kam sie zurück, hakte sich bei mir ein, machte die Tür hinter mir zu und zog mich Richtung Straße.
Die Halle war 15 Minuten Fußmarsch von mir – oder besser: von uns – entfernt. Mir hatte unsere Unterhaltung von eben die Sprache verschlagen. Ich sagte darauf kein Wort mehr, was Beth nicht viel auszumachen schien. Sie redete über ihre letzten Tenniserfahrungen, die schon länger her, aber sehr lustig waren. Zumindest die Letzte. Sie spielte mit irgendeinem jungen Mann, der sehr gut zielen konnte, vor allem auf Dinge, die nichts mit Tennis zu tun hatten. Fazit war dann ein blaues Auge, nicht bei ihr, sondern bei ihrem Gegenüber. Der hatte sich ungeschickt mit dem eigenen Schläger ins Gesicht gehauen und gezielt das Auge getroffen. Ich ließ mich einfach treiben, und plötzlich standen wir auch schon vor der Halle, wo meine Kollegen bereits auf mich warteten. Sie schienen sogar erfreut, mich zu sehen.
„Lissi, schön, dass du hier bist! Das ist ja genial! Wusstest du, dass Katja heute ausfällt? Hatte sie dich angerufen?“ Georg schaute von mir zu Beth.
„Nein, wieso sollte ich das gewusst haben?“ Ich stand auf dem Schlauch.
„Na, weil du uns ja gleich Ersatz mitgebracht hast.“
„Ach so, ja klar, deshalb, das ist Beth, sie ist ...“, aber Beth ließ mich nicht aussprechen. Was auch besser war, denn ich hätte nicht gewusst, wie ich sie hätte vorstellen sollen.
„Ich bin ihre Verwandte aus Nürnberg, ich bin vorübergehend in Berlin. Vielen Dank, dass ich heute dabei sein darf. Freut mich, dass ich einspringen kann.“
Wir gingen rein, und Beth sah mich fragend an: „Warum hast du mir nicht alle vorgestellt?“
„Das kann ich doch jetzt noch machen, ich wusste nicht, dass dir das so wichtig ist.“
Wir hatten alle unsere Taschen auf die Bänke gestellt und unsere Schläger rausgeholt, als Beth mich anstieß.
„Also Beth, Georg hast du ja kennengelernt, das ist Max, und das sind Tina und Kathrin. Kathrin, Tina, Georg und Max, das ist Beth, meine Verwandte aus Nürnberg.“
Wir waren uns einig, Max und Georg würden in getrennten Teams spielen und ‚Familie’ sollte auch nicht zusammen spielen, damit niemand im Vorteil sein würde. Also war ich mit Georg, dem Beständigen, in einem Team. Max, der nicht nur der hinterhältige Schleimer der Firma ist, sondern auch unser Möchtegern-Player, bildete natürlich mit der hübschen Tina das zweite Team. Und Kathrin, die kreativste und mit Abstand entspannteste Person in unsere Firma, stellte das dritte Team mit Beth. Die beiden Damen passten wie die Faust aufs Auge zusammen. Entsprechend ihrer Grundeinstellung und ihrer Sichtweise des Lebens, waren Beth und Kathrin die Ersten, die auf der Bank das Spiel beobachten durften. Georg und ich waren in Kampfesstimmung. Wir waren bereit, Max in seine Schranken zu weisen. Wir hatten vor, haushoch zu gewinnen. Georg machte den ersten Aufschlag und los ging es! Max´ Hauptanliegen war es, gut auszusehen, was uns unsere Mission sehr viel leichter machte. Das erste Spiel gewannen wir mit eindeutigem Punktestand und trafen dann auf die beiden ausgeruhten Gegnerinnen von der Bank. Beth spielte den Aufschlag. Es war sehr merkwürdig, gegen sich selbst zu spielen. Wir beide merkten, dass wir genau wussten, was die Andere plante. Ich wusste genau, wenn Beth vorhatte, einen kurzen Ball ans Netz zu spielen, und konnte früh genug vor Ort sein, um den Ball zu retten. Andersherum war es genau so. Es gab hier eine Verbindung, die nicht nur uns auffiel. Kathrin und Georg machten sich ihren Spaß daraus, uns gegeneinander anzustacheln. Es war ein ehrgeiziges, langes und sehr lustiges Spiel. Am Ende machte Georg den entscheidenden Punkt, der uns erlöste. Wir waren völlig erledigt und konnten nur noch zur Bank krauchen.
„Familie tut dir sichtlich gut.“ Georg wies mit rotem Kopf Richtung Beth. „Wir haben dich, glaube ich, noch nie so ausgelassen erlebt. Weder bei der Arbeit, noch beim Sport.“
Kathrin, Max und Tina stimmten zu. „Sonst bist du ehrgeizig und ohne Freude, es war richtig schön, dich so zu sehen“, setzte Kathrin noch dazu.
Beth und ich sahen uns an, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, nicht so ganz allein auf dieser Welt zu sein. Wir redeten noch ein wenig mit den Anderen. Es war nett, nicht gleich nach Hause zu rennen. Ich genoss es. Auf dem Rückweg redeten wir beide nicht viel. Wir waren müde und geschafft und froh, bald unsere Füße hochlegen zu können.
„Ich habe noch eine Frage ...“, unterbrach Beth die Stille. „War das heute ein normaler Tag mit deinen Freunden?“
„Beth, das sind nicht meine Freunde. Das sind Arbeitskollegen, mit denen ich ab und zu mal Tennis spiele. Wir reden nicht viel, konzentrieren uns auf das Spiel und gehen wieder nach Hause. So mache ich das zumindest.“
„War es heute anders?“ Beth musterte mich von der Seite.
„Ja, ein wenig. Wir haben uns noch kurz unterhalten, das hat sich wohl von den anderen Treffen unterschieden, wenn du das einen Unterschied nennen willst.“
Ich hatte keine Ahnung, worauf sie hinaus wollte. Ich war auch einfach zu geschafft, um sie zu durchschauen. Was mir ja schon schwer fiel, wenn ich mit meiner Energie auf der Höhe war. Aber Beth ließ nicht locker. War ja auch nicht anders zu erwarten.
„Lissi, hast du Freunde?“
„Was meinst du damit, ob ich Freunde habe? Menschen, mit denen ich mich treffe, um Dinge zu tun, Sport zu machen und einkaufen zu gehen? Dann kann ich sagen: ja, ich habe Menschen, mit denen ich mich zum Sport treffe!“
„Und, mit wem redest du? Ich meine, nicht übers Wetter? Ich meine, so wie früher, als du dich mit deinen Mädels getroffen hast, und ihr stundenlang einfach herumgesessen habt und nichts anders getan habt, als miteinander zu reden?“
„Beth, es kann schon sein, dass ich das früher getan habe. Aber jetzt muss ich arbeiten, habe meinen Sport, und dann ist noch Ben da. Da ist kein Raum für solche Dinge.“
Beth nickte und drehte sich zu ihrer Tür. „Lissi, ich komme dann morgen rüber, oder wenn du willst, komm du. Ich glaube, ich habe eine Ahnung, warum ich hier bin und was unser Plan sein wird. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“
Ich nickte zurück und ging in meine Wohnung. Ich kann es nicht genau sagen, aber ich glaube schon, dass ich ein wenig neugierig war. Was hatte sie herausbekommen und wie?
Ich telefonierte mit Ben, als Beth am nächsten Morgen an der Tür klingelte.
„Kleinen Moment noch, komm rein, ich telefoniere nur noch zu Ende.“
Ben hatte nur kurz angerufen, um zu erzählen, wie es bei seiner Konferenz lief und wie nett es gestern mit seinen Kollegen war. Er war drauf und dran gewesen, ins Detail zu gehen, aber ich konnte ihn vorher noch abwürgen. Ich hatte gerade keinen Kopf für diese Dinge. Er hatte auch nachgefragt, wie es bei mir lief. Aber ich hatte keine Lust gehabt, ihm alles zu berichten. Wo sollte ich auch anfangen? Er hatte Beth zwar getroffen, aber zu erklären, wer sie war und was mir gerade passierte, das wäre zu viel verlangt. Für mich, um es zu erzählen, und für ihn, es zu begreifen. Ich hoffte, glaube ich, immer noch, dass der Spuk bald vorbei sein und er gar nichts davon mitbekommen würde.
Als ich aufgelegt hatte, sah ich, wie Beth es sich auf dem Sofa bequem gemacht hatte. Ich setzte mich dazu und war gespannt, was sie mir zu sagen hatte. Ich glaube zumindest, dass ich gespannt war. Vielleicht war ich auch einfach nur angespannt. Ich versuchte mich durch ein Lächeln und einen tiefen Atemzug selbst zu beruhigen.
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